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Bobbio's Coup

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Die ersten schweren Unruhen seit dem Beginn der Militärregierung und der Miniaturaufstand des Generals Bobbio, bei dem zum erstenmal seit einem halben Jahrhundert peruanische Soldaten aufeinander schössen, werfen die für die Orientierung und Entwicklung Lateinamerikas wichtige Frage auf, ob das „peruanische Experiment“ im Begriff ist, zu scheitern.

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Die ersten schweren Unruhen seit dem Beginn der Militärregierung und der Miniaturaufstand des Generals Bobbio, bei dem zum erstenmal seit einem halben Jahrhundert peruanische Soldaten aufeinander schössen, werfen die für die Orientierung und Entwicklung Lateinamerikas wichtige Frage auf, ob das „peruanische Experiment“ im Begriff ist, zu scheitern.

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„Weder Kapitalismus noch Kommunismus“ ist zu einem Schlagwort der „Dritten Welt“ geworden, das man in Peru sehr emstgenommen hat. General Francisco Morales Bermudez, der seit acht Monaten die Schicksale des Landes leitet, nannte in einer kürzlich gehaltenen Rede als Ziel der peruanischen Revolution eine „voll humanisierte Gesellschaft, weder kapitalistisch noch marxistisch“. „Der Leitstern dieser Revolution ist der Humanismus und du Kreuz als Symbol Christi.“ (Der Präsident ist in einer Jesuitenschule erzogen worden.) „Der neue Typ einer authentischen Revolution“ ist ein Begriff, den man der peruanischen Masse mit einer intensiven Propaganda eingehämmert hat.

Zum 7. Jahrestag der Agrarreform sagte der Premier und Kriegsminister General Jorge Fernändez Maldonado in Lima: „Für die überwältigende Mehrheit des Volkes bleibt klar, daß der Kapitalismus ein System ist, das nach dem unausrottbaren Gesetz unserer historischen Realität zu verschwinden hat; aber wir werden nicht die bürokratische oder totalitäre Staatswirtschaft einführen, zu der uns wahnsinnige Linkskreise treiben wollen.“ Die Agrarreform, bei der über zehn Millionen Hektar und 2,7 Millionen Stück Vieh enteignet, die Latifundien geteilt und die Minifundien zum Teil miteinander vereinigt wurden, stellt das auf desem Gebiet

interessanteste Experiment in Lateinamerika dar. Es bleibt immer noch abzuwarten, ob das Bildungsniveau und die organisatorischen Fähigkeiten der Indios ausreichen, um eine sinnvolle Agrarwirtschaft aufzubauen.

Die antikapitalistische Politik zeigt sich in der Verstaatlichung der Minen- und Fischereiindustrie, sowie der Zeitungen. Dabei aber wurden ultralinke, prokommunistische Elemente zu Gewerkschaftsführern und Chefredakteuren, die nun mit Streiks und anderen Maßnahmen der Revolutionsregierung außerordentliche Schwierigkeiten bereiten. Im August 1975 wurde General Velasco Alvarado nach siebenjähriger Herrschaft gestürzt. .Man warf ihm nachträglich Despotie und Selbstbeweihräucherung vor. Sein Gesundheitszustand — Kreislaufstörungen, die zur Amputation eines Beines führten — könnte seine zunehmende Verbitterung und seine „harte Linie“ besser erklären. In den acht Monaten, die jetzt ein neuer Präsident am Ruder ist, hat dieser die Uhr der ..Demokratisierung“ erst vor- und dann nachgestellt. Er erließ eine Amnestie, die eine Rückkehr aller Emigranten ermöglicht hätte. Als die Parteien dann Wahlen verlangten, sagte er „nein“. Die Tageszeitungen bleiben verstaatlicht, aber die kommunistischen Redakteure wurden entlassen. Da die Tagespresse gleichgeschaltet

bleibt, schießen private Wochenschriften aus dem Boden. Der Präsident war vier Jahre lang Wirtschaftsminister, aber in Peru ergab sich bald das gleiche, das man in so vielen lateinamerikanischen Ländern beobachtet In einer kapitalistischen Welt läßt sich eine antikapitalistische Wirtschaftsordnung nicht durchsetzen. Angesichts der alsbald ausbrechenden Wirtschaftskrise blieb nichts anderes übrig, als auf die traditionellen Methoden der Stabilisierung zurückzugreifen. Man wertete den „Sol“, die peruanische Währung ab, und zwar gleich um 44 Prozent, man erhöhte die Tarife der Verkehrsmittel um 30 Prozent, die Preise lebenswichtiger Artikel um 57 Prozent und die Preise der Brennstoffe um 117 Prozent. Gleichzeitig wurden die Löhne um 25 Prozent erhöht und auf ein Jahr eingefroren. Die Folge dieser Maßnahmen waren schwere Unruhen in Lima und anderen Städten. Nun verhängte die Regierung das Ausnahmerecht, führte eine Sperrstunde von 22 bis 5 Uhr ein und schloß die Redaktion der oppositionellen Wochenschriften.

Gleichzeitig zeigte sich in Peru die auch in anderen Ländern zu beobachtende Zwietracht unter den Offizieren. Der Leiter der Militärschule, Brigadegeneral Carlos Bobbio Cen-turiön, verlangte, daß die Offziere die Macht an die Parteien zurückgeben, da sie selbst mit der Krise nicht fertig würden. Die anderen Generäle lehnten dies ab. General Bobbio müsse gehen, erklärten sie. Statt dessen organisierte er einen Aufstand in seiner Militärschule. Als Infanteristen ihre Kameraden beschossen, Flugzeuge Bomben zu werfen drahten und die Kameraden Bobbio gut zuredeten, gab er nach und wurde von einem Helikopter zu unbekannten Zielen abgeholt. Die Unruhen und der Protestakt des Generals Bobbio haben die Haltung des Militärregimes nur noch verhärtet. Inwieweit sie einen Anschluß Perus an die antimarxistische Front Lateinamerikas anbahnen, bleibt abzuwarten.

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