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Die Problematik einer Mentalitätsforschung

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Ein Buch zu besprechen, das man noch gar nicht gelesen hat, ist ein zwar häufiger, aber meist uneingestandener Verstoß wider die guten Sitten. Darum sei hier ausdrücklich angemerkt, daß sich die folgenden Ausführungen nur auf das beziehen, was von und über Goldhagens Oeuvre bisher in der „Zeit" und anderen Gazetten zu lesen stand.

Gehen wir mit diesen Einschränkungen an Goldhagens Thesen heran. Kernpunkt seiner Aussagen scheint zu sein, daß er - im Gegensatz zu den Autoren, welche den bürokratisch-industriellen Charakter der Massenvernichtung der Juden durch das Dritte Beich betont haben - den Holocaust in wesentlichen Teilen als ein Pogrom auffaßt, das zu seiner Durchführung bis auf die untersten Ebenen hinab der „Überzeugungstäter" bedurfte. Diese These basiert offenbar in erster Linie auf Untersuchungen über eine Beihe von in Polen eingesetzten Polizeibataillonen, deren Offiziere und Mannschaften - so Goldhagen - bei der Vernichtung der Juden nicht bloß willenlos Befehlen nachgekommen seien, sondern sie ausdrücklich als gerechtfertigt empfanden. Ob Goldhagen dabei nicht Gefahr läuft, Ursache und Wirkung zu vertauschen ? Um beim Bild der „Überzeugungstäter" zu bleiben, stellt sich denn doch die Frage, was zuerst da war, die Tat oder die Überzeugung ? Folgten Goldhagens Polizisten ihren Befehlen, weil sie von deren Berechtigung überzeugt waren, oder legten sie sich eine Bechtfertigungsstrate-gie zurecht, weil und nachdem sie einmal involviert waren. Derlei Ba-tionalisierungen sind nicht eben selten, auch bei weniger makaberen Anlässen. Diese Variante erscheint mir daher plausibler, selbst vorausgesetzt, daß die Angehörigen dieser Einheiten voll von antisemitischen Vorurteilen waren. Von den schwer lösbaren Problemen der Quellenkritik, wie sie die Frage aufwirft, was sie sich damals eigentlich wirklich genau gedacht haben, einmal ganz abgesehen.

Allerdings ist diese Frage zugleich

auch irrelevant, weil die Betreffenden ihre Taten nicht begingen, weil sie Anweisungen zustimmten oder nicht, sondern weil sie sie unabhängig davon durchführten. Das heißt nicht, daß sie -damit automatisch als „unschuldig" zu betrachten seien. Aber im Sinne der Kausalität - und nur um Kausalität kann es in der Geschichtswissenschaft gehen, nicht um Schuld und Sühne - war der Befehl das wesentliche. Ihre innere Zustimmung war eben nicht, wie Gold-hagen schreibt, „unerläßlich", wie ja überhaupt keines der totalitären Regime, die in diesem Jahrhundert ihr Unwesen getrieben haben, irgendwelche gröberen Schwierigkeiten damit gehabt hat, „willige Henker" zu rekrutieren. Hier mag Goldhagen auch seine eigene Prägung einen Streich gespielt haben: In einer zutiefst liberalen Gesellschaft wie den USA liegt der Schluß nahe, daß

Menschen im Grunde nur das tun, was sie - nach reiflicher Überlegung - auch tun wollen. Das ist als politische Wunschvorstellung aus meiner Sicht höchst lobenswert, als For-schungshypothese allerdings irreführend.

Freilich läßt sich auch dieser Ansatz einordnen in einen alten ge-schichtsphilosophischen Streit zwischen „Idealisten" und „Materialisten". In der NS-Historiographie sind diese Schulen zumeist unter dem Namen „Intentionalisten" und „Funktionalisten" bekannt. Goldha-

gen stellt dabei zweifellos eine extreme Ausprägung des intentionalisti-schen Standpunktes dar, den ich eingestandenermaßen nicht teile. Ich verkneife mir daher für diesmal auch alle weiteren Bosheiten, die mir zu dem Thema auf der Zunge liegen, und merke nur an, daß in der Geschichtsschreibung interessanterweise Ideologien als Erklärungsmuster gerade in einer Zeit eine Be-naissance erleben, wo sie in der Politik als Orientierungsmuster zumindest vordergründig rapide an Anwert verloren haben.

Populär mit Hilfe einer flotten These

Was in der Öffentlichkeit in erster Linie für Aufregung sorgt, ist, daß Goldhagen darüber hinaus von seinem Sample ausgehend offenbar auf kollektive Mentalitäten hochrechnet. Da liegt einfach ein Analogieoder Umkehrschluß vor: Weil Goldhagens Täter normale Deutsche waren, seien alle Deutsche potentielle Überzeugungstäter gewesen, sprich: gäbe es in Deutschland eben eine spezifische Qualität und Intensität des Antisemitismus. So neu ist das nicht und so fallen einem gleich im Zusammenhang mit Goldhagens Untersuchungsgegenstand eine Reihe von Argumenten dagegen ein. Allein das wäre schon zuviel des Guten, da sich aus Goldhagens Untersuchung eine solche These ohnehin weder belegen noch widerlegen läßt. Um ein Spezifikum der Deutschen herauszuarbeiten, bedürfte es breit angelegter vergleichender Studien mit anderen Nationen - und darum handelt es sich hier wohl kaum. Die Zuspitzung von Goldhagens Aussagen ist wohl eher zu verstehen als der Versuch eines Dissertanten, seinen notwendigerweise eng begrenzten Untersuchungsgegenstand in einen größeren Rahmen einzuordnen, wohl auch: mit Hilfe einer flotten These ein wenig populärer zu machen.

Das Problem mit Goldhagens Buch scheint mir nach all dem weniger in der Qualität seiner Becherchen zu liegen (sein Buch mag interessante Aufschlüsse über Einsatzbedingungen, Bekrutierungsmechanis-men etc. seiner Polizeibataillone liefern), sondern in einer Fragestellung, die weiterführende Antworten von vornherein ziemlich unwahrscheinlich macht. Vom wissenschaftlichen Nährwert ist der „Historiker-

streit Nr. 2" (wenn es denn ein solcher wird) die Aufregung genauso-. wenig wert wie die Nr.l. Verdeutlicht wird allenfalls die Problematik einer Mentalitätsforschung, die sich ihrer methodischen Schwierigkeiten nicht bewußt ist. Ausdrücklich positiv zu vermerken erscheint mir jedoch, daß in den USA eben auch nicht unproblematische „revisionistische" Autoren unvoreingenommen besprochen werden können, ohne daß sofort jemand die Frage aufwirft: „Ja, derfn S' denn des ?" Das unterscheidet sich wohltuend von der heimischen Szenerie, wo es oft als Zumutung empfunden wird, sich mit entgegengesetzten Thesen überhaupt auseinandersetzen zu müssen. (Beispiele dafür können gerne nachgeliefert werden.)

Vielleicht entkrampfende Wirkung

Am Beispiel von Goldhagens Buch läßt sich auch schön die politische Ambivalenz wissenschaftlicher Kontroversen illustrieren. In politischen Freund-Feind-Kategorien betrachtet, mögen der - zu Unrecht so genannte - „Historikerstreit" und die jetzige Aufgeregtheit allenfalls gewisse Gemeinsamkeiten aufweisen, im logisch-analytischen Bereich sind sie jedoch gegenläufig. Denn wenn „alle Deutschen" ohnehin schon seit langem auf eine Gelegenheit zum Genozid warteten, wäre das selbst-

verständlich geeignet, dem Wirken des Nationalsozialismus einiges von seiner behaupteten Einmaligkeit zu rauben. (Wobei bloß noch zu ergänzen wäre, daß es sich bei der „Einmaligkeit", sei es der Deutschen, der Nazis oder wessen auch sonst immer, um Feststellungen von dogmatischem Charakter und ohne wissenschaftlichen Wert handelt.)

Ich schließe mit dem frommen Wunsch, daß Goldhagens Buch eine gewisse entkrampfende Wirkung zukommen möge. Nicht um zur Abwechslung einmal eine Welle politisch korrekter Empörung von rechts loszutreten. Sondern weil sich im Laufe einer solchen Diskussion vielleicht herumspricht (eventuell sogar bis zur Bundesgeschäftsführerin Ederer und ihren Jusos, die so eifrig nach nicht-konformen Wissenschaftern fanden), daß es in der Wissenschaft keine Tabus gibt, sondern nur Hypothesen, die mehr oder weniger leicht falsifizierbar sind. Goldhagens dürften eher zu ersteren gehören. Eine heilsame Wirkung für das schlampige Verhältnis von Geschichte und Politik, die sich allzusehr angewöhnt haben, auf Legiti-mitationsdefizite mit wechselseitiger Anlehnungsbedürftigkeit zu reagieren, könnten sie dennoch haben.

Dr. Lothar Höbelt,

1992 Gastprofessor an der Universität von Chicago, ist Assistenz-Professor am Institut für Geschichte der Universität. Wien

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