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Vom Feind
Kriege, Not, Elend und unglaubliche Grausamkeiten prägten 3 Jahrhunderte die Beziehungen zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen Reich. Erst in der Mitte des 18. Jahrhunderts fand der Konflikt ein Ende. Eine Entspannung setzte ein, die dann die Grundlage für einen sich zaghaft entwickelnden, tieferen kulturellen Austausch bildete. Dieser Wandel hatte einen Einfluß auf das Denken der Zeitgenossen über die Türken.
Das Türkenbild darf allerdings nicht allein in Abhängigkeit der Beziehungen zwischen den beiden Kulturen gesehen werden. Es muß auch im Zusammenhang mit der kulturellen und geistigen Ent-
Wicklung vom religiös erregten, intoleranten Zeitalter der Reformation und Gegenreformation hin zur Aufklärungszeit mit deren charakteristischem Denken, das um religiöse Toleranz bemüht war, betrachtet werden. Dabei ergibt sich noch ein besonderes methodisches Problem, da die Menschen den Vorstellungen und Denkweisen ihres Zeitalters gemäß die andere Kultur beobachteten und bewerteten. Das Bild war zudem noch von der Bildung des einzelnen Menschen abhängig, die durch dessen sozialen Stand festgelegt war.
In der Habsburgermonarchie lassen sich demgemäß in dieser Zeit zwei grundsätzliche Ausformungen des Bildes beobachten, die durch die Soziokultur bestimmt waren: das der hohen Bildungsschichten der Adelskultur (im späten 18. Jahrhundert auch der hohen Bürgerkultur) und jenes der niederen Bildungsschichten der Volkskultur. Das Bild der Volkskultur freilich wurde wesentlich durch die Hochkultur geprägt.
Vom Ende des 15. bis in die Mitte des 18. Jahrhunderts wirkte in al len Bildungsschichten ein komplexes Feindbild, dessen wesentliche Inhalte sich rasch resümieren lassen: Zum ersten seien die muslimischen Türken Vertreter des irrgläubigen Islam, einer Häresie, die wie Judentum und Protestantismus bekämpft werden müsse. Blutrünstige und wollüstige Greueltaten, grausame Mißhandlungen, Überfälle auf Dörfer und Weiler, Kultbild-, Kirchen- und Hostienschändungen, die Verschleppung zahlloser Menschen in türkische Gefangenschaft seien die charakteristischen Zeichen für die türkische „Ungläubigkeit”, gegen die sich die „ecclesia militans” zu wehren habe. Das osmanische Staatswesen sei ferner tyrannisch und von Willkür beherrscht, unrechtmäßig, durch Raub und Krieg gewachsen.
Beinahe irrational wirkt — zum zweiten — die andere, heilsgeschichtliche Komponente des Feindbildes. Die Türken seien demnach nicht nur zu bekämpfende Irrgläubige, sondern auch eine von Gott gewollte, der sündigen Menschheit gesandte Strafe, damit sich diese bessere und von ihren Sünden ablasse. Man habe deshalb weniger die Türken als vielmehr die eigenen Sünden zu bekämpfen, die ja die Ursache für das entstandene Elend seien.
Diese beiden Grundkomponenten hatten eine Fülle von geistigen und kulturellen Folgen, die als ein Bestandteil des Feindbildes angesehen werden müssen. Dem heilsgeschichtlichen Verständnis folgend, wurden vielerorts Türkenprozessionen und Türkenwallfahrten unternommen, Türken-
r gebete gehalten, Marien-, Heiligen- und Dreifaltigkeitsverehrung vorangetrieben - alles mit einem hauptsächlichen Ziel: Gott solle versöhnt, um Gnade gebeten, die Geißel genommen werden.
Unter dem Eindruck der Türkengefahr entfaltete sich neben diesen religiösen Maßnahmen auch eine breit angelegte Diskussion, die in vielen Flugschriften und Büchern ausgetragen wurde. Sie berührte vor allem Probleme der militärischen “Abwehr. Darüber hinaus beschäftigten sich viele Autoren mit den gesellschaftlichen und politischen Maßnahmen, die eine erfolgversprechendere Abwehr der Osma- nen gewährleisten könnten. Die Palette der Ideen: Sie reicht von Vorschlägen, Mönche ins Heer einzugliedern sowie Klöster und Kirchenschätze zu verkaufen, bis hin zu reichspatriotischen Tendenzen, mitunter sogar zu europaweiten Einigungsgedanken. Es galt aber auch, die latenten, stets hervorbrechenden Strömungen der „Türkenhoffnung”, der Sehnsucht nach osmanischer Herrschaft, zu bekämpfen.
Diese Türkenhoffnung erfaßte besonders untere Sozialschichten, wenn die Ungerechtigkeiten des Feudalsystems unerträglich wurden, und protestantische Bevölkerungsgruppen, wenn sich militante Gegenreformation breitmachte. Letztere/fand im landläufigen Wort „Lieber Tür- ckisch als Päbstisch” ihren Ausdruck. Die Mißstände, die zur Türkenhoffnung führten, wurden allerdings nur sehr selten erkannt; zumeist begnügte man sich mit deren gewaltsamer oder pu-
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