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Ohne Ideologie?

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Die Grundprinzipien der geplanten polnischen Wirtschaftsreform waren in den „Leitgedanken“ zum 6. Parteikongreß, der Anfang Dezember 1971 in Warschau stattfand, enthalten. Die Wirtschaftsreform wird zwar manche Elemente des sogenannten Managementsystems enthalten, von einer Übernahme etwa des „ungarischen Wirtschaftsmodells“ kann jedoch keine Rede sein, weil das charakteristischeste Merkmal der polnischen Wirtschaftsreform eine straffe Zentralisierung sein wird.

Die mittelfristigen Pläne (Fünfjahrespläne) sind zwar von „entscheidender Wichtigkeit“, dennoch müssen sie auf langfristigen Wirtschaftsplänen beruhen, die Ziele bis 1980, ja sogar bis 1990 anvisieren. Das Programm der Fünfjahrespläne soll endlich die „schädliche Kirchturmpolitik“ eliminieren. Herz und Seele jedes Fünf jahresplanes soll der

Investitionsplan werden. Kein Zweifel, daß die zukünftige Lenkung der Wirtschaftsentwicklung noch mehr in die Hände der mächtigen Zentralplaner gelegt wird. Nur große Staatsunternehmen sollen sich des Rechtes erfreuen, ihren Einfluß auch bei verwandten Industriebranchen geltend machen zu dürfen.

Die „komplexen Investitionsprogramme“ sollen „auf zentraler und ministerieller Ebene koordiniert und harmonisiert“ werden. „Modernisierte Planausbalancierungsmethoden“ sollen eingeführt werden. Elektronische Computertechnologie erlaubt rapide individuelle Planvariationen.

Langfristige Pläne sollen entworfen werden, und zwar in bezug auf Änderungen des Einkommens und der Remuneration. Die Pläne sollen von wirtschaftlichen Organisationseinheiten ausgeführt werden, wobei für die unteren Einheiten ge wisse Freiheiten reserviert bleiben müssen.

„Die Rolle der Wirtschaftskalkulation muß in der gesamten Wirtschaft gesteigert werden.“ Uber die Preisbildung vermögen die „Leitsätze“ jedenfalls nichts Wesentliches auszusagen.

Das staatliche Kontrollsystem soll einer Revision unterzogen werden, wobei man „übertriebene Inspektionen“ vermeiden möchte. Die staatliche Kontrolle soll wenigstens teilweise einer erhöhten „sozialen Kontrolle“ weichen. Neue Kontroll- instrumente werden eingeführt, die eher wirtschaftliche als administrative Instrumente sein sollen.

Auch in der Organisationsstruktur der Wirtschaft stehen Änderungen bevor. Die „Haupt-Wirtschafts- organisations-Einheit“ soll in Zukunft der Verband, das Kombinat und das weithin integrierte Unternehmen sein. Das neue polnische

System findet seine Vorbilder in Bulgarien, in der CSSR, in Ostdeutschland und Rumänien, aber nicht in Ungarn. Begründung: Man brauche in Polen mehr Effektivität in der Produktion und mehr Marketing. Vorerst werden in der Maschinenbauindustrie neue Großeinheiten gebildet werden, kleinere, zerstreute Unternehmen werden von den Großen geschluckt, Vorrang haben die Konzentration der Produktion und die Integration der Betriebe.

Nach der Bildung von „Superunternehmen“ wird man nicht mehr so viele Ministerien und Spitzenorgane brauchen wie bisher. Es besteht der Plan, die Agenden des Handels und der Industrie einem einzigen Ministerium zu überantworten. Die zentralen Instanzen haben sich auf folgende Fragen zu konzentrieren:

• Programmierung und Planung der sozioökonomischen Entwicklung;

• Schaffung von Voraussetzungen, die eine geplante Entwicklung garantieren;

• Kontrolle der Durchführung.

Kurzum: Eine klare Demar kationslinie zwischen Verantwortung und Autorität auf allen Ebenen! Entscheidungen bei einem Mann allein! Er soll nicht nur die professionellen Kader konsultieren, sondern auch das „werktätige Volk“ bei der Vorbereitung und Annahme des Programms befragen. Mittels der „Arbeiterselbstverwaltung“ und der Gewerkschaften soll eine größere Beteiligung der Arbeiterklasse am Betriebsablauf gesichert werden, doch ist aus den weiteren Ausführungen zu entnehmen, ‘ daß die „Arbeiterselbstverwaltungsgruppen“ eher als Antreiber, Erforscher noch unbekannter „Reserven“ und als Garanten der „erfolgreichen Durchführung von Sozialinitiativen“ fungieren sollen. Kurzum, sie sollen der verlängerte disziplinarische Arm des Managements werden. Ähnliche Aufgaben warten auf die Gewerkschaften, da die Reformer sie im Wesentlichen als Arbeitspolizei Und Arbeitsgericht verwenden möchten. Eine besonders verdächtige Formulierung in diesem Zusammenhang, die nichts Gutes verspricht: „Die Gewerkschaften gründen ihre Tätigkeit auf Arbeiteraktivisten in den Unternehmen…“

Die Parteiführung hofft nun, daß .der Parteikongreß die bestehenden und weitverbreiteten Ängste vermindern kann. Ob die Überbrückung der tiefen Gräben zwischen Mitgliedern des Regierungs- und Parteiapparates einerseits, den Mitarbeitern des Managements und den Arbeitern anderseits gelingen wird, bleibt vorläufig ein beunruhigend großes Fragezeichen.

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