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Herrschaft der Meinung

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Edgar Traugott ist Chefredakteur der „Nürnberger Zeitung“, und nur wenige Journalisten dürften so kompetent sein wie er, die Herrschaft der Meinung einer kritischen Analyse zu unterziehen. Traugott besitzt nämlich die notwendige Distanz zu den Massenmedien, vielleicht oder gerade deshalb, weil er selbst in ihnen arbeitet, und er ist ein philosophisch geschulter Kopf — eine Rarität im heutigen Zeitungs- wesien —, was ihn befähigt, den Kern der Dinge bloßzulegen. Trau- gotts Sorge ist es, daß sich in dem vor sich gehenden Wandei von der streng repräsentativ-parlamentarischen zur massenabhängigen Demokratie die Parteien als die Meinungsführer keinen originären Willen mehr Zutrauen und sich in völlige Abhängigkeit von den Massenmeinungen begeben. Damit nämlich würde sich politisches Handeln nicht mehr als ein freies, sich selbst verantwortendes Handeln verstehen, sondern als mechanisches Vollziehen von „Aufträgen“ einer Mehrheitsmeinung.

Traugott unternimmt unter anderem den Versuch, die Wirkung der politischen Umfragen darzustellen und ihre Entwicklungsmöglichkeiten zu prüfen. Er befragte zu diesem Zweck eine Anzahl aktiver Politiker, Demoskopen und Soziologen und ging dem Phänomen in den Dokumenten der Zeitgeschichte und der wissenschaftlichen wie publizistischen Kritik nach. Dabei entdeckte er die Antinomie zweier Argumente, von denen jedes einzelne in seiner Art kategorisch wirkt:

1. Der vom Volk bestellte Politiker dürfe nichts tun, was dem (nun ermittelbaren) Willen des Volkes direkt widerspricht, und

2. dem demokratisch bestellten Politiker dürfe seine persönliche Sach- und Gewissensverantwortung durch keine Umfrage . abgenommen werden, weil eine andere Haltung die Auflösung jeder verantwortlichen Führung und Politik durch eine schwankende öffentliche Meinung bedeuten würde, deren Mangel an Information, Gemeinsinn und Verantwortungsfähigkeit gerade die Umfragen am allerdeutlichsten und grausamsten erkennen lassen.

Strauß, der damals wegen seines Vorgehens im Zusammenhang mit der Spiegel-Affäre zum deutschen Buh-Mann wurde, beeinflußte aber weder das Wählervolk noch die Popularität des Politikers bei seiner eigenen Partei.

Die CDU siegte in Bayern überlegen, und Strauß wurde mit überwältigender Mehrheit zum Parteivorsitzenden gewählt. Hier zeigte sich die Wirkung der Meinungsumfragen auf das tatsächliche Geschehen als gering. Die Forderungen der FDP nach einem Gesamtdeutschen Ministerium und die besondere Aktivität, die ihr damaliger Partei- vonsitzender Dr. Mende dort entfaltete, wurden hingegen durch die Ergebnisse der Umfragen entscheidend beeinflußt.

Interessant sind auch Traugotts Ausführungen über den Einfluß der Demoskopie auf das Godesberger Programm der SPD, der es mit diesem Programm gelang, aus dem „Käfig der 30 Prozent“ auszubrechen, der sie zu einer „immerwährenden Opposition“ qualifiziert hätte. Die SPD hatte sich selbst in diesen Käfig begeben, weil sie nahezu gegen alle politischen Grundsatzentscheidungen des jungen Staatswesens Widerstand leistete, gegen das atlantische Bündnis, die europäische Einigung, die Wiederbewaffnung, die Marktwirtschaft, das freie Unternehmertum und den liberalen Ausgleich der Kirchen. Dabei verband sich die Kritik der SPD größtenteils mit dem, was sich literarisch, in Presse und Rundfunk, als beherrschender Zeitgeist äußerte. Allerdings zeigte das Ergebnis der Bundestagswahl im Oktober 1957, daß die deutschen Wähler anders dachten als Deutschlands Literaten und Journalisten. Die CDU-CSU erhielt mehr als 50 Prozent der Stimmen. Das Godesberger Programm hieß nun SO' zifrtiMeh. «JFsfe.gut, was die SPD vorher^bekämpft'hatte. Der Erfolg blieb nicht aus und der Prozentsatz der deutschen Sozialdemokratie stieg weit über 40 Prozent.

Traugott zeigt auch die Fäden der Regie auf, die Willy Brandt mit allen Mitteln der Massenpsychologie aufibaute, als er zum Parteivorsitzen den der SPD gewählt wurde, und wie er geschickt „im Wind des jugendlichen Helden Kennedy“ segelte. Mit Begriffen wie „frische Kräfte“, „unverbrauchte Ideen“, „neue Wege“ wurde das Vaterbild Adenauers verdeckt. Nicht minder wichtig für die gegenwärtige deutsche Entwicklung war der Umschwung, der durch die Bildung der großen Koalition im Jahre 1966 eintrat, als die Frustration in der Wiedervereinigungspolitik nicht nur zur Räumung bisheriger Positionen geführt hatte, sondern auch dazu, daß der ganze Hauptkomplex des politischen Unbehagens, das sich bisher fast zur Gänze auf Ost-Berlin gerichtet hatte, weitgehend in den Hintergrund trat und von einem stürmischen Unbehagen abgelöst wurde, das sich auf Bonn, das „Establishment“ und die gesamte „Gesellschaft und Demokratie in Deutschland“ richtete. In diesem Reform wind segelt die APO.

Vieleicht ist das Tröstende an den Ausführungen Traugotts sein Nachweis, daß auch die Macht der Macher begrenzt ist. Dennoch ist die Bedeutung der Demoskopie ungeheuer, nicht minder auch ihre Gefahr. Bewundernswert ist an Traugotts Buch die souveräne Verarbeitung des Materials, die gute Übersicht und die interessante Darstellung.

„DIE HERRSCHAFT DER MEINUNG" von Edgar Traugott, Bertelsmann Universitätsverlag, Düsseldorf 1970. 210 Seiten.

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