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Vom Kult- zum Konsumwert

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„Kultur und Glaube" war das Thema einer Tagung, zu der katholische Publizisten aus den Alpenländern Ende Mai im ehemaligen' Kloster Banz in Oberfranken (BRD) zusammentrafen.

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„Kultur und Glaube" war das Thema einer Tagung, zu der katholische Publizisten aus den Alpenländern Ende Mai im ehemaligen' Kloster Banz in Oberfranken (BRD) zusammentrafen.

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Die Verdoppelung des Bildmoments beim Fernsehen (durch das Bild zusätzlich zur Bildhaftigkeit der Sprache) hat zweifellos eine Steigerung der Passivität des Zu-sehers im Gefolge. Das bestärkt ihn in seinem Konsumverhalten, auf das er sich als Film- oder Fernsehzuschauer ohnehin schon eingestellt hat.

Weil sich daran nun aber auch die bei der Filmbranche wie bei den Fernsehanstalten gleicherweise als höchstes Kriterium geltende Besucher- und Einstellquote bemißt, wird der Konsumwert rückläufig auch zum obersten Gesetz, an dem sich die Produzenten bemessen. Selbst wenn sie politische und propagandistische Zwecke verfolgen, erreichen sie dies nur, wenn sie ihren Gegenstand zum Unterhaltungsobjekt stilisieren.

Davon macht auch der „Dokumentarfilm" keine Ausnahme. Auch seine Herstellung untersteht, reflex oder unbewußt, dem Ziel, der auf „Unterhaltungskonsum" ausgerichteten Erwartungshaltung des Rezipienten nach Möglichkeit entgegenzukommen. Sogar die Nachrichtensendungen des Fernsehens machen davon keine Ausnahme. Kulturelle Informationen oder gar Mitteilungen aus dem Bereich des Geisteslebens ziehen dabei automatisch den kürzeren.

Um so wirksamer sind dagegen Mitteilungen aus dem Bereich der menschlichen Tragödien, handle es sich nun um Bildberichte von Kriegsschauplätzen, Naturkatastrophen oder von kriminellen Handlungen. Das bringt es dann mit sich, daß im Fernsehen die Nachrichten über tragische, unmenschliche oder gar verbrecherische Vorkommnisse diejenigen über Beweise menschlicher Hilfsbereitschaft und Solidarität bei weitem überwiegen, da das Verwerfliche fast immer auch den Reiz des Sensationellen und Interessanten mit sich bringt.

Diese Erwartungshaltung machen sich insbesondere Reklame und Propaganda zunutze. Damit kommen auch sie seiner auf „Unterhaltungskonsum" gerichteten Grunderwartung entgegen.

Dabei weiß jedes Kind, daß beide Formen der Beeinflussung mit der Wahrheit denkbar großzügig umgehen. Dieses Wissen hindert den Normalverbraucher freilich nicht, im Fall-des Einkaufs oder einer Wahlentscheidung dann doch so zu handeln, wie es ihm durch die Reklame- und Propagandasendungen insinuiert worden ist. Vom „Biß" des Mediums paralysiert, befindet er sich in einem Zustand kognitiver und ethischer Narkotisierung.

Der Gedanke Walter Benjamins, daß bei dem, was er die Herabstufung des Kultwerts zum „Gebrauchswert" nennt, Kategorien der negativen Theologie ins Spiel kommen, kann als Anlaß dafür genommen werden, dem durch Film und Fernsehen bedingten Rezeptionsverhalten genauer nachzugehen: Was geschieht, wenn der Filmbesucher in das Dunkel des Kinoraums eintaucht, oder wenn der Fernsehkonsument sich in seinen Zuschauersessel zurückzieht?

Ungeachtet der Tatsache, daß er sich im ersten Fall mit vielen, im zweiten meistens doch mit einigen Mitkonsumenten im gleichen Raum befindet, fühlt er sich in einer Weise isoliert und auf sich selbst zurückgeworfen, daß er die Wahrnehmung seiner Partner fast durchwegs als störend und höchstens in Ausnahmefällen als hüfreich und bestätigend empfindet. Das aber erklärt sich daraus, daß er in einer Weise an die ihm gezeigten Wort- und Bildfolgen „hingegeben" ist, wie sie sonst nur beim mystischen Erlebnis vorkommt.

Das Bild nimmt von ihm nach Art einer ekstatisch-visionären Erfahrung Besitz, so daß ihm über seinem Bilderlebnis buchstäblich „Sehen und Hören" vergeht. Deshalb greift man nicht zu hoch, wenn man von der „quasimystischen" Situation des Film- und Fernsehkonsumenten spricht.

So entspricht es dann auch vollauf der Struktur seines Verhaltens. Es ist das Verhalten eines Drogenkonsumenten. Zwar legt es sich von seiner „quasivisionären" Einstellung her nahe, zunächst im Anschluß an den durch sein Buch „The Secular City" (von 1965) bekanntgewordenen Theologen Harvey Cox von der durch Film und Fernsehen entstandenen „elektronischen Ikone" zu sprechen; doch trifft das Wort von der „elektronischen Droge" nicht weniger den Standard des durchschnittlichen Rezeptionsverhaltens.

Wie dringend das Bedürfnis danach ist, wird in dem Maß einsichtig, wie man sich die elementaren Nöte des heutigen Menschen vor Augen hält: Angst und Einsamkeit. Sie sind gleicherweise die Antriebe des kriminellen wie des gesellschaftlich institutionalisierten Drogenkonsums, vor allem in Gestalt des Fernsehens.

Der Autor ist Ordinarius für christliche Weltanschauung und Religionsphilosophie an der Universität München; der Beitrag zitiert auszugsweise sein Referat vom 25. Mai in Banz.

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