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Die Einskommafünfte Republik

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Für einen heutigen Studenten ist das Jahr 1945 genauso fern wie für einen von 1968 das Jahr 1918. Noch bis in die achtziger Jahre hinein hat man sich an den „Beizjahren” der Ersten Bepublik gerieben: 1927,1933, 1934 und 1938. Die unterschiedlichen Standpunkte in der Wissenschaft und in der tagespolitischen Polemik waren oft nicht scharf zu trennen.

Nach dem Paradigmenwechsel der Jahre 1989 bis 1990 und dem heurigen 50-Jahr-Gedenken der Zweiten Republik durfte man hoffen, nun werde der Nachhall dieser Konflikte endgültig verebben - ob es einem nun paßte oder nicht.

Nur allzuoft wurde bei der historischen Aufarbeitung der Geschichte der Ersten Republik die „Faschismuskeule” geschwungen. Das neue „Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918-1933”, herausgegeben von Emmerich Tälos und anderen, tut dies schon im Untertitel.

Entgegen einem mühsam erarbeiteten common sense wird da die Erste Republik auf 1918 bis 1933 eingegrenzt. Auch die Anlage des Handbuches, die einen großen Teil struktureller Probleme (Wirtschaft, Soziales,

Bildung und so fort) widmet und das aufweite Strecken interessante Informationen bietet, zwingt nicht unbedingt zu dieser-willkürlichen Zäsur. Es sei denn, man will Geschichtspolitik betreiben. Die Zeit zwischen 1933 und 1938 ist offenbar die Einskommafünfte Bepublik. So wird auch in der Einleitung die Zeit zwischen 1918 und 1933 in Österrreich mit der Weimarer Republik verglichen. Dadurch kann man den Ständestaat (1933 bis 1938) umso leichter mit der Nazizeit ab 1933 in Deutschland in Zusammenhang bringen.

Diese Interpretationsfixierung geht bei den Herausgebern bereits so weit, daß im Vorwort das noch immer gültige historische Standardwerk zur Ersten Republik von Erika Weinzierl und Kurt Skalnik falsch zitiert wird. Ihnen wird einfach der Titel „Österreich 1918-1933” untergejubelt (anstatt „1918-1938”). Es wäre reizvoll, diese geradezu klassische Fehlleistung psychoanalytisch zu interpretieren.

Auf 670 reinen Textseiten werden 40 Beiträge gebracht. Auf durchschnittlich weniger als 20 Seiten wird man daher oft nur das Anreißen der dargestellten Sachthemen erwarten können. Das zwingt so manchen Autor zur Simplifizierung seiner Darstellung und Wertungen oder führt gar zum Feuilletonismus. Hinzu kommen noch alle Schwächen eines Sammelbandes.

Daß im Beitrag über die Christlichsoziale Partei nahezu alle ihre Nega-. tiva und Schattenseiten (die durchaus diskussionswürdig sind) penibel aufgelistet werden, wundert nicht, ebensowenig, daß im Beitrag über die Sozialdemokratie, die einzige Betterin von Republik und Demokratie, nur dann Fehler konstatiert werden, wenn sie vom rechten (= linken) Weg abgewichen ist. Wenig Worte werden verloren über die Anschlußideologie, das Verhältnis zur Demokratie, den Antisemitismus, den militanten Antiklerikalismus und so fort. Bezeichnend für diese „Ausgewogenheit” ist der Schlußsatz der Einleitung: „In Deutschland und Österreich waren jedoch die traditionellen Eliten - Großgrundbesitz, Unternehmer, Kirchenhierarchien, Bildungsbürgertum -maßgeblich an der Zerstörung der Demokratie beteiligt!” So einfach ist (oder macht man sich) das Urteil.

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