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Arzt und Priester

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Der Mensch von heute ist von Seelsorge und Medizin enttäuscht und hält Ausschau nach „Erlösern“ verschiedenster Art. Die Ursachen dieser Enttäuschung festzustellen wäre verdienstlicher als eine gegenseitige Bloßstellung. Keine Religion hat den Leib so ernst genommen wie das Christentum: in diesem Ernstnehmen ist die Kreuzigung, aber auch die Auferstehung enthalten. Arzt und Priester müssen sich in brüderlicher Gemeinschaft finden, um der Not des Menschen von heute zu steuern. Solange das alte Studentenlied recht behält, „Der Mediziner ist kein Christ, der Theolog zu weise“, solange ist eine wirkliche Vervollkommnung des Menschen in Frage gestellt.

II. .

Was braucht der Mensch zu seiner Vervollkommnung und wie kann ihm der Weg dazu gewiesen werden? Die Seele findet ihren Ausdruck im Leib, bedarf des Leibes, um sich zu manifestieren. Hier zeigt sich deutlich die Aufgabe des Arztes, die weitgehend mit jener des Seelsorgers parallel verläuft. Allerdings wird sich sowohl der Arzt als auch der Seelsorger die entscheidende Frage stellen müssen: Genügt es, den Menschen gesund erhalten zu wollen und die gestellte Aufgabe als gelöst zu betrachten, wenn keine Krankheit mehr festzustellen ist, oder liegt die Aufgabe darin, dem

Menschen bei der Vervollkommnung der Gesundheit zu helfen? Es erübrigt sich wohl die Feststellung, daß die zweite Auffassung die wesentlich richtige ist, weil der Mensch als Wanderer dem Ziele entgegengeht, das ihm durch die Natur und Übernatur gegeben ist. Der Vater, wenn er in Liebe gerecht sein will, muß von dem ihm anvertrauten Individuum ein Idealbild haben. Priester und Arzt müssen das auch haben, um zur Vervollkommnung die fördernde Väterlichkeit üben zu können.

Es wäre ein Zeichen von Hoffart, von unvollkommenen Kindern und Kranken sofort und gleich das jeweils Richtige zu verlangen. Dadurch kommt nicht nur keine Führung zustande, sondern sogar schuldhafte Verführung. Es gibt keine echte Vervollkommnung, wenn die Gelassenheit gegenüber der vorliegenden Un-vollkommenheit nicht gewahrt wird. Hier wird offenbar, daß Arzt und Priester die Mutter beobachten müssen, um von ihr zu lernen. Unvollkommenes zu gestatten und zu ertragen, bis der Zeitpunkt der Weiterentwicklung gekommen ist.

III.

Der Philosoph Scheler erklärt: Wer keinen Gott hat, hat einen Götzen, und wer keinen Glauben hat, hat einen Aberglauben und weist so auf eine gewisse Ordnung auch im Unvollkommenen hin.

Gibt es nun in der Medizin Bestrebungen, die auf eine Ordnung oder Vervollkommnung hindeuten?

Pettenkofer, der Begründer der Hygiene, sieht ihr Ziel in der Vervollkommnung der Gesundheit. Bircher-Benner sprach von Krankheit als gestörter Ordnung. Die Tiefenpsychologen Igor Caruso und Wilfried D a i m stellen ebenso wie der Hygieniker Werner K o 11 a t h fest, daß eine „Durchschnittsgesundheit“ nur der Statistik genügen kann. Der Psychologe Jung weist auf die „Individuation“ hin: „Jeder Mensch, ein einmaliger Gedanke Gottes, soll so werden, wie Gott ihn haben will.“

Dem praktischen Arzt Dr. F. X. M a y r (Gröbming-Wien) allein jedoch gelingt der

Ziel auf. Mayr 'fordert es, obwohl er sich nicht mit der psychischen Hygiene befaßte und durch einfaches Schauen und Tasten seinen einmaligen Weg ging.

Mit seiner Frage „Wann ist der Verdauungsapparat in Ordnung?“ traf er die innere Medizin an ihrer Achillesferse. (Es gäbe nicht so viel sogenannte einander gänzlich widersprechende Ernährungs- und Gesundheitsapostel, wenn diese Frage vor ihm schön gelöst worden wäre.) Bei der Lösung dieser Frage fand er eine Fülle sogenannter „Zeichen der Gesundheit“. Dabei fiel erst auf, daß die Medizin vor ihm zwar eine Lehre von den Krankheiten, aber keine Lehre von der vollkommenen Idealnormalgesundheit hatte. Literatur darüber ist durch den Verlag „Neues Leben“, Bad Goisern, Oberösterreich, anzufordern.

Der Arzt und der Priester dürfen sich aber auch ihrer Verpflichtung zur Väterlichkeit nicht entziehen, dürfen nicht pelagianisch Ordnung „machen“ wollen, sie müssen vielmehr die Ordnung „kommen lassen“. Es ist also Hoffart, eine Psyche oder Physis zu synthetisieren. Natura sanat, medicus curat bedeutet auch, daß niemand willkürlich und „eigenmächtig“ vorgehen darf.

Wir katholischen Ärzte und Mediziner, aber auch Theologen und Laien dürfen daher gerade in Wien den Vorträgen des Theologen und Soziologen Prof. Di Ludwig Berg mit großer Erwartung und Spannung entgegensehen. Mögen die Vorträge und diese Zeilen dazu führen, daß die „Gesundheit im christlichen Sinn“ eine Vervollkommnung des Leibes und der Seele sein kann.

Wir werden uns in naher Zukunft mit den Störungen dieser Entwicklung und mit ihrer Behebung durch den Priester und Arzt zu befassen haben. Beide können heute bereits auf ein fest umrissenes Ziel mit einer besseren Kenntnis des Weges zusteuern. Wir werden auf diesen Wegen aber auch deutlich spüren, daß Erkenntnis und Gesundheit, trotz alles Bemühens, von der Gnade abhängig sind. Mögen Priester und Arzt dabei immer mehr zueinander finden.

Vorträge: 1. „Zur Theologie der Medizin“; für

Ärzte und Studenten der Medizin, am 28. April um 20 Uhr im Palais Palffy, Wien I, Josefsplatz e. —

2. „Gesundheit — wie sie der Katholik sieht“: für alle, am 29. April um 19.30 Uhr im Festsaal der niederösterreichischen Landesregierung, Wien [, Herrengasse 13.

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