Sg. herr Bundeskanzler!

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"Vor allem geht es um einen gesamthaften Wurf, eine 'Erzählung' über dieses Land und seine Rolle in Europa. Ohne dieses große Ganze ist alles andere nichts."

Die meisten Kommentatoren und Beobachter sind sich einig: Jetzt, nach der letzten der vier Landtagswahlen, kommt die Stunde der Wahrheit für Sie und die von Ihnen geführte Bundesregierung. Nun werde man sehen, inwieweit Sie willens oder imstande sind, Ihren im Wahlkampf gestellten Anspruch "Zeit für Neues" mit konkreten Inhalten zu füllen. Sie würden kontern, es sei schon einiges geschehen und etwa auf Familienbonus, Deutschförderklassen oder das Sicherheitspaket verweisen. Und Anfang dieser Woche haben Sie gemeinsam mit dem Koalitionspartner weitere Reformvorhaben (Mindestsicherung, Krankenkassen) präsentiert.

Aber Sie sollten nicht zu gering veranschlagen, was einer der prominentesten Unterstützer Ihres Wahlkampfs, KTM-Chef Stefan Pierer, kürzlich dem Vernehmen nach von sich gab: Nun, nach den Länderwahlen, habe "die Schonfrist ein Ende", die Regierung müsse "endlich hinein in die Strukturen. Da war noch nicht viel, da muss jetzt was kommen." Pierer hatte dabei naturgemäß insbesondere Wirtschaftsthemen (Arbeitszeitliberalisierung, kalte Progression) im Blick. Aber es gilt weit darüber hinaus. Und es geht dabei auch nicht einfach nur um weitere Teilbereiche neben der Wirtschaft, sondern um einen gesamthaften Wurf, eine "Erzählung" über dieses Land und seine Rolle in Europa.

"Bürgerliche Wende"

Diese Regierung, so behaupte ich, wurde für eine "bürgerliche Wende" gewählt. Das gilt insbesondere für diejenigen, die diesmal das Kreuz bei Ihrer Partei gemacht haben - vielleicht nach langer Zeit wieder oder aber ohne Mentalreserve ("kleineres Übel") bzw. geballte Faust im Sack: Sie haben ihre Wahlentscheidung mit der Erwartung klarer liberalkonservativer Weichenstellungen verbunden. Man muss nicht Helmut Kohls "geistig-moralische Wende" bemühen -das Wort scheint irgendwie aus der Zeit gefallen, und es gehört wohl auch nicht zum Sprachschatz Ihrer Generation. Zudem kann man zu Recht einwenden, dass die Politik nicht für die Moral zuständig sei. Aber sehr wohl geht es auch um den Symbolhaushalt eines Landes, um Deutungshoheit und Besetzung der Begriffe, um leitende Bilder von Mensch und Gesellschaft: Was zählt? Was ist etwas wert?

zwangsläufige Widerstände

Ohne dieses große Ganze, davon bin ich überzeugt, ist alles andere nichts. Dieses "alles andere" ist freilich das Tagesgeschäft und schwierig genug. Sie haben ja einen von jenen Experten in Ihrem Team, die seit Jahren detail-und kenntnisreich beschreiben, woran das Land krankt, weshalb es auf hohem Niveau stagniert. Als Minister freilich hat der ehemalige Rechnungshof-Präsident bereits Schwächen erkennen lassen (nicht nur krankheitsbedingt). Man kann es als Symptom dafür lesen, dass das Benennen von Reformnotwendigkeiten eben leichter ist als deren Umsetzung. Es wird der Regierung nicht erspart bleiben, bei jeder einzelnen Maßnahme auch dazuzusagen, wen sie in welcher Weise betrifft, wie sie finanziert werden soll -und dann die zwangsläufig auftretenden Widerstände von Interessenvertretern aller Art (letztlich immer nach dem Florianiprinzip agierend: "aber nicht bei mir") zu überwinden.

Wenn Ihnen das gelingen soll, wird aber noch etwas ganz entscheidend sein, und das können Sie sich bei einem Ihrer Vorgänger als Kanzler und Parteichef abschauen: Von Wolfgang Schüssel hieß es, er habe sein Team stets wie ein "Hirtenhund" umkreist, um solcherart die "Herde" zusammenzuhalten. Das ist gewiss mühsam, mühsamer und gleichzeitig undankbarer als Auftritte auf dem internationalen Parkett (die natürlich wichtig sind). Aber ohne diese Mühe und Beharrlichkeit ist das Spiel mit Sicherheit nicht zu gewinnen. Am Ende des Jahres werden wir klarer sehen.

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