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Hornberger Schießen in Europa

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Die EWG-Finanzminister, zusammen mit ihren Kollegen aus den beitrittswilligen EFT A - Ländern,

wollten es den Amerikanern durch einschneidende Beschlüsse einmal richtig zeigen. Sie gingen am Abend unverrichteter Dinge auseinander und verkündeten forsch, jedes Land werde die Dollarkrise auf seine Weise in die Hand nehmen und selbstverständlich meistern. Hornberger Schießen in Brüssel. Mit Folgen, die auch Österreich unmittelbar betreffen.

Das bedeutet also, daß das Gesetz des Handelns weiterhin bei den Amerikanern bleibt und diese die längst überfällige Währungsreform bequem in ihrem Sinne werden durchführen können. Hinterher wird es wieder an Entrüstung darüber nicht fehlen, daß die bösen Amerikaner den Dollar auf Kosten ihrer Verbündeten sanieren; daß es die Europäer nur ihrer eigenen Uneinigkeit verdanken, wenn es so weit kommt, wird niemand wahrhaben wollen.

Nur ein gemeinsames Vorgehen könnte die Währungsreform im europäischen Sinne noch steuern und ein abermaliges Überspieltwerden durch die USA verhindern. Denn wenn Präsident Nixon die Währungsordnung in dem ihm genehmen Augenblick platzen lassen konnte, wenn die Europäer und Japaner die Belämmerten sind, so ist das ihre eigene Schuld: Sie wußten seit langem, daß eine Reform vonnöten ist, ja sie riefen danach — aber sie fanden keine gemeinsame Linie und taten von sich aus nichts. Wer aber mutwillig unter einem lockeren Dachziegel stehen bleibt, soll sich nicht wundem, wenn er ihm auf den Kopf fällt

Die westlichen Wirtschaftspolitiker sollten einmal ein Privatissimum bei ihren Ostblockkollegen nehmen: diese beschweren sich nämlich in vertraulichen Gesprächen immer bitter über den überhöhten Rubelkurs, der sie zwingt, ihre Erzeugnisse der Sowjetunion billig zu liefern und selbst bei ihr teuer zu kaufen. Sie sehen den Rubelkurs für ein Werkzeug des sowjetischen Kolonialismus, der wirtschaftlichen Ausbeutung an.

Auch der Dollar, die Währung der westlichen Vormacht, hat, gemessen an der Kaufkraft, einen überhöhten Kurs. Er bewirkt es, daß die westlichen Industrieländer (zu denen, der Geographie zum Trotze, auch Japan gehört) ihre Waren an die Vereinigten Staaten unter ihrem Wert verkaufen, dafür Dollar erhalten, rttit denen sie in dieser Menge nichts mehr anzufangen wissen, deren flängst unechter Wert ihnen schließlich unter den Händen zerrinnt. j

Der. überhöhte Kurs gibt auch den Amerikanern die Möglichkeit, billig europäische Unternehmen aufzukaufen oder eigene Tochterwerke hier zu erreichten; grundsätzlich wäre ja gegen/ diesen Kapiitalzustrom nichts einzu^venden, würde den Amerikanerin nicht durch den falschen Wech selkurs ein Sonderrabatt gewährt der wiederum daran schuld ist, i venn der Kapitalstrom allzu mach tig anschwillt.

Solange der Vietnamkrieg im vollen Cjrange war, kam den Amerikanern der billige Jakob aus Europa und Japan gerade recht Er sorgte für efm ausreichendes Warenangebot trotz Bindung eines Teiles der amerikanischen Arbeits- und Produktionskräfte durch den Krieg, wirkte preisdämpfend und verhinderte zunächst eine Neuauflage der weltweiten Korea-Hausse (die uns freilich nun auf dem Umweg über die Dollarschwemme nachgeliefert wird).

Durch ihre billigen Lieferungen infolge Beibehaltung des überhöhten Dollarkurses wurden aber die westlichen Industrieländer zu Mitfinanciers des Vietnamkrieges. Zwar mißbilligten die meisten von ihnen diesen Krieg, sie ließen Protestkundgebungen vor amerikanischen Botschaften zu, in Frankreich und noch mehr in Schweden sahen sich sogar die Regierungen in ziemlich unkritischer Selbstgerechtigkeit bemüßigt, den Amerikanern Moralpauken zu halten; aber wenn es darum ging, den so sehr verurteilten Krieg durch „Währungsdumping“ mitzufinanzieren, dann waren sie alle dabei, berauscht von den Ausfuhrerfolgen auf dem amerikanischen Markte, „high“ durch die steigenden statistischen Kurven.

Seit Nixon den Vietnamkrieg entschlossen abbaut, werden laufend Arbeitskräfte und Industriekapazitäten freigesetzt. Die Arbeitslosigkeit in den USA, sogar während des Krieges nie ganz überwunden, erreicht nun Rekordhöhen, zum mindesten nach heutigen Begriffen: in den dreißiger Jahren hätte man freilich „nur“ 6 Prozent Arbeitslose als Fast-Vollbeschäftigung bezeichnet.

Unter den geänderten Verhältnissen werden nun die euro-japanischen Zulieferungen lästig, wirken die Vorteile, die sich für die USA aus dem überhöhten Dollarkurs ergeben, störend. Die amerikanischen Gralshüter des GATT-Vertrages, des internationalen Zollabkommens, werden auf einmal selbst zu Sündern und führen eine GATT-widrige Importabgabe ein, die einfuhrseitig die Wechselkursverzerrung berichtigt und den billigen Jakob vor die Türe setzt.

Die Financiers des Vietnamkrieges bekommen den Fußtritt. Auf den Kapazitäten, die sie im Hinblick auf den amerikanischen Markt ausgebaut, und auf den Dollars, die sie so wacker verdient haben, bleiben sie sitzen — und das zu einer Zeit, in der auch die eigene Konjunktur vorbei ist und der Absatz überall schwieriger wird.

Jetzt wird Amerika von sich aus in irgendeiner Form jene Wechselkursberichtigung erzwingen, welche die Europäer und Japaner in einem für sie günstigeren Zeitpunkt unterlassen haben. Statt nun wenigstens, spät, aber doch, eine gemeinsame Linie zu finden, um den Amerikanern Bedingungen stellen zu können, geht jedes Land seinen eigenen Weg; statt die wirtschaftliche Wirklichkeit endlich währungspolitisch zur Kenntnis zu nehmen, werden Mittel und Wege gesucht, sich an der Wirklichkeit vorbeizustehlen.

Am wenigsten steht es aber den Europäern heute an, die Entrüsteten zu spielen: es wäre in ihrer Macht gestanden, rechtzeitig für Änderungen zu sorgen. Wenn sie darüber klagen, daß sie den amerikanischen Markt jahrelang billig beliefert haben und nun mit ihren Dollars dastehen, so kann man sie nur mit den Worten des gütigen Kaisers Ferdinand fragen: „Wer hat’s ihnen denn g’schafft?“

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