Was war gut an der DDR?

19451960198020002020

Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall ist das Kapitel SED nicht abgeschlossen. Die Nachfolgepartei Linke stellt den ersten Landeschef.

19451960198020002020

Auch 25 Jahre nach dem Mauerfall ist das Kapitel SED nicht abgeschlossen. Die Nachfolgepartei Linke stellt den ersten Landeschef.

Werbung
Werbung
Werbung

Anfang Dezember soll mit Bodo Ramelow der erste Ministerpräsident der Linkspartei vereidigt werden. Ramelow ist zwar gebürtiger Hesse und daher kein ehemaliger DDR-Bürger, doch er steht im kleinen Bundesland Thüringen der Linken vor, jener Partei, in der die Nachfolgepartei der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) aufgegangen ist. Er wird, wenn denn die Koalitionsverhandlungen erfolgreich verlaufen und der Landtag ihn mit der knappen linken Mehrheit wählt, einer rot-rot-grünen Regierung vorstehen. Eine Premiere für Deutschland!

Dass die Linke besonders in den "neuen" Bundesländern, also den Provinzen der ehemaligen DDR, als Alternative zu den Sozialdemokraten und den Grünen gesehen wird, hat gewiss nichts damit zu tun, dass sie dort das bessere Personal oder die überzeugenderen Ideen vorzuweisen hat. Für viele Menschen, die der DDR oder einigen Bequemlichkeiten des Lebens im Arbeiter- und Bauernstaat nachtrauern, ist die Linke so etwas, wie ein Stück Identität. Auch wenn Bodo Ramelow und seine Leute sich in den Koalitionsgesprächen dazu durchgerungen haben, die DDR teilweise als "Unrechtsstaat" zu verurteilen.

Suche nach Konsens

Parteiintern ist das keineswegs Konsens. Auch Klubchef Gregor Gysi, der ja in der DDR als Rechtsanwalt arbeiten konnte, hat eine differenziertere Sicht auf den Staat, der ihm einst das Leben schwer machte. Der Politikwissenschaftler Torsten Oppelland glaubt, dass diese Frage die Linke noch lange beschäftigen wird. Dass Ramelow da pragmatisch agierte, um die Koalitionsgespräche nicht zu sprengen, bevor sie noch recht begonnen hatten, findet er in einem Interview mit dem Deutschland Radio verständlich. Zum einen stamme Ramelow aus Westdeutschland. Zum anderen "sieht er die Chance zu regieren und will sie auch nutzen."

Wenn SPD und Grüne sich darauf einlassen, einen Mann der Linken zum Ministerpräsidenten zu wählen, brechen sie ein lange gepflegtes Tabu: Mit den Nachfolgern des "Unrechtsstaates" könne es keine Zusammenarbeit geben. Damit spielte man der CDU in die Hände, die trotz linker Mehrheiten in mehreren Bundesländern immer wieder ihre Herrschaft sichern konnte. Gleichzeitig wird ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall eine politische Normalisierung eingeleitet. Nicht einmal aus dem konservativsten Eck wurden Befürchtungen gestreut, dass um Thüringen jetzt eine Mauer gebaut wird oder die Bauern in Produktionsgenossenschaften gezwungen werden.

Die Sehnsucht nach dem Guteni

Die Menschen sehnen sich nach dem, was gut war an der DDR. Aber: was war denn gut an diesem Staat, der vom Westen aus als Diktatur mit allgegenwärtigem Unterdrückungsapparat wahrgenommen wurde. "Nichts war gut", findet auch Maria Nooke, Direktorin der Gedenkstätte Marienfelde und ehemalige DDR-Bürgerin. Trotzdem, so konzediert sie, sei "individuell in diesem System ein ganz normales Leben und auch Glück" möglich gewesen: "Leute, die in der DDR gelebt haben, konnten auch sagen, das war eine glückliche Zeit für mich. Sie haben eine Familie gegründet, Freundschaften geschlossen. Man war sich aber immer bewusst, dass es Grenzen gab, die man nicht überschreiten konnte".

Einen anderen Aspekt findet Christoph Links, der mehrere Bücher von Maria Nooke über Flucht und Fluchthilfe in den Westen verlegt hat. Die DDR habe in manchen Bereichen versucht, Lösungen für gesellschaftliche Bereiche zu finden, "die nicht allein über kommerzielle Ausrichtungen konstruiert waren". Das medizinische System war über die Polykliniken so organisiert, dass man alle Fachärzte in einem Haus hatte "und man nicht das Gefühl hatte, es werden einem zusätzliche Behandlungen empfohlen, weil sie für den behandelnden Arzt oder Röntgenologen viel Gewinn abwerfen. Das war sicher ein Ansatz, den viele im Nachhinein noch vernünftig finden". In den Schulen habe es mit der Ganztagsbetreuung eine Praxis gegeben, die heute auch aufgeriffen werde. Selbst die Mangelsituation und das bescheidene Warenangebot seien nicht ausschließlich negativ gewesen: "Es gab einen stärkeren Zusammenhalt weil man zusammenstehen musste, um bestimmte Probleme zu lösen, und der Alltag war nicht so kommerzialisiert. Insofern gibt's schon Bereiche, die die Menschen beim Blick in den Alltag als ganz angenehm empfinden".

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung