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Geistige Narkotika

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Nun steht uns also tatsächlich jenes Machwerk ins Haus, das von den Machthabern des ORF so geheimgehalten wird, daß man es - trotz zahlreicher Anforderungen - bisher nur jenen vorgeführt hat, denen die Vorführung nicht verweigert werden konnte. Von der ominösen „Staatsoperette” ist die Rede. Alle jene, die noch nicht alle Werte über Bord geworfen haben, bezeichnen sie als einmalige Geschmacklosigkeit. Und wie die Entstehungsgeschichte dokumentiert, hat sie auch bei den zuständigen ORF-Funktionären ein véritables Bauchweh hinterlassen (ohne daß diese sich bisher dazu hätten aufraffen können, die Ursache dieses Bauchwehs durch ein kräftiges Abführmittel zu beseitigen).

Dieses Bauchweh ist berechtigt - auch dann, wenn man keine Geschmacksrücksichten gelten lassen will. Uber den Inhalt wurde hier schon berichtet, über jenes Sammelsurium von Clowns, in denen der Zuschauer unschwer Seipel, Dollfuß, aber auch Otto Bauer erkennen kann, und die vorgeben, Szenen der Zwischenkriegszeit satirisch zu interpretieren. Man könnte schon darüber diskutieren, ob das erwähnte Machwerk nicht bereits gegen den Paragraphen 2 Abs. 3 des Rundfunkgesetzes verstößt, der die Bedeutung der Kirchen bei der Planung des Gesamtprogramms zu berücksichtigen befiehlt. Sicherlich aber verstößt es gegen die Erläuterungen der Programmrichtlinien zum Programmauftrag, für „einwandfreie Unterhaltung” zu sorgen. Denn dort heißt es: „Einerseits bedeutet .einwandfrei das Mindestgebot, daß der Programminhalt nicht gegen strafgesetzliche Bestimmungen verstoßen darf, anderseits bedeutet .einwandfrei” auch, daß bei Inhalt und Darbietung von Unterhaltung auf die Wertvorstellung des Durchschnittshörers und - sehers Rücksicht zu nehmen ist.” Und weiter: „Dabei geht es nicht um die undifferenzierte Beurteilung auf Grund statistischer Erfassung der zustimmenden und ablehnenden Haltung des Publikums.” Also doch wohl darum, wäre zu ergänzen, daß auch auf die Wertvorstellungen „konservativer Minderheiten” Rücksicht genommen werden muß (wenn sich schon die „schweigende Mehrheit” nicht zum Protest aufrafft).

Oder soll die „Staatsoperette” nicht unter den Begriff „Unterhaltung” fallen? Soll sie als satirische Dokumentation, sogar mit volksbildnerischem Effekt, gewertet werden? Dann umso mehr: „Politische Bildung im weitesten Sinne soll sowohl das Verständnis für alle Fragen des demokratischen Zusammenlebens fördern, als auch zu eigenem politischen Handeln und selbständiger Entscheidung führen,” heißt es im Paragraph 1.4 der Programmrichtlinien. Ob das „Verständnis für das demokratische Zusammenleben” gefördert wird, wenn der politische Gegner von einst auf mieseste Weise verunglimpft wird, wage ich zu bezweifeln. K

Diese Pamphlet wird zunächst vom Unterrichtsministerium mit einer Million subventioniert. Für dieses Pamphlet hat der ORF weitere Millionen aus Teilnehmergebühren für die Produktion flüssig, wobei die Angaben zwischen vier und sieben schwanken. Und das alles für die perverse Schnapsidee eines Jungfilmers, der die Schuld an solchen „Einfallen” bestenfalls auf einen schlechten Geschichtsunterricht abschieben kann?

Oder steckt mehr dahinter? Vielleicht noch gar nicht voll bewußt? Versuchen jene, für die Österreichs Geschichte bisher 1918 begonnen hat und denen alles, was vor dem Stichtag 11. November lag, dunkelste Urzeit feudalistisch-bourgeoiser Greuel bedeutete, nun die Marke bereits vorzuschieben, möglichst bis 1970 vor? Jene, für die Geschichtsbewußtsein eo ipso schlecht ist, denen die Bewältigung auch konfliktreicher Erinnerungen gegen das Konzept geht, weil sie geeignet erscheint, die Schuld vor der Geschichte gerechter zu verteilen, als es die zeitgenössische Publizistik wahrhaben wollte? Jene, die den Haß brauchen, um ihre Konzepte zu verwirklichen? Jene Ideologen und ihre künstlerischen Mitläufer, denen Werte wie Wahrhaftigkeit, Anstand, Achtung vor längst toten Gegnern, ja vor ihren eigenen ebenfalls toten Parteigängern, Achtung vor der historischen Wahrheit Fremdworte sind, ebenso Fremdworte wie die Begriffe Ehe, Treue, Nächstenliebe. Es würde übereinstimmen mit jenen Tendenzen, die eine Flut von ehefeindlichen, die Familie in Frage stellenden Sendungen loslassen in jenem Moment, wo von der Politik her ein neues Scheidungsrecht propagiert wird. Oder mit jenen andern, die die Kirche - trotz Rundfunkgesetz siehe oben - in das Getto von „Belangsendungen” verbannen und darüber hinaus religiöse Bräuche „zu allen heiligen Zeiten” unter Folklore rangieren lassen möchten.

Gegen den Rauschgiftmißbrauch wird heute mit allen Mitteln ange- kämpft obwohl (angeblich) „die Jugend” in ihrem „berechtigten Aufstand gegen das Establishement” in immer größerem Ausmaß zu ihnen greift. Die verheerende, ebenso schleichende Wirkung jener geistigen Narkotika, die tagaus, tagein von unseren Bildschirmen flimmern, hat noch niemand zum Anlaß genommen nachzudenken?

Daß die (körperliche) Gesundheit immer größere Investitionen erfor- • dert, macht zur Zeit eine der Hauptsorgen aus. Daß es auch eine geistige Gesundheit gibt, die (noch) nicht unmittelbar in psychiatrischen Behandlungstagen gemessen werden kann, für die aber auch Sorge nottut, wird bewußt ignoriert. Die Folgen werden wir alle zu spüren bekommen.

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