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Viele Chancen vertan

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Nach Vorliegen des Koalitionspaktes, nach Vorstellung der neuen Regierung und nach Abgabe der Regierungserklärung sind die Schwachstellen der sozialistischen Koalitionsregierung, die auf eine sozialistische Alleinregierung folgte, schon ziemlich deutlich.

Kritikpunkt 1: Ein verschwommenes Regierungsprogramm.

Die 78 Seiten, die Sinowatz dem Parlament vorlegte, wurden vom bekannten Wirtschaftspublizi-

sten Horst Knapp, der meiner Partei gar nicht nahesteht, als „Pudding“ bezeichnet. Ein Wortbrei also, der alles und nichts bedeutet, der 200 Themen anreißt ohne Lösungen zu nennen, der ein paar Ansätze enthält, wenn man gutwillig ist, der keinen Schwung und schon gar keinen Aufschwung signalisiert.

Brav und bieder werden Probleme aufgezählt, Gemeinplätze sauber aneinandergereiht. Visionen und Zukunftsglaube fehlen. Der alte Trott wird fortgesetzt.

Weitere Steuererhöhungen erwarten uns, der Konferenzpalast wird gebaut, jetzt erst recht, Verschwendung darf es weiter geben. Konkrete Sparmaßnahmen? Keine.

So tritt keiner an, der die Zukunft erobern will.

Kritikpunkt 2: Die Regierung kapituliert vor wichtigen Fragen.

In ein paar Punkten wird der „Pudding“ der Regierungserklärung aber zur Dokumentation einer für die Bürger beängstigenden Resignation.

In der ganzen Regierungserklärung kommt kein einziges Mal das Wort Vollbeschäftigung vor. Es ist nur mehr von einem „möglichst hohen Beschäftigungsniveau“ die Rede. Man hat das Ziel verloren und findet sich mit hohen und höheren Arbeitslosenraten ab.

Diese Haltung kommt auch bei der Behandlung der Jugendarbeitslosigkeit durch, bei der Bekämpfung des Budgetdefizits usw.

Kritikpunkt 3: Konkret nur dann, wenn’s darum geht, dem Bürger Geld abzunehmen.

Trotz gegenteiliger Versprechen der FPÖ kommt das Mallor- ca-Paket und noch ein bißchen mehr: Sparbuchsteuer, höhere Steuern auf Überstunden, .Urlaubsgeld und Weihnachtsgeld, Energiesteuer, Mehrwertsteuer und Streichung der Wohnungsbeihilfe.

Kritikpunkt 4: Spannungsfeld „rechts — links“ als permanente Belastung.

Wenn man anläßlich der Debatte über die Regierungserklärung das Kabinett Sinowatz/Steger vor sich sah, da wurde einem bewußt, welches Spannungsfeld von weit „rechts“ bis weit „links“ in diesen Personen vorhanden ist.

Die Vorstellung einer klassenlosen Gesellschaft — wie sie ein Heinz Fischer verwirklichen will —, die linkslinken Absichten eines Alfred Dallinger prallen auf die ewig gestrigen des Verbindungsmannes der FPÖ zur NDP, Harald Ofner. Karl Blecha, dem es immer um die Durchsetzung sozialistischer Ideologie ging, sitzt plötzlich Seite an Seite mit dem Opportunisten um jeden Preis, Norbert Steger. Ein Helmuth Zilk wird in seiner Intellektualität mit dem Sumpertum einiger „Julfest“-Fe- tischisten schwer zu kämpfen haben.

Darüber soll man sich nicht freuen. Dieses Spannungsfeld wird die Regierung oft daran hindern, Probleme der Bürger mutig anzugehen.

Kritikpunkt 5: Keine Bereitschaft zum Machtverzicht.

Die sozialistische Koalitionsregierung ist mit 102 Sitzen im Parlament satt abgesichert. Eigentlich hätte man erwarten dürfen, daß der Zuwachs an Macht von einem bewußten Machtverzicht begleitet wird — nur so wird das Vertrauen der Bürger in die Funktionsfähigkeit der Demokratie ausgebaut.

‘ Aber die Koalition hat das Parlament gefesselt. Nur das, was einstimmig in der Regierung beschlossen wird, darf auch das Parlament passieren. Initiativen von SPÖ- oder FPÖ-Mandataren sind nicht gefragt. Das Parlament wird zum Staatsnotar der sozialistischen Koalition.

Kein Wort enthält die Regierungserklärung über den Ausbau der direkten Demokratie. Und damit ja nichts anders wird, behält man auch den Präsidenten des Rechnungshofes als Erbpacht für den kleinen Koalitionspartner.

Das Kabinett Sinowatz/Steger hat in den ersten Wochen mehr Chancen vertan, als andere Regierungen in Jahren — schade! Es ist nur zu hoffen, daß der erste Eindruck trügt.

Der Autor ist Politischer Direktor des Parlamentsklubs der ÖVP.

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