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Eine faire Befragung?

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Fast 21 Monate ließ sich die sozialistische Rathausmehrheit Zeit, bis nach der Reform der Stadtverwaltung auch die erforderlichen Durchführungsbestimmungen für die Volksbefragung im Wiener Landtag behandelt werden konnten. Dann aber hatte sie es plötzlich eilig. Noch ehe das Volksbefragungsgesetz im Landesgesetzblatt abgedruckt war, kündigte Bürgermeister Gratz Mitte Jänner auf der SP-Klausur in Mallnitz an, daß zwischen 16. und 18. März 1980 die erste Wiener Volksbefragung auf Grund der neuen Stadtverfassung stattfinden werde.

Ohne Fühlungnahme mit den Oppositionsparteien des Wiener Gemeinderates präsentierten die Sozialisten auch ihren Fragenkatalog:

• Soll der öffentliche Verkehr durch wirksame Maßnahmen (Stuttgarter Schwellen usw.) beschleunigt werden?

• Sollen die Propagandaständer auch außerhalb von Wahlzeiten aufgestellt werden dürfen?

• Soll eine zweite Westeinfahrt Wiens in Form der Flötzersteighoch-straße errichtet werden?

• Soll die seinerzeit beschlossene Auflassung von 16 alten Ortsfriedhöfen und deren spätere Umwandlung in Parkanlagen aufrecht bleiben?

Die Zusammenstellung dieser Themen macht deutlich, daß die Rathausmehrheit dieses neu geschaffene Instrument der direkten Demokratie nicht als ein Mittel ansieht, die Wiener Bevölkerung echt mitentscheiden zu lassen, sondern darin die Chance erblickt, die eigene Politik durch manipulativ formulierte Fragen bestätigen zu lassen.

Welchen Zweck soll die Fragestellung über die Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs eigentlich verfolgen? Für alle Parteien des Wiener Gemeinderates ist der Vorrang des öffentlichen Verkehrs seit langem ein wesentlicher Bestandteil ihres Kommunalprogramms. Diese Frage ist daher überhaupt kein kommunaler Streitpunkt. Wenn seitens der Opposition Kritik geübt wurde, dann deshalb, weil auf diesem Gebiet außer Ankündigungen jahrelang nichts geschehen ist. Vielleicht wollen die Sozialisten mit dieser Fragestellung nunmehr bei der Bevölkerung den Eindruck erwecken, als ob es außerhalb ihrer Reihen Kräfte gibt, die eine Beschleunigung des öffentlichen Verkehrs permanent sabotieren.

In der Angelegenheit der Aufstellung von Werbeflächen der Parteien, die in der offiziellen Fragestellung vordergründig als Propagandaständer bezeichnet werden, die das Stadtbild stören, wird wohlweislich verschwiegen, daß die Rathausmehrheit sich gleichzeitig eines Propagandaetats von 100 Millionen Schilling bedienen kann, von dem die Opposition natürlich ausgeschlossen ist.

Die wirklich aktuelle Frage nach der Notwendigkeit des Flötzersteig-ausbaues wirft ein grundsätzliches Problem derartiger Volksbefragungen auf. Ist es vertretbar, daß über eine Frage, die die vitalen Interessen einiger Hundert oder Tausend Mitbürger berührt, ganz Wien entscheidet und demnach viele den Ausschlag geben können, für die der Flötzersteigausbau möglicherweise nur eine erhöhte Bequemlichkeit bedeutet?

Was schließlich den von vielen Mitbürgern gewünschten Weiterbestand der alten Ortsfriedhöfe anlangt, hätte ohne Schwierigkeiten ein einstimmiger Gemeinderatsbeschluß herbeigeführt werden können, der die seinerzeit vorgesehene Auflassung und Umgestaltung zu Parkflächen außer Kraft gesetzt hätte.

Die Rathausmehrheit hat es bewußt vermieden, kommunale Themen, die seit langem in der Öffentlichkeit diskutiert werden, in das Fragenprogramm aufzunehmen. Dazu gehört zweifellos das umstrittene Projekt der Traisenbrücke als Mittelstück einer geplanten Gürtelautobahn samt Fortsetzung über das Erholungsgebiet der Alten Donau. Dem Risiko, daß dieses umstrittene Projekt der Stadtverwaltung eine eindeutige Absage durch die Bevölkerung erhält, wollte man sich offensichtlich nicht aussetzen. Daher wurden auch alle Anträge, dieses Thema in den Fragenkatalog aufzunehmen, von der Mehrheit abgelehnt.

Nach der derzeitigen Gesetzeslage ist es der Mehrheit des Gemeinderates möglich, Themen, die ihr opportun erscheinen, überfallsartig einer Volksbefragung unterziehen zu lassen und sich die gewünschte Bestätigung zu holen.

Wenn aus der Mitte der Bürger, für die das Instrument der Volksbefragung eigentlich geschaffen wurde, hingegen der Wunsch kommt, über eine kommunale Frage mitentscheiden zu können, dann müssen erst in mühevoller und zeitraubender Weise 58.000 Unterstützungsunterschriften für dieses Vorhaben gesammelt werden. Alle Versuche diese Hürde zu verringern sind bisher erfolglos geblieben.

Wir Freiheitlichen haben bereits anläßlich der Verfassungsreform auf die Notwendigkeit hingewiesen, das Volksbefragungsgesetz bürgerfreundlicher zu gestalten. Die Art und Weise, wie seitens der Wiener Sozialisten, die erste Volksbefragung in Szene gesetzt wird, unterstreicht, wie recht wir hatten und wie notwendig eine Verbesserung des Gesetzes im Sinne einer echten Bürgermitbestimmung ist.

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