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Westliche Werte?
Eine renommierte österreichische Tageszeitung, in der Linie dem „konservativen" Lager nahe, von der Wirtschaft finanziell nicht unabhängig, karikierte unlängst alle „Friedensdemonstranten, Schweigeminutenveranstalter und kirchlichen Anti-Kriegs-Aktivisten ". Sie müßten sich fragen lassen, wo sie bei anderen Kriegen waren. Warum erwacht gerade jetzt die „brennende .Friedenssehnsucht' der blauäugigen Peace-Freaks? Oder geht es nur um prinzipielle Agitation gegen jeden Einsatzfür die westlichen Werte?"
Nun wird sich der Leitartikler selbst die Frage gefallen lassen müssen, welche westlichen Werte er meint. Sind, es jene, die Elisabeth Noelle-Neu-mann als die „bürgerlichen" aufzählt, wie: hoher Wert von Arbeit und Leistung, Aufstieg und Wettbewerb; Streben nach Besitz, Anerkennung und Prestige; Konservativismus, um das Erworbene zu behalten?
Oder sind es die Werte, die die Aufklärung in Emanzipation aus einer bisher kirchlich und theologisch bestimmten Kultur ausrief: ausschließlicher Verlaß auf menschliche Vernunft, rein natürlich begründete Sittlichkeit? Hat solches nicht auch zu enthusiastischem Fortschrittsglauben, zu Auswüchsen des (Früh)-Kapitalis-mus, zur Individualisierung des Ethos zu einem reinen Nützlichkeitsdenken und zur Säkularisierung aller Lebensbereiche geführt?
Oder sind die Werte „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" gemeint, die die Französische Revolution aus Protest für mehr Menschlichkeit ausrief, sie dann aber blutig erzwingen wollte?
Oder sind die Werte des Westens doch die christlichen, auf die sich das Abendland aus seinem Erbe gerne berief, ohne sich je ganz von ihnen prägen zu lassen?
Es ist nicht leicht, die westlichen Werte auszumachen. Die in letzten Jahren oft nur angekündigte Wertediskussion macht dies deutlich. Die geistige Not gerade auch im Westen scheint zu sein, daß alte Werte hinterfragt, aber neue noch nicht akzeptiert werden. Der als tolerant gepriesene Wertepluralismus trägt selten zur Bereicherung der Wertelandschaft bei. Er relativiert eher alle Werte und macht sie unverbindlich.
Zugegeben: Zu Demonstrationen gesellen sich bisweilen auch destruktive und anarchistische Kräfte. Aber deswegen alle, die heute in Kirchen und auf Plätzen für den Frieden eintreten, als Agitatoren gegen die „westlichen Werte" zu bezeichnen, ist mehr als ungerecht.
Der Golfkrieg hat die Weltgemeinschaft bis in ihre Grundfesten erschüttert. Vielleicht wächst als eine Frucht heraus, nun ernster nach jenen Werten zu suchen, für die es sich wirklich zu leben und notfalls auch zu sterben lohnt.
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