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Kein Hauch des Neuen

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Während die CDU auf ihrem Parteitag in Wiesbaden lustloser als erwartet die Übernahme der Regierungsgewalt nach den Wahlen ankündigte und bereits erläuterte, wie sie das Erbe von Brandt und Scheel zu verwalten gedenke, agierten Vertreter der SPD/FDP-Koalition noch einmal auf jener Bühne, auf der sie sich in ihrer dreijährigen Amtsperiode am sichersten gefühlt haben: sie trieben noch eine große Außenpolitik.

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Während die CDU auf ihrem Parteitag in Wiesbaden lustloser als erwartet die Übernahme der Regierungsgewalt nach den Wahlen ankündigte und bereits erläuterte, wie sie das Erbe von Brandt und Scheel zu verwalten gedenke, agierten Vertreter der SPD/FDP-Koalition noch einmal auf jener Bühne, auf der sie sich in ihrer dreijährigen Amtsperiode am sichersten gefühlt haben: sie trieben noch eine große Außenpolitik.

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Scheels Pekingreise bildete den zu diesem Zeitpunkt etwas überraschenden Abschluß einer außenpolitischen Aktion und läßt sich mühelos als Wahlschlager ausnutzen. Staatssekretär Bahrs Moskaureise dagegen war nur ein vorletzter, allerdings reichlich spektakulärer Schritt zu einem Vertragsabschluß mit der DDR, der erst rechtzeitig erfolgen mußte, um noch bare Münze im Wahlkampf zu sein.

Der zeitliche Zusammenfall der beiden Reisen, das Uberraschende an Bahrs Mission und die Geheimhaltung um sie, ließen zunächst den Verdacht aufkommen, beide könnten in einem kausalen Zusammenhang miteinander stehen. SPD und FDP wurden hier ein Opfer ihrer eigenen Argumente, mit denen sie die Ergebnisse von Exaußenminister Gerhard Schröders Chinareise im Sommer abzuwerten versuchten! Damals erklärte die Regierung, das Tempo der Verhandlung zur Aufnahme diploma-' tischer Beziehungen mit China müsse gedrosselt werden, da sonst die Sowjetunion, noch immer wichtige Macht im Versuch, mit der DDR vertraglich ins reine zu kommen, verstimmt sein könnte. So richtig dieses Argument im Hinblick auf manche allzu forschen Pläne, mit der chinesischen Karte die russische zu stechen, waren, so zeigt Scheels jetzige Reise, daß die Regierung, wenn es die innenpolitische Auseinandersetzung opportun erscheinen läßt, auch in dieser Frage außenpolitische Beharrlichkeit und Schnelligkeit aufbringen kann.

Es hätte nicht nur der Dementis von seiten der Regierung und der Information über die tatsächlichen Inhalte von Bahrs Gesprächen mit Breschnjew bedurft, um zu wissen, daß nicht Scheels Reise nach Peking seinen Regierungskollegen nach Moskau geführt hatte. Etwas zu Routinemäßiges lag über Scheels Aufenthalt im Reich der Mitte. Zu sehr war schon vorher bekannt geworden, was er in Peking verhandeln und abschließen würde. Schließlich kann die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zu Peking heutzutage, nachdem sich China wieder mit größter Selbstverständlichkeit auf dem internationalen Parkett bewegt, nicht mehr als Sensation gewertet werden. Der Hauch des Neuen, Unheimlichen, das diesem Schritt noch im Falle Österreichs größte internationale Aufmerksamkeit sicherte, fehlte. Auch Schröders China-Visite, an deren Ende bereits die Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen der deutschen Bundesrepublik und dem Staat Mao Tse-tungs auftauchte, ließ den Vollzug dieses Schrittes nur noch als eine Frage der Zeit erscheinen.

Daß diese früher als erwartet, und von der sozial-liberalen Regierung selbst angekündigt, gekommen war, bildete nahezu das einzige überraschende Moment an diesem pittoresken Auftritt Scheels, der bei einem Wahlsieg der Christdemokraten auch einer seiner letzten wäre. Zwar versuchte man der neugewonnenen guten Beziehung zu Peking ein paar Glanzlichter durch den Ausblick auf eine Ausweitung wirtschaftlicher Beziehungen aufzusetzen. Wie schnell aber selbst weitgediehene Absprachen über den Bau ganzer Fabriken hinfällig werden, zeigten die Verhandlungen der deutschen Firmen mit der Sowjetunion über den Bau einer Lastwagenfabrik. Enthusiasmus will sich daher bei ähnlichen Ankündigungen im Falle Chinas in Kreisen der Wirtschaft nicht so recht einstellen.

Auf der Haben-Seite können die Regierungsparteien allerdings verbuchen, daß sie die Gloriole des Kandidaten der CDU für den Posten des Außenministers, Gerhard Schröder, etwas verwischt haben, da seine Chinareise durch die Regierung egalisiert wurde. Dies bedeutet einen Abstrich an der Popularität des noch immer populärsten Mannes der CDU, der, obwohl er einst mit Barzel um die Kanzlerkandidatur im Wettstreit lag, doch ein Zugpferd der Opposition darstellt. Da Schröders Image aber weder durch sein langes Schweigen in der Debatte um die Ostverträge, noch seine plötzliche unerwartete Frontstellung gegen sie, und auch seinen etwas blaß ausgefallenen Beitrag auf dem CDU-Parteitag ernstlich gelitten hat, wird ihm auch dieser Erfolg seines Kontrahenten Scheel nicht zuviel anhaben können.

Spannender als die Folgen des Pekingbesuchs dürften allerdings die der Moskaureise Bahrs sein. Auf ihr dürften die Weichen für den Grundvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR gestellt worden sein. Nachdem die DDR zuvor in der Frage der Vier-Mächte-Verantwortung für ganz Deutschland, die in dem Vertrag ausdrücklich bestätigt werden soll, ablehnend war, dürfte Bahr in Moskau Entgegenkommen für die bundesdeutsche Hartnäckigkeit bei diesem Problem gefunden haben. Auch anfängliche Proteste der DDR, in ihrem „Neuen Deutschland“ vorgetragen, dürften daran nichts geändert haben. Der Wunsch der Sowjetunion nach einen Zustandekommen der Sicherheitskonferenz, nach einer Aufnahme der beiden deutschen Staaten in die UNO, wie auch der Gedanke an eine Wahlhilfe für SPD und FDP dürften auf russischer Seite keine unbeträchtliche Rolle gespielt haben.

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