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Verweigerte Gefolgschaft

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Die Christen haben keinen Grund, kleinmütig vor der Herausforderung der Zukunft zu kapitulieren. Im Gegenteil: Sie können den Ausweg aus dem Dilemma dieser Zeit weisen.

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Die Christen haben keinen Grund, kleinmütig vor der Herausforderung der Zukunft zu kapitulieren. Im Gegenteil: Sie können den Ausweg aus dem Dilemma dieser Zeit weisen.

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Es ist sicher kein prophetisches Wort, wenn man behauptet, daß sich die beiden großen Welt-Herrschaftssysteme Kapitalismus und Sozialismus als menschenfeindlich und damit als moralisch disqualifiziert erwiesen haben. Beide sind so unauflösbar mit Rationalismus und Aufklärung verbunden, daß sie ihrer eigenen Auszehrung entgegendämmern.

Aber auch versagende Systeme bleiben so lange wirkungskräftig, als sich keine überzeugende und allgemein annehmbare und angenommene neue Lösung abzeichnet.

Und damit stehen wir vor der gegenwärtig peinlichsten Frage und Problematik unserer Kirche. Kaum bestreitbar ist die Katholische Soziallehre in ihrer ganzen Entfaltung seit einhundert Jahren der gangbare, akzeptable, sozial und ökonomisch ausgewogene dritte Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus, die der Natur des Menschen entsprechend beste Methode der Ordnung des Zusammenlebens von Menschen und Völkern:

Im Grunde ist im ordo von Subsidiarität als gebundene Freiheit und mit Solidarität als politisch transponierte Nächstenliebe alles gesagt und gefügt.

Vielleicht müßte man, um terminologisch mit Kapitalismus und Sozialismus konkurrieren zu können, einen wissenschaftsadäquaten Begriff für die Katholische Soziallehre finden — etwa Okohumanismüs oder Okosolida-rismus, um der Ismus-Hörigkeit der modernen politischen Welt zu genügen.

Aber das ist nicht das kritische Problem. Das scheint mir vielmehr darin zu liegen, daß es dieser Kirche in hundert Jahren nicht gelungen ist, diese Gesellschaftslehre zu popularisieren, ja nicht einmal in den eigenen Reihen als selbstverständliches Gemeingut zu verankern.

Ich glaube, man muß es einmal so hart formulieren: die National-kircheh haben im Bereich der katholischen Gesellschaftslehre den Päpsten die Gefolgschaft und den Gehorsam verweigert.

Statt eines eigenen Kommentars möchte ich einen Aufsatz aus dem Jahresbericht 1981 des Katholischen Sozialinstitutes Freising zitieren. Da heißt es:

JEs gehört schon zu den Grunderfahrungen der katholisch-sozialen Bildungsarbeit: Nachdem die Lehrtradition der katholischen Kirche zu sozialen Fragen anhand der sozialen Rundschreiben der Päpste vorgestellt wurde, ist die erste Reaktion: Ja, davon haben wir ja noch nie etwas gehört.

Der Test gelingt bei Anfängern in der sozialen Bildungsarbeit fast immer: Ausgewählte Texte aus den sozialen Rundschreiben werden vorgelesen und dann wird die Frage gestellt, von wem diese Texte wohl stammen könnten. Von Marx über Lenin und Stalin bis hin zu den Jusos reichen die Antworten - daß ein Papst so etwas gesagt haben könnte, ist für die meisten unvorstellbar.

Die soziale Lehrtradition der katholischen Kirche ist in unseren Gemeinden, in unserer katholischen Bevölkerung nicht bekannt. Sie wird in der normalen Verkündigung, im Religionsunterricht, ja selbst in unseren katholischen Fachhochschulen und Priesterseminaren kaum gelehrt, noch weniger gehört...”

Es ist ja geradezu tragikomisch, daß die Menschen in ihrer Hilflosigkeit und Enttäuschung an abgewirtschafteten Werten sehnsüchtig auf ein Angebot eines Weltbildes warten, das Sinn des Lebens und Hoffnung aufweist — und wir, wir Christen und unsere verfaßte Kirche, nicht in der Lage sind, diese gefragte Sitten- und Wertelehre überzeugend genug zu popularisieren und in diese seelisch notleidende Gesellschaft einzubringen.

Der erste (wenn auch nicht im Sinne des Religiösen wesentlichste) Beitrag der Christen zur Erneuerung von Staat und Gesellschaft ist das Angebot des systematisierten Konzepts christlicher Sozialordnung als der dritte Weg einer progressiven Mitte, als Fortschreibung und Konsequenz aus den Erfahrungen bisher praktizierte Ordnungssysteme. Es ist ein Angebot an die moderne Politik, an Staat und Gesellschaft.

Unbeschadet ihrer ideellen Ableitung setzt die konkret politische Anwendung dieser Ordnungslehre den Zwang zum christlichen Glauben eben nicht voraus. Christliche Sozialordnung orientiert sich nicht an einer Ideologie, sondern an der prinzipiell dem Menschen vor- und eingegebenen Natur.

Der Autor ist Hauptabteilungsleiter des Bayerischen Rundfunks für Bayern 3.

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