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Rebellion fiir „Kanaky"

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Der „Wind der Veränderung", der in aller Welt die Unabhängigkeit einstiger europäischer Kolonien einleitete, hat nun auch die französische Inselgruppe Neukaledonien im Pazifik erfaßt. Zwar ist das Wort „Kolonie" auf den Inseln verpönt; man spricht, wie im Falle Französisch-Polynesiens, von einem „Uberseeterritorium" — im Gegensatz zu den französischen „Ubersee-Departments" Reunion, Guadeloupe, Martinique und Französisch-Guayana, die als feste Bestandteile Frankreichs gelten.

In den Straßen der Hauptstadt Nonmea sieht man Menschen aller Hautfarben. Man befindet sich an einem Kreuzpunkt im Pazifik, hier kann man Franzosen, Australiern, Neuseeländern, Chinesen, Vietnamesen, sogar Maghrebi-nern, Westafrikanern und Madagassen begegnen. Wie eine Arche Noah des ehemaligen französischen Weltreiches mutet dieses Uberseegebiet mit seinen fast 150.000 Bewohnern an.

Die Mehrheit der Insulaner wurde von einem profitverheißenden Rohstoff angezogen — von Nickel. Neukaledonien hat nach der Sowjetunion und Kanada den drittgrößten Nickelabbau der Welt, es verfügt über annähernd 40 Prozent der Nickelreserven.

Doch die Zeiten, da die Nickelpreise auf dem Weltmarkt in die Höhe schössen, sind vorbei. Der letzte Nickelboom endete mit dem Vietnamkrieg. Der Haushalt Neu-kaledoniens ist heute doppelt so hoch wie die Einnahmen aus den Erzexporten. Mit anderen Worten: die Nickelinseln sind für Frankreich zu einer Zuschußkolonie geworden.

Neukaledonien mit seinen Nebeninseln ist doppelt so groß wie Korsika. Seit 131 Jahren weht über dem Archipel die Trikolore. Wie lange das noch so sein wird,

ist allerdings fraglich.

Mitte November fanden Wahlen zur Territorialversammlung statt und diese Abstimmung war begleitet von schweren Unruhen, von Boykottaufrufen, Straßenblockaden, Brandstiftungen und Anschlägen auf Polizisten. Frankreich verstärkte inzwischen seine Sicherheitskräfte auf Neukaledonien.

Der Konflikt wird von zwei fast gleichstarken Gruppen der Inselbevölkerung ausgetragen — einer-

seits von den Nachkommen der melanesischen Urbewohner, die sich Kanaken nennen und im vorigen Jahrhundert vielfach durch weiße Siedler von ihrem Stammland verdrängt wurden; andererseits von Franzosen aus dem Mutterland und Angehörigen kleinerer Volksgruppen.

Die einen unterstützen in ihrer Mehrheit die Sozialistische Ka-nakische Befreiungsfront, abgekürzt FLNKS; die anderen stehen überwiegend hinter dem „Ras-semblement pour la Caledonie dans la Republique" (RPCR). Die einen fordern die Unabhängigkeit Kaledoniens, eine sozialistische Republik „Kanaky" die anderen das Verbleiben der Insel bei Frankreich.

Bei früheren Wahlen hatte eine leichte Mehrheit der Neukaledo-nier für die Beibehaltung des gegenwärtigen Autonomiestatus votiert.

Der von Paris ursprünglich für 1989 vorgesehene Termin für einen Volksentscheid sagt den Anhängern der FLNKS ganz und gar nicht zu und wurde von Paris auch mittlerweile um mindestens drei Jahre vorverschoben. Enttäuscht von der sozialistischen Regierung

unter Präsident Mitterrand, bildete die FLNKS ihrerseits eine provisorische Regierung, rief ihre eigene „Republique Kanaky" aus und drängt auf unverzügliche Unabhängigkeit. Nach ihren Vorstellungen sollen an dem für 1985 geforderten Referendum nur Eingeborene, keine Neueinwanderer, teilnehmen.

Derweil versucht die den Gaullisten nahestehende RPCR Zeit zu gewinnen, weil sie sich von den französischen Parlamentswahlen im Jahre 1986 einen Machtwechsel verspricht. Nach den von der FLNKS boykottierten Wahlen (Wahlbeteiligung: 52 Prozent) auf Neukaledonien ist die Territorialversammlung in Noumea aber nicht mehr repräsentativ. Die Regierung Mitterrand kann nicht umhin, mit der selbsternannten „provisorischen Regierung" der Kanaken zu verhandeln, und hat den früheren EG-Entwicklungskommissar Edgar Pisani als ihren neuen Delegierten nach Noumea entsandt.

Die nationalen Führer drohen mit bewaffnetem Kampf, falls Paris weiterhin die Unabhängigkeit hinauszögere. Unlängst kehrte eine Gruppe kanakischer Widerstandskämpfer von einem Schulungsaufenthalt in Libyen zurück.

Solange der aufgeblähte Beamtenapparat Neukaledoniens eine Domäne der Weißen bleibt und die Landrückgabe auf sich warten läßt (etwa drei Viertel des Bodens gehören weißen Familien), wird es die dunkelhäutige Inselbevölkerung kaum trösten, daß ihr Archipel immer noch einen höheren Lebensstandard hat als die unabhängigen Nachbarn. Die Europäer und Asiaten aber befürchten, daß ihnen ein ähnliches Schicksal wie den Algerien-Franzosen blüht, wenn sie den kanakischen Unabhängigkeitsforderungen nachgeben.

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