"Eigentlich haben wir vor uns selber Angst"

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Zum Geburtstag ist er Gast im Furche-Gespräch: Am 22. Juli wird Hans Tuppy 75 Jahre alt. Der weltbekannte Biochemiker, österreichische Wissenschaftspolitiker und engagierte Katholik hat nichts von seiner Leidenschaft verloren. Trotz Emeritierung hält er heute noch die großen Chemie-Vorlesungen für Medizinstudenten in Wien.

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Zum Geburtstag ist er Gast im Furche-Gespräch: Am 22. Juli wird Hans Tuppy 75 Jahre alt. Der weltbekannte Biochemiker, österreichische Wissenschaftspolitiker und engagierte Katholik hat nichts von seiner Leidenschaft verloren. Trotz Emeritierung hält er heute noch die großen Chemie-Vorlesungen für Medizinstudenten in Wien.

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dieFurche: Die Biowissenschaften sind eine prominente, wenn nicht "die" Wissenschaft unserer Tage geworden. Haben Sie diese Entwicklung erwartet?

Hans Tuppy: Nein, die wichtigsten grundlegenden Entwicklungen in der Wissenschaft sind nicht vorhersehbar. Was man voraussehen und auch bis zu einem gewissen Grad steuern kann, sind technologische Entwicklungen. Es ist interessant: Weder die moderne Elektronik wurde von großen Utopisten vorhergesehen noch die Genetik.

dieFurche: Welche Entwicklungen erwarten Sie für die nächste Zeit?

Tuppy: Als Biowissenschafter meine ich, daß die Wechselwirkung von Lebewesen und Umwelt noch interessante Aspekte bieten wird. Man wird in Kürze sehr viel über das Erbgut wissen, aber in bezug auf das Wechselspiel mit dem, was nicht im Erbgut verankert ist, ist noch viel zu erwarten. Aber es kann sein, daß ganz andere Wissenschaften in den Vordergrund treten werden. Ich bin ja kein Literat, der Utopien in die Welt setzt.

dieFurche: Die Biowissenschaften - und dabei vor allem die Eingriffe ins Erbgut - rufen aber auch große Ängste hervor.

Tuppy: Die Ängste verschaffen uns die Menschen, die mit den Dingen umgehen, nicht die Dinge selbst. Eigentlich haben wir vor uns selber Angst. Das ist trotzdem ernstzunehmen. Die Grunderkenntnisse dessen, was heute passiert, sind nicht neu. Wenn Sie bedenken, daß das Klonieren im Reich der Lebewesen seit langem bekannt ist. Es findet natürlicherweise statt, auch in der Tierzucht. Was jetzt kommt, ist nur, daß der Mensch es auch an sich selbst anwendet. Hier besteht die Unsicherheit, wie damit fertigzuwerden ist. Und das in einer Zeit, in der überhaupt große Wertunsicherheit besteht.

dieFurche: Ist die Wertunsicherheit für diese Ängste bestimmend?

Tuppy: Ja, auch. In einer Zeit der Pluralität und der Konfrontation ist es nicht leicht, sich zurechtzufinden. Die Menschen suchen dann vielfach nach einer stärkeren Fixierung.

dieFurche: Sind diese Ängste nicht auch berechtigt.? Am Ende der Entwicklung könnte ja stehen, daß wir imstande werden, einen Menschen zu machen ...

Tuppy: ... diese Ausdrucksweise, "daß wir einen Menschen machen" ...!? Es ist ja nicht so, daß wir aus nichts einen Menschen machen: Was wir im Hinblick auf die Komplexität der Lebewesen mit den Lebewesen tun, ist ja immer noch relativ geringfügig ...

dieFurche: Gibt es da eine Grenze, die man nicht überschreiten sollte?

Tuppy: Ich glaube nicht, daß es hier absolute Grenzen gibt - weder von der Praxis, noch von einer Ethik her. Es ist sehr vieles wirklich im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklungen und politischen Rahmenbedingungen zu beurteilen. Ich war immer sehr überrascht, wie leicht man etwa die Herzverpflanzungen genommen hat, kurze Aufregung, dann hat sie jeder akzeptiert. Das heißt nicht, daß es keine Grenzen gibt; aber heute anzugeben, dort wird ein für allemal die Grenze sein, scheint mir nicht möglich. Das bedeutet nicht, ich sei der Meinung, heute keine Grenzen setzen müssen.

dieFurche: Zum Beispiel fordern viele - auch die Kirche - man dürfe keine Eingriffe in die menschliche Keimbahn zulassen. Setzen Sie diese Grenze heute?

Tuppy: Ja. Ich war ja auch an der diesbezüglichen Gesetzgebung in Österreich beteiligt. Andererseits sage ich immer, diese Grenze könnte zu revidieren sein, wenn die entsprechenden Voraussetzungen gegeben sind. Denn, stellen Sie sich vor, wir können so mit Sicherheit bei Kindern eine schwere Krankheit ausschalten, an denen die Eltern leiden. Selbstverständlich wird man dann die ethische und gesetzliche Regelung revidieren. Aber würde man heute damit anfangen, bevor das wissenschaftlich wie ethisch durchdiskutiert ist, wäre es nicht zu verantworten.

dieFurche: Und wie ist es, um beim Beispiel zu bleiben, dann aber möglich, weiterzuforschen? Sie müßten ja dann doch an der Keimbahn experimentieren?

Tuppy: Die Keimbahn des Menschen und die der Tiere sind einander sehr ähnlich. Es ist bisher auch beim Tier nicht gelungen, eine mit vertretbarem Risiko verbundene Keimbahntherapie zu entwicklen. Das heißt: man muß zunächst einmal alle - wirklich alle! - Voraussetzungen dafür schaffen, daß es verantwortbar wäre, sie am Menschen anzuwenden.

dieFurche: Wie beurteilen Sie generell die ethische Diskussion dieser Fragen?

Tuppy: Die ethische Diskussion gewinnt an Breite. Sie vollzieht sich auch keineswegs bloß im Kreise der Philosophen oder Theologen, sondern durchaus in der Wissenschaft selbst und in einer breiteren Öffentlichkeit. Was mich stört ist, wenn Ethik als Ergebnis der Angst betrieben wird: Ethik sollte nicht sublimierte Angst sein.

dieFurche: Aber es gibt hier die wissenschaftliche Entwicklung und daneben eine Ethikdiskussion, die dieser Entwicklung nachhinkt.

Tuppy: Heute ist die ethische Diskussion bedeutend rascher als früher. Zu jeder ethischen Diskussion gehört auch, daß man allfällige Folgen von Handlungen und ebenso von Unterlassungen überlegt. Wenn aber Ethiker oder andere sagen, die Ethik kommt mit der Entwicklung nicht mit, so ist das ist ein böses Urteil über die Ethik.

dieFurche: Was ist das Christliche, das Sie in diese Diskussion einbringen?

Tuppy: Ich glaube, daß Christentum und Ethik nicht das gleiche sind. Falsch wäre, das Christentum möglichst nur ethisch, als etwas für die braven Buben und Mädchen anzusehen. Nichtsdestoweniger bleibt als christliches Fundament die Wertschätzung der Schöpfung und des Menschen als Erlöste. Allerdings: Zu mir gehört auch ein Grundvertrauen, welches bei vielen Christen offensichtlich nicht besteht, die immer nur Unheil sehen ...

dieFurche: Ist es diese Angst, wogegen Sie andenken?

Tuppy: Angst ist eine ganz berechtigte vernünftige Reaktion, ein Schutzmechanismus, wenn Gefahr droht. Was mich aber so stört, ist die lähmende oder die panikmachende Angst, mit der auch viel Geschäft gemacht wird. Diese gibt es ja nicht nur in bezug auf die Biowissenschaften, sie ist eine um sich greifende Grundstimmung, die eigentlich mit christlichem Verständnis nicht übereinstimmt. Natürlich, man muß auch immer das Schlechteste für möglich halten. Aber gleichzeitig hat man doch die Hoffnung auch.

dieFurche: Sie sind zeitlebens in der katholischen Kirche stark engagiert gewesen. Wie beurteilen Sie die Kirche heute?

Tuppy: Einerseits hat die Kirche in den letzten Jahrzehnten, rund um das Konzil, fast unvorstellbare Schritte nach vorne getan. Auch wenn mit Recht bedauert wird, daß es nicht weitergeht ist dies nach den Maßstäben der "kirchlichen" Zeitmessung ganz erstaunlich. Die Stellung der Christen zu den Juden etwa, das ist wirklich entscheidender Weise gebessert worden, nach den Jahrhunderten tragischer Verstrickungen. Das gilt auch für das Verhältnis von Wissenschaft und Glaube: Wenn ich mich daran erinnere, was ich an Theologie noch gelernt habe; da war eine verhärtete Theologie, die wirklich mit der Wissenschaft kaum kompatibel zu sein schien. Wenn ich daran denke, wie der derzeitige Papst vor nicht allzu langer Zeit im Zusammenhang mit Galilei die Bibelwissenschaftler aufgefordert hat, wie sie vorgehen sollen. Von höchster hierarchischer Seite aus eine Ermahnung an die Theologen, wo er ausdrücklich gesagt hat: In manchem war Galilei christlicher als die Theologen damals. Es ist fast unglaublich, daß das möglich gewesen ist.

dieFurche: Das ist die eine Seite ...

Tuppy: Ja. Wie sich die Kirche auch in die Kultur von heute eingebracht hat in den letzten Pontifikaten, das war schon ganz beachtlich. Die wirkliche Problematik liegt aber im Auseinanderklaffen von Offenheit im Externen und Ängstlichkeit im Inneren ...

dieFurche: ... und zusätzlich gibt es in der Kirche immer weniger Leute, kaum Priester: Kirche droht als gesellschaftlicher Faktor zu verschwinden.

Tuppy: Ich glaube, daß durch hierarchisch-doktrinäre Einengung der Kirche nicht geholfen wird. Man kann zwar meinen, vielleicht bleibt irgendwann einmal ein Kern von fast fundamentalistischer Härte über, der die Kirche rettet. Ich persönlich meine nicht, daß das stimmt. Es ist ja nicht wahr, daß es früher so einen hierarchischen Durchgriff gegeben hätte. Ganz im Gegenteil! Dieses schreckliche hierarchische Durchgreifen verstellt auch den Blick auf die wesentlichen Dinge! Wem macht es dann noch Freude, Christ zu sein?

dieFurche: Meinen Sie damit etwa, daß der Papst den deutschen Bischöfen bis in die Formulierung diktiert, wie sie in der Schwangerenberatung, also in einer bestimmten politischen Situation, zu agieren haben?

Tuppy: Beispielsweise. Das war wirklich eine Frage auch ethischer Natur, wo es nicht nur einen einzig vertretbaren ethischen Gesichtspunkt gibt. Das kann nicht nur eindimensional gesehen werden; und die deutschen Bischöfe haben sich ehrlich bemüht.

Das Gespräch führte Otto Friedrich.

ZUR PERSON Forscher, Lehrer, Politiker Hans Tuppy wurde 1924 in Wien geboren. Sein Vater war hoher österreichischer Justizfunktionär und wurde im Dritten Reich von den Machthabern ermordet. Tuppy studierte 1942-48 in Wien Chemie. 1945 gehörte er zu den Mitbegründern sowohl der Katholischen Hochschulgemeinde als auch der Österreichischen Hochschülerschaft. In den 50er Jahren war Tuppy in Cambridge wesentlich an der Strukturaufklärung des Insulins beteiligt, sein Lehrer Frederick Sanger erhielt dafür 1958 den Chemie-Nobelpreis. 1958 wurde Tuppy Professor für Biochemie an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien. 1983-85 war er Rektor der Universität, danach zwei Jahre lang Präsident der Akademie der Wissenschaften. 1987-89 stand er, der seit den 60er-Jahren zum "Denker-Vorfeld" der ÖVP gehörte, an der Spitze des Wissenschaftsministeriums. Heute noch ist Hans Tuppy als Wissenschaftler und Universitätslehrer tätig.

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