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Illusion oder bittere Realpolitik?

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„Nationen haben gesprochen, Staaten gehandelt, Parteien das Ihre versucht. Es ist an der Zeit, daß der einzelne Mensch das Wort erhält, er, der Betroffene, der Gefährdete, um das Seine zum Schutze des Weltfriedens, der auch sein eigener Friede wäre, zu sagen und zu tun. Um ihn, den Menschen, geht es ja immer wieder und sein Glück, seine Not, sein Wohlstand und sein Leben sind das, womit gewürfelt, gekauft und gezahlt wird: Er wird in Not geraten oder Glück und Ordnung seiner Welt erleben dürfen. Er ist es, der am Ende lächelt, verzweifelt, verschüttet liegt, fällt oder lebt.

Es ist an der Zeit, ihn, den Weltbürger aller Kontinente, aufzurufen zu einer Weltgemeinschaft, die die Menschen nach soviel Leid und Verwirrung verbinden soll, um so eine edite und dauernde Befriedung aller Lebenden zu verwirklichen.,,”

Ein humanistisches Manifest ist eine „menschliche Kundgebung” und mit solch einer menschlichen Kundgebung tritt das soeben in Zürich und Wien ins Leben gerufene Institut für Friedenswissenschaft und Völkerverständigung erstmals in Erscheinung. Und dieser erste Gehversuch ist tatsächlich ein menschliches Unternehmen.

Mit den obigen Worten begründet es sein Auftreten und dokumentiert damit gleichzeitig das Eingeständnis, daß alle bisherigen Versuche — ob sie über Nationen, Staaten oder Parteien geleitet wurden — gescheitert sind. Und doch waren die früheren Initianten, die über diese drei Institutionen eine Friedenswissenschaft und eine Völkerverständigung herbeiführen wollten, bestimmt auch Männer, in denen Realität und Idealismus, zu gleichen Teilen gepaart, ein harmonisches Ganzes ergaben. Auch sie waren überzeugt, das Ziel zu erreichen, und mußten beschämt den Zusammenbruch in immer wieder neuen Kriegen erleben.

Das neue Institut will nun direkt zum Menschen sprechen, ohne den Umweg über ein Mittelinstrument! Sein humanistisches Manifest schildert die gegenwärtige Situation, gezeichnet von Enttäuschung über die Vergangenheit und von Angst vor der Zukunft, dargelegt in den nackten Ziffern der Verluste des letzten Krieges.

„Es werden Resolutionen gefaßt, Menschheitsfragen erörtert, Vorschläge gesammelt, Kongresse einberufen, Konferenzen abgehalten und vertagt.

Aber es geschieht nichts. Nichts Wesentliches, nichts der Lage wahrhaft Angemessenes, nichts Rettendes!

Denn jeder Verudi zur friedlichen Zusammenarbeit der Völker, jeder noch so geeignete Vorschlag zu einer sachlichen Harmonisierung der Weltwirtschaft scheiterte bisher immer am machtpoLitischen Mißbrauch des Souveränitätsbegriffes, am immer ausgeprägteren Gruppenegoismus und an den romantisch gefühlsbetonten Faktoren, die zwar Werte zersetzen aber nicht schaffen können. — Wahre Souveränität aber heißt gegenseitige Anerkennung und Einordnung auf der Grundlage von übernationalem Recht und Gesetz,”

Das ist der Grundgedanke des Manifests, das schließlich „die ihrer Menschheitsmission bewußte aktivistische Intelligenz” zur Mitarbeit in das Forum humanum auffordert.

Die Schlußformulierung über den Souveränitätsbegriff beweist wieder das Doppelspiel zwischen Illusion und Realität. Ist ein „Einordnung auf der Grundlage von übernationalem Recht und Gesetz” überhaupt möglich? Bis jetzt sind alle diese Versuche mißlungen. Der freiwillige Zusammenschluß im Völkerbund ist gescheitert und die freiheitliche Vereinigung in der Organisation der Vereinten Nationen scheint nicht gerade erfolgversprechend.

Ist also ein solcher Versuch eines Instituts, eines darauf aufgebauten Forum humanum, eine planvolle und zielstrebige Anstrengung oder eine nie zu vollendende Sysiphusarbeit, ist er Illusion oder Realität? Er ist Illusion, soweit jeder Idealismus Illusion ist, er wird aber Realität in dem Maße sein, in dem die tatkräftige Unterstützung durch gutgesinnte und geeignete Mitarbeiter Realität wird.

Und wenn dieses Forum humanum jetzt schon von seinem Schlußziel, dem Zusammenschluß der Menschen in einer „Weltbür geruni on”, spricht, so scheint die Illusion vollendet. Man darf aber nicht vergessen, daß noch vor nicht allzu langer Zeit di Idee eines vereinigten Europas eine nicht zu verwirklichende Illusion schien, während jie jetzt durch die tatkärftig Unterstützung geeigneter Männer zur Realität zu werden scheint…

Zudem: Ideen müssen immer vor den Taten geboren werden und oft zu einer Zeit, wo sie noch nicht verstanden werden! Es war eine Illusion, als Dädalus und Ikarus mit schwachen Federn ihre ersten Flugversuche machten, und es ist eine Realität, daß der heutige Fortschritt im Flugwesen zu Krieg und Brand mißbraucht wird. So ist es augenblicklich auch eine Illusion, wenn dieses Institut auftreten will, um zum Beispiel diese Fortschritte in den Dienst des Wohlstandes zu stellen, es kann aber zur Realität werden, wenn es sich dabei stützt auf die Grundfeste christlichen Gedankengutes.

Und so wie jeder ideale Gedanke unter- stützenswert ist, so ist auch die Idee eines Instituts für Friedenswissenschaft und Völkerverständigung, der Gedanke des Forum humanum und das Streben nach einer Wclt- bürgerunion unterstützenswert. Aber: all diese Organisationen müssen das werden und bleiben, wozu sie sich in ihrem Manifest bekannt haben! Dieses Manifest ist eine „menschliche Kundgebung”. Es wird die Tatkraft aller Gutgesinnten brauchen, um nicht durch „menschliche”, das heißt schwächliche und irrende Fehler die Idee an sich abgleiten zu lassen auf die schiefe Ebene von Privaten, Parteien, Staaten, Nationen oder Weltanschauungen. Nur durch die gesunde Verbindung von Skepsis und Bereitwilligkeit, nur durch das vernünftige Abwägen zwisdien Idealen und Realitäten wird aus der „menschlichen Kundgebung” schließlich ein „humanistisches Manifest”, nämlich ein Manifest zum Humanismus.

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