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Silvesterscherz ?

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Weiß sind die Hänge am Arl-berg.

Drüben, auf der Vorarlberger Seite, reiht sich Hotel an Hotel. Silvesterrummel in Lech; vornehmlich bundesdeutsche Prominenz kurvt tagsüber über bereits ausgefahrene, mugelige Pisten, feiert am Abend bei Sekt. Unter den Urlaubern: Wiens Bundeskanzler Bruno Kreisky, schon etwas braungebrannt, jedenfalls nach Schwächeanfall, Spitalspflege, depressivem Grau am niederösterreichischen Semmering und kurzem Büro- und Parlamentsbesuch hier an der Sonne in Lech wieder ganz der alte.

Reporter dürfen wieder kommen und fragen; und auch in den Antworten ist Bruno Kreisky wieder ganz wie früher. Er überrascht, deutet, prognostiziert für 1973, zensuriert — hat wieder unerwartete Vorschläge parat. Zur Teuerung etwa, zur Inflationsbekämpfung. Aber nicht nur.

Zur Regierungsarbeit: Der Lütgendorf hat — wie alle anderen Regierungsmitglieder — so der Chef — dos Maximum geleistet. Aber bei ihm „gibt es wegen jeder Kleinigkeit gleich Krach.“ Man erinnert sich: Ja, war das beim Prader nicht haargenau so? Und dann: „Der Ingrid hab' ich gesagt: Wenn du vom Blatt liest, dann ist das nichts ...“ Die Primaria hat also nur rhetorische Probleme. Daß im Ministerium ein sozialistischer Jungarzt Politik macht, daß bis dato keine einzige Zusage der nunmehr schon 14 Monate residierenden Minister Ingrid Leodolter verwirklicht wurde, sind für Kreisky offenbar noch keine Kriterien. Wenn sie nur besser reden könnte ...

Regierungserweiterung: Freunde haben gesagt: „Bruno, ruinier dich nicht.“ Deshalb soll (vorerst?) ein Staatssekretär ins Bundeskanzleramt einziehen. Aufgabengebiet: „Personalpolitische Fragen des Bundes“ (wörtlich).

Was, bitte, ist das? Was, bitte, soll dieses Regierungsmitglied wirklich tun?

Für die Beamten des Bundes gibt es klare Richtlinien: für die Einstellung, die Beförderung. Für die Beamten der einzelnen Ministerien sind allein die jeweiligen Ressortchefs verantwortlich. Keinesfalls der Bundeskanzler, keinesfalls ein Staatssekretär.

Oder meint der Kanzler allen Ernstes, daß er der personalpolitischen Sektion des Bundeskanzleramtes, der ein Sektionschef vorsteht, noch einen Staatssekretär verordnen will?

Der Plan riecht schlecht: ein am Rande der Legalität arbeitender oberster politischer Personalchef ist nichts anderes als ein schlechter Silvesterscherz. Oder will der Regierungschef allen Ernstes seinen bisher gemäßigten Ruf aufs Spiel setzen, daß er sozialistische Personalpolitik nicht um jeden Preis macht? Will er der Opposition über die Personalpolitik seiner Regierung tägliche Munition liefern?

Der Oppositionsführer Bruno Kreisky hat einmal angekündigt, im Parlament über jeden einzelnen Fall von „politischer“ Personalpolitik der ÖVP-Regierung kompromißlos zu reden. Der Regierungschef Bruno Kreisky sollte der heutigen Opposition doch nicht einfach solche Waffen in die Hand geben. Es wäre ein schwerer taktischer, ja strategischer Fehler. Vertrauen geht schneller verloren, als man es gewinnt. Und über die Zukunft dieser Regierung wird bereits 1973 entschieden, nicht erst an dem Tag, an dem die Wähler zu den Urnen gehen.

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