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Schwarzer Peter den Katholiken?

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Veröffentlichungen über die Katholiken in der Weimarer Republik sowie über ihren Gang in das Dritte Reich können heute bereits ein Bücherregal füllen. Dagegen fehlt es an einschlägigen Darstellungen, die den Weg der österreichischen Katholiken durch die letzten Jahrzehnte aufzeigen, fast völlig. Erika Weinzierls mutiger Veröffentlichung über „Österreichs Katholiken und der Nationalsozialismus“ („Wort und Wahrheit“, Juni/ September 1963) kam eine „Eisbrecherrolle“ zu. Mit um so größerem Interesse greift man deshalb zu einem Buch*, das die Stellung der Katholiken in der Ersten Republik zu untersuchen ankündigt. Doch die Freude ist kurz. Sein Verfasser, der Aiustroamerikaner Alfred Diamant, verrät bald, daß es ihm nicht um eine nüchtern-kritische Untersuchung, sondern eher um die Verfassung einer Anklageschrift zu tun war. Wer brachte die Erste Republik ins Grab? Die Sieger von St. Germain, die dem jungen Staat ein Übermaß von wirtschaftlichen Lasten und seelischen Hypotheken in die Wiege legten? Das Fehlen eines inneren staatspolitischen Con-sensus zwischen den verschiedenen politischen Lagern? Der pseudoreligiöse Messianismus, der „links“ und „rechts“ zum „Endsieg“ drängte?

Die österreio/iischen Katholiken und die Erste Republik. Demokratie, Kapitalismus und soziale Ordnung 1918—1934. Von Alfred Diamant. Deutsche Übersetzung: Norbert Leser. Verlag der Wiener Volksbuchhandlung, 218 Seiten.Nein: Seit Alfred Diamant wissen wir — oder besser: sollen wir es glauben —, daß es „die Katholiken“ waren, die einzig und allein das Scheitern der Ersten Republik auf dem Kerbholz haben (S. 87).

„Die“,. Katholiken“: Eine solche Pauschalanklage ist allein schon unstatthaft. Nicht nur in unserer „pluralistischen“ Gegenwart ist es unmöglich geworden, die Katholiken mit einer einzigen Formel zu binden, auch für. die viel monolithischeren, geistig-politischen Formationen der Ersten Republik sollte die Gabe der Unterscheidung der Geister besser angewandt werden. Wir wollen keine Apologie treiben; wir wissen wohl, und die schon erwähnten Publikationen Erika Weinzierls, die hoffentlich bald ergänzt und ausgebaut als Buch vorliegen werden, bestätigen es freimütig vor aller Welt, daß die Einstellung nicht weniger Katholiken zur Demokratie in der Zwischenkriegszeit — sagen wir — problematisch war. Wir wissen aber auch, daß antidemokratisches Denken und Handeln damals wahrhaftig kein Privileg katholischer Kreise gewesen ist. Man tut der Geschichte Gewalt an, wenn man nur die einen vor den Richterstuhl zitiert, während alle anderen, die zumindest mit ebensolcher Berechtigung auf der gemeinsamen Anklagebank sitzen sollten, ihre Hände in Unschuld waschen dürfen. Leopold Kunschak und den christlichen Gewerkschaftern zum Beispiel wird zwar die schuldige Reverenz erwiesen. Aber gleichsam nur „im Vorübergehen“.Dabei hat Ludwig Reichhold (allerdings erst nach Abschluß der englischen Originalausgabe) in seinem Buch „Opposition gegen den autoritären Staat. Christlicher Antifaschismus 1934—1938“ (Europa-Verlag, 1964, Wien) einen überzeugenden Beitrag gegen die „Kollektivschuldthese“ vom Hineinschlittern der Katholiken in autoritäre Gedankengänge oder gar in den Faschismus geliefert.

Überhaupt: Leopold Kunschak. Seine Person allein beweist, daß die Geschichte nicht einfach über einen Leisten zu schlagen ist. Demokratie und Republik sind für Diamant nur Synonyme für ein und denselben Begriff. Dabei wissen wir aber, daß gerade Kunschak und nicht wenige andere überzeugende Wortführer des demokratischen Flügels der katholischen Bewegung lange Zeit in ihren Gedankengängen der Monarchie verhaftet blieben. Auch Ernst Karl Winter, vielbemühter Kronzeuge gegen den autoritären Staat, wandte, im Gegensatz zu Diamants Darstellung (S. 116), erst nach 1945 den Fahnen seiner Jugend den Rücken. Seine Opposition gegen den Ständestaat erfolgte noch im Zeichen der „sozialen Monarchie“. . Und wenn wir ein Stückchen nach rechts rücken: Die Forderungen des „frühen Seipel“ nach „Schaffung anderer Vertretungsformen“ für die neuen sozialen Kräfte, die das auf territorialen Wahlkreisen beruhende parlamentarische Vertretungssystem ergänzen sollten, mußten nicht zwangsläufig zu dem „Rechtskurs“ des „späten Seipel“ führen, der die Heimwehr als einen festen Posten in seine politische Rechnung eingesetzt hatte. Was sind denn unsere mit dem Recht der Gesetzesbegutachtung ausgestatteten Kammern, was ist die „Paritätische“ anderes als eben eine jener „anderen Vertretungsformen“ neuer gesellschaftlicher Kräfte. Die Kelsen-Renaissance unserer Gegenwart sollte bei aller menschlicher Hochachtung vor dem Vater der österreichischen Bundesverfassung nicht darüber hinwegtäuschen, daß sein Verfassungskonzept der gesellschaftlichen Wirklichkeit schon 1920 nicht mehr gerecht wurde und .heute nur dadurch funktioniert, daß wir neben der geschriebenen schon lange eine gelebte Verfassung haben. Das mag allen, die geistige Klarheit anstreben, nicht immer sympathisch sein. Aber was soll man ändern, das Leben oder die Verfassung?

Wie sehr bei Alfred Diamant anti-katholische Vorurteile den Blick des nüchternen, ansonsten dem empirischen angelsächsischen Denken verpflichteten Soziologen trüben, zeigt die kritiklose Übernahme der landläufigen Ansicht, daß Österreich bis 1918 „ein katholischer Staat“ (S. 68) gewesen sei. Und die These, daß die Mitgliedschaft bei katholischen Verbindungen für den Staatsdienst „eine conditio sine qua non“ (S. 79) gewesen sei, eilt ihrer Zeit voraus. In dem „katholischen Staat“, der die Monarchie gewesen sein soll, war dies — schlag nach bei Friedrich Funder — eher ein Hindernis.

Doch ende nicht mit Fluch der Sang. Wenn man auch den Versuchen, den Katholiken den Schwarzen Peter für den Untergang der Ersten Republik zuzustecken, entschieden entgegentreten muß, so kann man doch aus Alfred Diamants Werk viele Anregungen empfangen. Vor allem die den sozialen Schulen „Sozialpolitik“ und „Sozialreform“ sowie ihrer geistigen Ahnenkette gewidmeten Kapitel zeigen Diamant auf der Höhe seines Wissens. Hier vermittelt er Perspektiven, die man durchaus nicht unkritisch übernehmen muß, die aber die katholischen Historiker und Gesellschaftswissenschaftler Österreichs anspornen sollten, sich stärker mit unserer jüngsten Vergangenheit zu konfrontieren.

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