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LUKIAN

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1. Politiker: Meine Herren, ich eröffne hiermit die Sitzung. Wir sind heute zusammengekommen, um zu beraten, wie wir das erste Kernkraftwerk dieses unseres Landes so schnell wie möglich in Betrieb nehmen und dabei ein absolutes Maximum an Sicherheit garantieren können. Meine Herren, daß mir kein Sterbenswörtlein von dem, was wir da sprechen, an die Öffentlichkeit dringt! Wenn einer plaudert, schmeiß’ ich euch alle hinaus und regiere allein. Also, bis wann brauchen wir denn das Kernkraftwerk? Was sagen die Experten?

2. Politiker: Also, die Herren von der Energiewirtschaft sagen, daß sie das Kernkraftwerk in längstens ein oder zwei Jahren brauchen täten.

3. Politiker: Das würde bedeuten, daß es ausgerechnet kurz vor den nächsten Wahlen in Betrieb geht.

4. Politiker: Um Gotteswillen, entsetzlich, unausdenkbar!

1. Politiker: Meine Herren, ich kann mich nur wundern. In diesem Land werden schicksalhafte Entscheidungen von solcher Tragweite selbstverständlich ohne die geringste Rücksicht auf innenpolitische Interessen ohne Seitenblicke auf irgendwelche Wahlen, ohne parteipolitische Hintergedanken getroffen, einzig und ausschließlich nach wirtschafts-, sicherheits- und gesundheitspolitischen Erwägungen. Derlei Schielen auf tagespolitische Zusammenhänge mag vielleicht in Österreich üblich sein, um nur irgendein Land zu nennen, das wir alle kennen, aber doch nicht bei uns in Kakanien. Bei uns gibt es das nicht. Ich hoffe, ich bin verstanden.

2. Politiker: Was denkst du von uns? Keiner von uns denkt anders!

3. Politiker: Du hast mir das Wort aus dem Mund genommen!

4. Politiker: Jedes andere Vorgehen wäre schließlich mit unserer politischen und persönlichen Integrität unvereinbar.

1. Politiker: Also um so besser, und petzt müssen wir Nägel mit Köpfen machen. Welche Sicherheitsfragen sind denn noch zu klären, bevor das erste Kernkraftwerk in Betrieb gehen und die Wirtschaft unseres geliebten Kakanien mit der dringend benötigten elektrischen Energie versorgen kann?

2. Politiker: Also, wir könnten natürlich die Strahlengefahr noch einmal aufs Tapet bringen, ausländische Erfahrungen einsammeln, Fachleute hören, Physiker, Mediziner, aber wie ich die Sache sehe, würde das Abschlußergebnis einer solchen Untersuchung spätestens ein Jahr vor den nächsten Wahlen vorliegen.

1. Politiker: Wahltermine interessieren mich nicht, wir entscheiden ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten. Was haben wir denn noch?

3. Politiker: Mit dem Problem der Endlagerung ist es so eine Sache. Einerseits geht von diesem Problem eine starke Wirkung in Richtung auf die Aufschiebung der Inbetriebnahme aus, was natürlich niemand mehr bedauert als ich, auf der anderen Seite haben aber in den letzten Monaten alle so viel darüber geredet, daß diesem Komplex kaum mehr neue Seiten abzugewinnen sind. Unsere Fachleute sagen, entweder wir wollen die Abfälle nicht, dann dürfen wir keine Kernkraftwerke bauen, oder wir bauen sie,,dann haben wir einige zehntausend Jahre Zeit, mit dem Abfallproblem fertigzuwerden. Aber damit kommen wir nicht bis zur nächsten Wahl über die Runden.

1. Politiker: Wahltermine interessieren mich nicht, wir entscheiden ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten. Was haben wir denn noch?

4. Politiker: Dann wäre natürlich noch die Frage der Betriebssicherheit, ich meine die Sache mit dem Unfallschutz, Konstruktionen und so. Da bietet sich schon noch dies und das zur Klärung an.

1. Politiker: Wir müssen einen vernünftigen Kompromiß zwischen sicherheits- und energiepolitischen Erwägungen finden. Welche dieser Sicherheitsfragen sollten denn noch geklärt werden?

4. Politiker: Also, ich beschränke mich auf jene Fragen, deren restlose Klärung nicht vor den nächsten Wahlen zu befürchten ist, anderseits aber auch nicht so lang dauert, daß wir damit schon wieder in die Zeit vor den übernächsten Wahlen hineinkommen ...

1. Politiker (unterbricht ihn milde lächelnd): Wahltermine interessieren mich nicht, wir entscheiden ausschließlich nach sachlichen Gesichtspunkten. Ich sehe schon, daß noch einige wichtige Untersuchungen nötig sind, bevor das erste kakanische Kernkraftwerk seinen Betrieb aufnehmen kann. Leider, leider. Aber daß mir die Eröffnung halt ja nicht allzulange nach den nächsten Wahlen stattfindet, gelt, doch wie gesagt, das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.

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