6959305-1984_42_07.jpg
Digital In Arbeit

Ersticken in Haß und Staub

Werbung
Werbung
Werbung

Es ist noch nicht lange her, daß Lima die eleganteste Metropole Südamerikas war; Anfang der siebziger Jahre blickte sie sogar mit revolutionärem Elan in die Zukunft. Heute würgt die Kapitale des Andenlands an einer Wirtschaftskrise, an einer gnadenlos agierenden Guerilla und an den Folgen städtischer und ländlicher

Verarmung. Der Ausnahmezustand ist nur jetzt aufgehoben, um den Gläubigerländern des verschuldeten Landes einen untadeligen Wahlkampf zu präsentieren.

Limas koloniales Zentrum mit den kostbaren Holzkernen an seinen Patrizierhäusern erstickt heute an Abgasen, stinkenden übervollen Bussen, Bettlern, aufdringlichen Geldwechslern. Indianische Mütter, das Kind im bunten Tuch auf den Rücken gebunden, scheinen noch immer unter der Last der historischen Niederlage gegen Pizarro gebeugt.

In die neuen Vorstädte haben sich längst jene zurückgezogen, die es sich leisten können, dem 400jährigen Staub Limas zu entfliehen. Wer sich nichts leisten kann, muß mit der Wüstenperipherie der Hauptstadt vorliebnehmen, mit den „Pueblos Jovenes", wie verlogenerweise die Kanisterblech- und Bambusmatten-slums genannt werden. Die Ärmsten der Armen suchen entlang der Panamericana die Müllhalden nach Verwertbarem ab ...

Diese Urbane Agglomeration, in der Armut, Inflation, miserable öffentliche Dienstleistungen und

Passivität jedes Prinzip Hoffnung verleugnen, wird heute vom einzigen marxistischen Stadtvorsteher Südamerikas verwaltet. Bürgermeister Alfonso Barrantes gewann die Kommunalwahlen als Kandidat der „Vereinigten Linken", in der Radikalsozialisten, Kommunisten, Trotzkisten und Linkskatholiken zusammenarbeiten. Barrantes gelingt es, die von ständigen Streiks geschüttelte Metropole vorläufig zusammenzuhalten. Mehr kann dieser bescheidene und talentierte Politiker aber nicht tun.

Es ist zu erwarten, daß Barrantes die „Vereinigten Linken" auch bei den Präsidentschaftswahlen im April 1985 anführen wird. Dabei muß er gegen Alan Garcia, das Wunderkind der sozialdemokratischen Partei Perus (Apra), antreten. Zwar durfte in den letzten 50 Jahren kein Apra-Kandidat gewinnen, aber jetzt ist die Ausnahme von der Regel fällig. Denn Perus' Mitte-Rechts-Spektrum würde eher den 35jährigen Sozialdemokraten als den Marxisten Barrantes als neuen Staatschef akzeptieren.

Jedenfalls glaubt nicht einmal mehr Präsident Fernando Be-launde, der trotz mangelnden politischen Gespürs zum zweiten Mal an der Spitze des Staates steht, an einen zugkräftigen Mitte-Rechts-Kandidaten. Trotzdem spielt der Zweckoptimist mit dem Gedanken, einen pensionierten General und Expräsidenten aus der Zeit der Militärrevolution, Morales Bermudez, als Koalitionskandidaten des Mitte-Rechts-Spektrums aufzubauen.

Aber die Schwermut, die heute deutlicher als je zuvor auf Lima drückt, rührt aus noch anderer Quelle. Ursprünglich agierte die schonungslose Guerilla des „Sen-dero Luminoso" (der Name „leuchtender Pfad" verweist auf eine Passage aus den Schriften des peruanischen Marxisten der zwanziger Jahre, Mariategui) im Hochland von Ayacucho. Dann aber hat dieser peruanische Maoismus, der von einer studentischen Bauernintelligentia getragen wird, seinen wütenden Terror nach Lima getragen.

Lima versank mehrmals in totaler Finsternis, weil Hochspannungsmasten zu Dutzenden in Explosionen fielen, die Polizeistationen sind mit Sandsäcken bewehrt, Militärpatrouillen, früher eine Seltenheit, gehören heute zum Bild der Stadt.

Mehr noch als der Terror selber, lähmt die kompromißlose Ideologie der Bauernguerilla die Stadt. Denn für den „Sendero Luminoso" ist Lima das peruanische Babylon, das zertreten werden muß.

Die Metropole habe 400 Jahre lang das bäuerliche und indianische Umland ausgeblutet. Klar, daß mit der „Hure Babylon" das gesamte, dem Imperialismus zuarbeitende Bürgertum über die Klinge springen muß. So ist es nicht verwunderlich, daß Ab-imael Guzman, als ehemaliger Universitätsdozent (Dissertation über Kant) Chefideologe der Gruppe, der „peruanische Pol Pot" genannt wird.

Nur Staatspräsident Belaunde verkennt die Lage und sucht mit Frontalangriffen zu verharmlosen, indem er den „Sendero" als kriminelles Werk einiger „Ideologietransnationaler" hinstellt (und lächerlicherweise die jungen französischen, holländischen und deutschsprachigen Entwicklungshelfer dafür verantwortlich macht).

Angehörige der unteren Schichten jubeln der Guerilla zwar nicht zu, rühren aber keinen Finger, um die rottende alte Ordnung zu retten. „Barriga llena muere", formulierte trocken ein Taxifahrer: „Wer einen vollen Bauch hat, stirbt!"

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung