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Traum vom idealen Staat

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In der vieltausendjährigen Menschheitsgeschichte haben Regierende und Beherrschte, Obrigkeit und Untertanen, Philosophen und Staatsrechtler nach der besten Staats- und Regierungsform, nach dem idealen Staat gesucht. Und ich habe ihn zum Ausklang des zweiten Jahrtausends gefunden. Ich kann wirklich nicht verstehen, daß man nicht schon früher auf die von mir entwickelte Idee verfallen ist. Es ist doch so einfach. Aber wahrscheinlich traut man dem Einfachen nicht: ein gütiger König, kompetente, integre Minister, weise, unbestechliche Richter, korrekte, unbürokratische Beamte. — So einfach ist das, mein Patentrezept.

Eine Kleinigkeit freilich fehlt noch: das Volk. Und da meine ich nicht die amorphe Masse. Ich denke da an den reifen Menschen, den mündigen Bürger.

Diese Menschen zeichnet eine Reihe von Attributen aus, entsprechend ihrer Herkunft, adäquat ihrem Beruf, ihrem Lebensstil und ihrem Verhalten. Es sind Menschen mit Anstand und Gemeinschaftssinn. Charakteristika: der gesetzestreue Bürger, der ehrliche Steuerzahler, der soziale Unternehmer, der pflichtbewußte Arbeitnehmer, der verläßliche Handwerker, der redliche Geschäftsmann, der humane, dem hippokratischen Eid getreue Arzt, generell der der Sponsionsformel verpflichtete Akademiker, der wahrheitsliebende Journalist, der hilfreiche Nachbar, der rücksichtsvolle Autofahrer...

Ein Staat, der solche Bürger hat, benötigt weniger Polizei, weniger Richter, weniger Finanzbeamte, weniger Verwaltung ganz allgemein, weniger Mittel. Verwaltungsvereinfachung und Budgetentlastung sind die logische Folge. Das Postulat wird erfüllt: Weniger Staat.

Immer dann, wenn ethische und moralische Normen liberalisiert und „enttabui-siert“ werden sollen, führen Politiker und Journalisten das Wort vom reifen Menschen und mündigen Bürger im Mund.

Nehmen Menschen, die solches behaupten, nicht am öffentlichen Verkehr teil?Ist es ihrer Aufmerksamkeit entgangen, daß staatliche Stellen kostspielige Werbung betreiben müssen, damit Eltern ihre Kinder, ihr kostbarstes Gut, impfen lassen? Daß das Angebot zur Vorsorgeuntersuchung nur zögernd angenommen wird? Daß jährlich Zehntausende Kinder Scheidungswaisen werden? Daß Zehntausende Kinder abgetrieben werden? Daß Alkoholismus und Drogensucht grassieren? Daß Unregelmäßigkeiten im öffentlichen und privaten Bereich der Allgemeinheit schweren Schaden zufügen?

Trotzdem: Mein Staatsmodell ist ideal. Die Konstruktion ist richtig. Es sind nur noch viele Bestandteile nicht ausgereift. So soll dieses wunderschöne Märchen vom gütigen König, den integren Ministern, den weisen Richtern, den korrekten Beamten und den mündigen Bürgern dennoch hoffnungsvoll enden: Es wird einmal...

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