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Hadschi Damokles

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Wann werden die Industrienationen endlich ihre Lektion lernen, wann werden sie begreifen, daß sich Charakterlosigkeit und nationaler Egoismus nicht bezahlt machen? Noch nie war Henry Kissinger so erfolglos wie bei seiner Stippvisite zu den „Freunden“ Amerikas in Europa und Japan, die er zu, einer gemeinsamen Front gegen die arabische ölerpressung zu animieren suchte. Dies sei viel zu riskant, wurde ihm bedeutet. Als ob die Unterwerfung unter das arabische Diktat weniger risikoreich wäre.

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Wann werden die Industrienationen endlich ihre Lektion lernen, wann werden sie begreifen, daß sich Charakterlosigkeit und nationaler Egoismus nicht bezahlt machen? Noch nie war Henry Kissinger so erfolglos wie bei seiner Stippvisite zu den „Freunden“ Amerikas in Europa und Japan, die er zu, einer gemeinsamen Front gegen die arabische ölerpressung zu animieren suchte. Dies sei viel zu riskant, wurde ihm bedeutet. Als ob die Unterwerfung unter das arabische Diktat weniger risikoreich wäre.

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Ein Solidaritätsplan — so verlautet in Brüssel — sei in Ausarbeitung. Ob er je zustande kommt? Im großen Welttheater wird eben der Charakter an der Garderobe abgegeben. Nur peinlich für einige Staaten, daß sie selber von den niederländischen Raffinerien teilweise abhängig sind und daher mit 'in der Klemme stecken.

Der „Erfolg“ dieser Haltung ist auch nicht ausgeblieben: Wer bisher glaubte, daß „divide et impera“ ein lateinisches Sprichwort sei, der wurde nun eines Besseren belehrt; es ist ein arabisches.

Wie virtuos die Araber diese Maxime zu realisieren verstehen, haben sie dieser Tage wieder in Algier bewiesen: Da wurden Zensuren verteilt und demgemäß die Zuteilungen fixiert. Man ließ auch erkennen, daß man die ölwaffe wegen ihrer Effektivität in Permanenz dem politischen Arsenal einverleiben und nicht nur allein im Falle Israel anzuwenden gedenkt. So wurden, um den Schwarzafrikanem einen Gefallen zu erweisen, gleich auch Südafrika, Rhodesien und Portugal die ÖHie-ferungen gesperrt.

Mit dem vielzitierten „Abdrehen des ölhahnes“ hat es nämlich seine eigene Bewandtnis: sprudelt einmal das Öl aus der Erde, kann man es kaum mehr stoppen. Eine Restriktion ist daher kurzfristig nur in sehr bescheidenem Umfang möglich. Die Araber sind aber viel zu gute Geschäftsleute, als daß sie ihr öl im Sand versickern ließen. Sie müssen verkaufen und teilen daher gute Zensuren aus, um ihr Gesicht zu wahren.

Über die langfristige Strategie macht sich aber in den Industriestaaten niemand Gedanken. Dabei sind diese viel gravierender. Werden die Aufschließungsinvestitionen verlangsamt, so sinkt die künftige Förderleistung, und öl wird rarer, ganz unabhängig davon, wie die Nahost-Friedensverhandlungen verlaufen. Denn verzögerte Aufschließungen lassen sich nicht so schnell wieder reparieren. Je rarer aber das öl, desto höher der Preis.

Die Konkurrenz des Öles an den Meeresküsten der Industriestaaten und in den Polargebieten brauchen die Araber dabei nicht zu fürchten. Abgesehen davon, daß die Mengen nicht so groß sind, daß die OECD-Staaten (Westeuropa, Nordamerika, Japan) auf arabisches öl verzichten könnten — die reichsten außerarabischen Schelfgebiete, die amerikanischen, enthalten, den bisherigen Schätzungen zufolge, insgesamt nur Reserven in Höhe des Jahresbedarfs der Welt 1972, auch wird die Gewinnung sehr kostspielig seih. Die Araber, wenngleich sie selber noch für längere Zeit auf billigem öl sitzen, können daher ruhig die Preise in die Höhe treiben, ohne Unterbietung seitens der Konkurrenz fürchten zu müssen.

Was an öllieferungen sofort gedrosselt werden kann, das wird gedrosselt. Beinahe gleichzeitig mit der Konferenz von Algier, auf der speziell die Franzosen und Briten gute Zensuren bekamen, wurde in Großbritannien die Rationierung von Benzin bekannt gegeben. Daran, daß die Lieferquoten unter den Mengen von 1972 bleiben — mit anderen Worten: daß in kommerziell vertretbarem Maß restringiert wird — ändern auch freundliche Worte nichts.

Von einer Erhöhung der Lieferquoten, wie sie für die weitere Wirtschaftsexpansion in den Industriestaaten notwendig wären, kann keine Rede sein. Bundeskanzler Brandt machte den Deutschen in den letzten Tagen schon ziemlich unverblümt klar, daß sie mit einem weiteren Wachstum kaum rechnen dürfen. Andere Staatsmänner sind weniger offen, werden schließlich aber auch Farbe bekennen müssen.

Darüber hinaus behalten sich die Araber das Recht vor, das Wohlver-halten der Euro-Japaner auch in Zukunft zu zensurieren und sie je nachdem mit höheren oder niedrigeren Quoten zu belohnen oder zu bestrafen, dabei die einen gegen die anderen ausspielend. Das Schwert des Hadschi Damokles — auch er längst kein Grieche mehr — hängt weiterhin über den Köpfen der öldurstigen Euro-Japaner.

So besehen, war die „Aktion Knieweich“ ein eindeutiges Fiasko. Die Nachgiebigkeit gegenüber den Arabern kann obendrein böse Beispielfolgen bei den übrigen Rohstoffnationen haben, die ihrerseits die begehrten Ressourcen künftig für politische und wirtschaftliche Erpressung verwenden könnten.

Heute spricht man so viel von der Atomkraft, die die konventionellen Energieträger ablösen soll. Was aber, wenn sich die Uran fördernden Staaten zu einem Lieferboykott nach arabischem Vorbild zusammenschlössen?

■Einzig richtig wäre es gewesen, hätten die OECD-^Staaten solidarisch auf die arabischen Repressalien reagiert, diesen Staaten beweisend, daß auch sie Trümpfe in der Hand halten, die nicht so ohne weiteres ersetzbar sind.

Die Palette der Gegenrepressalien wäre reichhaltig. Sie reicht vom Lieferstopp bei Nahrungsmitteln und Investitionsgütern über die Verweigerung technischer Hilfe bis zur Heimsendung arabischer Studenten und Gastarbeiter; des weiteren könnte an eine Aufhebung der GATT-Begünstigungen und eventuell sogar an eine Seeblockade gedacht werden. Aber die OECD-Staaten ziehen es vor, sich jeder einzeln im eigenen Fett schmoren zu lassen, um der ganzen Welt zu demonstrieren, daß sie Papiertiger sind. Sicherlich, die Zeiten der Kanonenboot-Diplomatie sind vorbei. Man muß aber deswegen noch lange nicht ins andere Extrem der völligen Passivität verfallen.

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