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Mussolini, Hitler und ihre Erben

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In gewissen Widerspruch zu anderen Theoretikern sowie zum Publikum setzte sich Prof. Dr. Wolfgang Wippermann, Freie Universität Berlin, mit seinem Vortrag „Faschismus in Europa heute“ anläßlich der 11. Politischen Matinee im Europahaus Wien. Zählt man nämlich den heutigen Ostblock zum Kontinent Europa, so kann man sich wohl nachstehenden Ausführungen nicht uneingeschränkt anschließen:

„Die Tatsache, daß es heute in Europa nur wenige und noch dazu relativ bedeutungslose faschistische Parteien gibt, ist ein Beweis, daß die, wie es Ernst Nolte genannt hat, .Epoche des Faschismus' wirklich mit dem Tode Mussolinis und Hitlers zu Ende gegangen ist.“

Denn wie Andre Glucksmann in seinem Buch „Köchin und Menschenfresser“ immer wieder hinterfragt und letztlich auch bejaht - „alles am Hitlerismus findet sein getreues Abbild im Lagersystem“ -, stellt die gewaltsame Realisierung eines utopischen Gesellschaftsmodells unter Aufhebung rechtsstaatlicher Grundsätze und Installierung von Konzentrationslagern - „Menschenfresser-Fabriken“ - das Gemeinsame schlechthin des autoritären Charakters dar, der sich etwa im Nationalsozialismus ebenso manifestiert habe, wie im Stalinismus. Wippermann grenzte vorerst und dem Titel des Vortrages entsprechend den Faschismusbegriff „historisie-rend-beschreibend“ auf Europa ein: „Der Faschismusbegriff, den ich verwandt habe und den ich allein für legitim halte, orientiert sich an den .klassischen' Faschismen im Europa der Zwischenkriegszeit. Doch ist Faschismus wirklich eine spezifisch europäische Erscheinung?“

In der Folge sprach Wippermann wohl von einer ganz erstaunlichen weltweiten „Renaissance des Faschismus“, vor allem angesichts der Liste jener Staaten innerhalb der sogenannten „Dritten Welt“, die von einigen Beobachtern und Kommentatoren als „faschistisch“ qualifiziert wurden und werden. „Gerade jetzt erleben wir ein .kommunistisches' Regime, das seinen ebenfalls kommunistischen Nachbarn überfällt und auch die .feindliche' Zivilbevölkerung gnadenlos massakriert. Ein Land, das offensichtlich nicht aus Not oder rationalen, sondern rein ideologischen Erwägungen die Bevölkerung seiner Hauptstadt ,aufs Land schickt', um sie dort unter Einsatz des brutalsten Terrors zu .neuen Menschen' zu erziehen. Eine derartige utopisch-reaktionäre Zielsetzung, wie sie derzeit in Kambodscha nicht nur propagiert, sondern offensichtlich auch verwirklicht wird, hat in der Tat große Ähnlichkeiten mit den abstrusen, aber zugleich so gefährlichen Träumereien eines Hitler oder Himmler.“

„Dennoch sind die ökonomischen, sozialen, politischen, kulturellen und religiösen Unterschiede zwischen den Entwicklungsländern und den faschistischen Staaten der Zwischenkriegszeit bisher noch so groß, daß eine Übertragung des an europäischen Verhältnissen orientierten Faschismusbegriffes auf diese national-sozialen Bewegungen zumindest als problematisch anzusehen ist... Die Fronten, die heute entstehen, waren in der .Epoche des Faschismus' so gut wie unbekannt“.

Sicherlich zu kurz kam in dem Vortrag eine der wesentlichsten Voraussetzungen aller faschistischen Massenbewegungen, nämlich das antidemokratische, aggressive Potential in der Natur des Menschen. Diese Grundfrage, inwieweit nämlich die europäische Gesellschaft auch heute noch diese eine Seite des menschlichen Charakters latent in sich tragen könnte, wurde vor allem in der Publikumsdiskussion - klarerweise ohne endgültiges Ergebnis - angesprochen.

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