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Gesamtschule im Sdiulenstreit

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Chancengleichheit bedeute, daß auch der begabte Schüler die Chance haben müsse, seine Begabung zu nützen. Mit dieser Feststellung rückte Unterrichtsminister Gratz Ende vergangenen Jahres bei einer vom Katholischen Mittelschüler- Kartell-Verband veranstalteten Diskussion vom Nivellierungskonzept der sozialistischen Schulreform deutlich ab. Aufmerksame Beobachter schlossen daraus auf eine Aufweichung der Fronten bei den führenden Schulreformen! der beiden Großparteien, die in dieser Frage aufeinander angewiesen sind, weil die SchuLgesetzigebung nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden kann.

Nur wenige Monate später wurde eine ähnlich überraschende und im eigenen Lager ebenso beargwöhnte Tat gesetzt. ÖVP-Schulsprecher Adolf Harwalik erklärte in der von der ÖVP-Bundesparteileitung herausgegebenen „Aktuellen Kulturpolitik“ in glasklaren Formulierungen, was unter der Hand schon längst gemunkelt wurde, nämlich, daß sich in der großen Oppositionspartei die Stimmen mehren, die in der Gesamtschule keine weltanschauliche, sondern ganz einfach (und gar nicht so abwegig) eine pädagogische Frage sehen.

Viel Dank hat Harwalik nicht geerntet. Die Wellen der Empörung gingen hoch. Bittere Briefe häuften sich auf seinem Schreibtisch, und er mußte sogar bei einer Sitzung der Parlamentsfraktion der Volkspartei seine Meinung verteidigen. Aber schließlich hatte er sich kein Blatt vor den Mund genommen. Man hätte ihm sicher noch nachgesehen, wenn er bloß „Wissenschaftspädagogen unserer Denkungsart“ zitiert hätte, welche die Gesamtschule als eine mögliche moderne Lösung drängender pädagogischer Probleme ansehen. Unverzeihlich wurde hingegen die Entideologisierung der Frage gefunden.

Harwalik: „Die Gesamtschule ist kein neomarxistisches Unternehmen, und Glöckel darf nicht als letzte Aus flucht vor notwendigen pädagogischen und bildungspolitischen Auseinandersetzungen bemüht werden!“ Ein weiterer Satz wurde von den Harwalik-Gegnern als Frontalangriff empfunden: „Wir wollen keine fremden Dogmen übernehmen, aber die ÖVP darf auch kein bildungspolitisches Verschlußprogramm verschulden.“

In der Zusammenschau der in den Großparteien eingetretenen Wandlungen nimmt sich die Sache weniger wüd aus. Wenn der Unterrichtsminister keine Nivellierung anstrebt, so bietet sich die Gesamtschule schon aus organisatorischen Gründen als aussichtsreicher Versuch für eine Schulreform an — um so mehr, als die Gesamtschule eine große Flexibilität hinsichtlich der Neigungsund Begabungsscliwerpunkte zu bieten verspricht.

Das bedarf jedoch erst eines Nachweises in der Praxis. Und mehr wollen die maßgeblichen Schulpolitiker noch gar nicht. Fred von ideologischem Ballast will man Erfahrungs werte sammeln können. Wie es den Form begrenzter und kontrollierter Anschein hat, wird das — im Einver- Schulversuche auch geschehen, und nehmen von SPÖ und ÖVP — in zwar schon relativ bald.

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