7080254-1993_33_05.jpg
Digital In Arbeit

Ehe als Sozialmißbrauch?

19451960198020002020

Die Kirche leiste dem „Sozialmißbrauch” Vorschub, mutmaßt die „Presse”. Dieser Verdacht wurde flugs von ÖVP-Obmann Erhard Busek übernommen: Durch rein kirchliche Trauungen würden sich Eheleute Sozialleistungen für Ledige erschleichen.

19451960198020002020

Die Kirche leiste dem „Sozialmißbrauch” Vorschub, mutmaßt die „Presse”. Dieser Verdacht wurde flugs von ÖVP-Obmann Erhard Busek übernommen: Durch rein kirchliche Trauungen würden sich Eheleute Sozialleistungen für Ledige erschleichen.

Werbung
Werbung
Werbung

Die verzweifelte Suche nach den vermeintlichen Sozialschmarotzern begann am 24. Juli: Mit Horrorszenarien wie „Sozialdebatte ufert aus”, „Sozialsystem: Debatte um Rolle der Kirche” und „Zum Schaden aller” blies „Die Presse” zum Halali auf die katholischen Sozialschmarotzer.

Doch schon die erste Geschichte kränkelte: So wurde „dem Vernehmen nach” den Studenten unterstellt, vermehrt rein kirchlich zu heiraten, um dadurch in den Genuß von Sozialleistungen für Ledige zu gelangen. Ohne die Quelle preiszugeben, berief sich das bunte Großformat auf „ein Ansteigen bei Studentenehen” in der Erzdiözese Wien. Verschämter Nachsatz: „Eine Statistik gebe es nicht”.

„Noch hat die Mißbrauchsdebatte nicht eine wirklich gehässige Stimmung erzeugt”, formulierte Anneliese Rohrer („ar”) in der „Presse-Meinung”: „Das könnte aber der Fall sein, wenn man jetzt nicht in Ruhe und vernünftiger Gelassenheit bestimmte Fragen stellt.”

„Die Presse” freilich stellte nicht nur Fragen, sondern gab auch Antworten: Am 28. Juli überraschte sie mit der Sensationsmeldung: „Keine evangelischen ,Geheimehen' - Im Schnitt 40 katholische pro Jahr”.

Anhand einzelner Diözesen wurde zunächst enthüllt, „daß viele Ehepaare aus der Bundesrepublik Deutschland getraut werden, wo solche Ehen hinter dem Rücken des Staates verboten sind”. Bedauernd mußte „ar” allerdings feststellen, daß in einigen

Diözesen „trotz mehrmaliger Versuche” keine Information zu erhalten war. Dennoch beharrte die Autorin darauf, daß der „Sozialmißbrauch” Hauptmotiv für die rein kirchlichen Ehen sei-vor allem für die sogenannten „Studentenehen”.

Grenzgänger überwiegen

Schon am 2. August griff „ar” wieder zur Feder: „Geheimehen: Kirche gibt Staat die Schuld”. Der Leser bleibt dennoch im Unklaren: Treiben jetzt die kirchlichen „Geheimehen” den Sozialstaat in den finanziellen Ruin?

, .Die Presse” bleibt die Zahlen schuldig, weiß aber dafür am 4- August zu berichten, wer die Mitverursacher der „Überbeanspruchung des Sozialsystems” nun sind: „... lassen sich meist Pensionisten- und Studentenehepaare nur kirchlich trauen, um Ansprüche auf getrennte Pensionen, auf erhöhtes Karenzgeld oder den Weiterbezug der Familienbeihilfe nicht zu verlieren.” Die „Heirats-Touristen” aus den Nachbarländern werden geflissentlich vergessen.

Die von der FURCHE recherchierten Zahlen sprechen freilich eine andere Sprache. In der Diözese Feldkirch etwa waren im Jahr 1992 von den 31 rein kirchlichen Trauungen 23(!) deutsche Grenzgänger, sechs Ehepaare über 60 Jahre (Rentner), eine deutsch-österreichische Trauung (Witwe mit drei Kindern und deutschem Partner) und bloß eine einzige „Studentenehe”. In Salzburg nützten im Vorj ahr gar 42 deutsche Pärchen die österreichische Rechtslage - nur zwei „Geheimehen” wurden von heimischen Katholiken geschlossen, in den anderen westlichen

Auch

Diözesen überwiegen die „Grenzgänger”.

Insgesamt handelt es sich bei den 1992 in Österreich geschlossenen 348 „rein kirchlichen Trauungen” um 134 „Grenzgänger-Paare”. 176rein kirchliche Ehen wurden unter Rentnern oder Pensionisten geschlossen, bloß 38 Studentenehepaare vermieden vorläufig den Weg zum Standesamt.

Zum Vergleich: Für 1992 weist die offizielle Statistik 104.387 Karenzgeld-Empfänger und mehr als 1,7 Millionen Pensionsbezieher aus.

Zudem weisen die Diözesen auf „hohe Auflagen” bei rein kirchlichen Trauungen von Studentenehepaaren hin: So muß etwa innerhalb eines bestimmten Zeitraumes (höchstens zwei Jahre) die standesamtliche Trauung nachgeholt werden. Und das „Rentenkonkubinat” stelle oft einen Härtefall dar, dem sich die Kirche nicht verschließen möchte.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung