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„Die Partei ist unfähig!“

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Jugoslawien steht vor einer Wirtschaftskrise und „harten Maßnahmen“, aber die Form der Auseinandersetzungen deutet auf fortschreitende Demokratisierung. In anderen Oststaaten undenkbar: Politiker stellen ihr Amt zur Verfügung. Vor einigen Jahren trat nach einer Abstimmungsniederlage die serbische Regierung geschlossen zurück, nun demissionierte der Stellvertretende Ministerpräsident der Bundesregierung, M i 1 j a-n i c. Grund: die Wirtschaftliche Situation.

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Jugoslawien steht vor einer Wirtschaftskrise und „harten Maßnahmen“, aber die Form der Auseinandersetzungen deutet auf fortschreitende Demokratisierung. In anderen Oststaaten undenkbar: Politiker stellen ihr Amt zur Verfügung. Vor einigen Jahren trat nach einer Abstimmungsniederlage die serbische Regierung geschlossen zurück, nun demissionierte der Stellvertretende Ministerpräsident der Bundesregierung, M i 1 j a-n i c. Grund: die Wirtschaftliche Situation.

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Schon im Oktober fanden äußerst wichtige Parteiberatungen in Belgrad statt: Die 13. Session des Parteipräsidiums, die das zweite, darauffolgende Ereignis, nämlich die Erste Parteikonferenz, vorbereiten sollte. Auf beiden Konferenzen forderten die Wortführer harte Maßnahmen, um eine weitere Verschlechterung, vielleicht sogar eine echte Wirtschaftskatastrophe zu verhindern. Es war überraschend und für ein kommunistisch regiertes Land völlig ungewöhnlich, mit welcher Offenheit namhafte Spitzenfunktionäre der Partei die Schwierigkeiten zur Sprache brachten. An der Sitzung des Präsidiums nahm Marschall Tito nicht teil, weil er zur selben Zeit eine Besuchstour in Westeuropa absolvierte.

Das Mitglied des Exekutivbüros, Mi-jalko Todorovi6, sprach zum Beispiel offen aus, daß die Führer Jugoslawiens über die wirtschaftlichen Schwierigkeiten nicht richtig informiert und überdies uneinig seien.

Ursprünglich hätte nur die trostlose Situation der Landwirtschaft auf der Ersten Parteikonferenz diskutiert werden sollen. Indessen hatte jedoch Tito seine Entscheidung über die Einführung einer „kollektiven Staatsführung“ verkündet, die dann von der 12. Session des Parteipräsidiums gutgeheißen wurde. Die Wirtschaftslage hatte sich unaufhaltsam verschlechtert, man konnte davor bei der 14. Session des Präsidiums, am 24. Oktober, nicht mehr die Augen verschließen. Der Slowene Kavcic kritisierte die bisher praktizierte Wirtschaftszen-tralisation der Zentralregierung in Belgrad und verlangte mehr Autonomie der Teilrepubliken in Wirtschaftsfragen. Dieser Antrag wurde von seinem Landsmann Kardelj abgelehnt. Darin aber waren sich beide einig (dessenungeachtet, daß Kavcic als .Liberaler“ bekannt ist), daß wenigstens vorübergehend harte Maßnahmen notwendig seien, wenn man eine totale Wirtschaftskatastrophe vermeiden wollte. Ohne radikale „administrative Einmischung' gibt es keinen Ausweg! Laut Kavcid „ist es für jedermann klargeworden“, daß das Budgetdefl-zit 400 Milliarden Dinar erreicht hat und daß in den Staatsbetrieben ein Wertverlust von 300 Milliarden Dinar zu verzeichnen ist. Kein Pappenstiel für ein Land, das auch bisher nur mit Hilfe ausländischer Kreditinjektionen, vorwiegend der großzügigen amerikanischen, existieren konnte.

In allem, was die Wirtschaftssituation anbelangt, erklärte sich Kardelj mit Kavci6 einverstanden. Es war die Rede von „unpopulären Maßnahmen“, die zur „Stabilisierung der Wirtschaft des Landes“ unumgänglich seien. Laut Kardelj sind auch gewisse ,Antiparteikräfte am Werk“, die gerne die notwendigen Reformen hintertreiben möchten. Diese Elemente seien es, die „partikularisti-sche Ideen“ verbreiten und „regionale Interessen“ vertreten. Kardeljs Hieb war zweifellos gegen die kroatischen Separatisten gerichtet. Kardelj forderte „offenen Kampf“ gegen die Feinde des Systems und verlangte ihre Identifizierung. Laut Todorovic liegt das größte Problem darin, daß die Partei unfähig gewesen sei, auf alle politischen und ökonomischen Fragen eine entsprechende Antwort zu erteilen. Warum? Weil sie zu sehr in die „Tagespolitik verwickelt“ war. Laut Todorovic existiert keine monolithische KP

mehr in Jugoslawien. Man brauche sie gar nicht mehr. Er verlangte auch mehr Selbstverwaltung, die zwar propagiert, aber von der Partei oft verhindert worden sei. Für große Entscheidungen müsse die Regierung genügend Autorität besitzen, und wenn ihre Suggestionen nicht akzeptiert würden, dann möge die Regierung resignieren! Der Ministerpräsident möge in seine Regierung geeignete Experten berufen, die fähig und willens seien, seine Pläne und Ideen in die Tat umzusetzen.

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