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„Ein Mühlstein am Hals des Kandidaten“

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Wahliamalysen hin, Wahlanalysen her: mit der Bundespräsidentenwahl am vergangenen Sonntag ist der österreiichiische Wähler einmal mehr zum „unbekannten Wesen“ der Innenpolitik avanciert. Franz Jonas ging mit einem 263.000-Stimmen- Vorsprung vor Kurt Waldheim über die Hofburg-Ziellinie und stieg im Vergleich zum Jahr 1965 mehr als zwei Prozent im „Kurswert“.

Waldheim hat zwar weniger Stimmen als der ÖVP-Kandidat Gorbach im Jahr 1965 erhalten, aber mehr als die Volkspartei bei den Natiomalrats- wahlen am 1. März 1970. Und das galt sonntags dm VP-Hauptquartier bereits als Erfolg — man versuchte, der Niederlage eben auch ihre Sonnenseiten abzugewinnen.

Vor dem Urnengang wurde allzuviel

Optimismus verbreitet, um selbst die innerparteiliche Krise zu vergessen. Und Generalsekretär Schleimer meinte, daß das Wählervolk ähnlich denke und fühle. Doch weit gefehlt: die Volkspartei hing wie ein Mühlstein am Hals des Kandidaten Waldheim.

Die Bevölkerung schätzte zwar den Mann, der sich so sympathisch präsentierte, er holte dabei schier un glaublich an Popularität auf, doch blieb den Umworbenen nicht verborgen, daß Waldheim eben der Kandidat einer ÖVP war, die sich selbst nicht klar darüber ist, wohin ihr Weg führt.

Trotzdem schlägt die Wählermeinung in Österreich recht eigenartige und absonderliche „Purzelbäume“: nach den letzten Nationalratswahlen war man allgemein voll des Lobes für die Reife der politischen Entscheidung des Wählervolkes. Es habe sich neuen Methoden, einem neuen Stil zugewandt. Und das schien auf neue Überraschungen hinzudeuten. Allein: am 25. April widerlegte der österreichische Wähler die ihm zugemutete Progressiviität. Der Mann, der einen neuen Stil in der Wiener Hofburg versprach, ging mit fliegenden Fahnen unter und das konservierende Gehaben des amtierenden Bundespräsidemtem — das im Sprach- bereich der Linken durchaus unter dem Begriff „reaktionär“ einzuordnen ist — trug den Sieg davon.

Die Differenz von 263.000 Stimmen läßt viele Interpretationen zu: Es scheint fast so, als ob das intellektuelle Image des ÖVP-Kandidaten den größten Anteil daran habe. Vor allem, wenn man dabei bedenkt, daß der hagere Diplomat speziell in den agrarischen VP-Hochburgen - „abgebissen“ hat, hingegen in Industriegebiete«^’durchaus im Rahmen des Erwarteten geblieben ist.

Eines muß sich die ÖVP nach dem Wahltag hinter die Ohren schreiben: Weder Obmanin Withalm noch Generalsekretär Schleinzer — aber auch keinem einzigen „Landesfürsten“ der Volkspartei — ist es gelungen, das eigene Wählervolk zu mobilisieren. Es ist fast erschreckend: die SPÖ hat nach dem Debakel 1966 ein Jahr gebraucht, um sich wieder zu konsolidieren. In der Volkspartei ist nach einem Jahr noch keine Spur von einer neuen Linie zu bemerken; und das, obwohl Schleinzer bereits fast schon ein Jahr lang von Reform und Neuprofllierung spricht.

Die Bundespräsidentenwahl war — obwohl immer Gegenteiliges behauptet wurde — eine Testwahä für Kreisky. Sein Innenminister Rösch gab das — mach der Wahl — unumwunden zu: „Wäre die Regierung so schlecht, wie es gewisse Leute behaupten, dann hätte der Wähler seine Kritik mit dem Stimmzettel zum Ausdruck gebracht.“

Die politischen Interessen standen an diesem Abend im Vordergrund: die Persönlichkeitswahl trat zurück. Und das ist das eigentlich Bedauerliche am 25. April 1971.

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