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Zwischen Tatsachenbericht und „Partei“- Geschichte

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Die Auseinandersetzungen über den Problemkrei Geschichtsschreiber und Geschichtsschreibung, die im letzten Wintersemester die Sprechabende der Historischen Arbeitsgemeinschaft in der Wiener Katholischen Akademie erfüllten, haben besonders auch die Frage des Verhältnisses einer äußersten Bemühung um Objektivität zu dem das Gewissen mitunter nicht weniger verpflichtenden weltanschaulichen Bekenntnis zu klären versucht.

Zunächst einmal: Hat der Geschichtsschreiber, von dessen Gewissenspflicht zu weltanschaulicher Stellungnahme hier gesprochen wird, überhaupt ein Recht, seine persönliche Einstellung zu Gott und Welt, zu Staat und Gesellschaft in seinen Arbelten erkennbar zu machen, in dem Wunsch, den Leser seinen Weg zu führen, ihn zu seinen Überzeugungen zu bekehren? Hat er nicht einfach die aus den Quellen geschöpften Tatsachen, den Inhalt der in den Gegenstand einschlagenden Urkunden und Akten, also die Elemente der Urteilsbildung, vor dem Leser auszubreiten und ihm den Spruch zu überlassen?

Nun, das Recht zu einer kritischen Stellungnahme gegenüber den Ereignissen der Vergangenheit wird dem Geschichtsschreiber wohl niemand grundsätzlich absprechen wollen. Ist er doch schon durch seine genaue Kenntnis aller Einzelheiten des geschilderten Vorgangs, die in seiner Darstellung aus Gründen der Raumökonomie nur in Auswahl gebracht werden können, vor anderen befähigt und berufen. Daß die geistigen Strömungen seiner Gegenwart sein Urteil mitbestimmen werden, ist klar, in welchem Ausmaß, wird von seinem Temperament und der Leidenschaftlichkeit seiner Anteilnahme abhängen. Und selbst bei bewußter Zurückdrängung aller subjektiven Regungen wird das gezeichnete , Bild immer noch die Spuren seiner Entstehungszeit an sich tragen. Im übrigen: Wer würde schon von einem völlig farblosen bloßen Tatsachenbericht befriedigt sein — es sind vorweg die subjektiven Elemente der Darstellung, es sind die innere Anteilnahme am geschichtlichen Geschehen und das Erfassen der alle kleinen und großen unnenn baren Kräfte in sich sammelnden Atmo Sphäre, die auch den gleichgültigen Lesei aufrütteln, seine Zustimmung oder Ablehnung herausfordern. Jede Zeit tchaut mit ihren Augen in die Vergangenheit, und auf die Geschichtsschreibung jeder Epoche ist letztlich cum grano salis Goethe Wort anzuwenden:

.... die Zeiten der Vergangenheit sind uns ein Buch mit Sieben Siegeln. Was ihr den Geist der Zeiten heißt, das ist im Grund der Herren eigner Geist, in dem die Zeiten ich bespiegeln.“

Unsere Gegenwart, unsere österreichische Gegenwart, ist gekennzeichnet durch eine tiefgehende politische Aufspaltung, und Volk und Staat befinden sich in einer Gefährdung, von außen und von innen, die keinem mehr erlaubt, gleichgültig — „neutral“ — zu bleiben. Jeder folgt einer Fahne, ja jeder irägt eine Fahne, und gerade der Geschichtsschreiber sollte seine Fahne in die Tasche stecken? Auch für ihn gilt schließlich das Wort Emile de Girardins: „Eine Fahne, die man in seiner Tasche versteckt, ist keine Fahne mehr: sie ist ein Taschentuch.“

Aber der Gesdiichtsschreiber hat nicht nur das Recht, zur Vergangenheit kritisch Stellung zu nehmen, er wird immer und immer wieder, wenn er nicht ein weitab jeder weltanschaulichen Wertbarkeit liegende Thema bearbeitet, sich verpflichtet finden, seinen Lesern ein Führer zu sein.

Ein Beispiel: König Friedrich II. von Preußen schreibt im Vorwort seiner „Histoire de mon temps“:

„Der Leser wird in diesem Werk Verträge geschlossen und gebrochen finden. Ich sage dazu: wenn sich unsere Interessen ändern, müssen sid) unsere Allianzen mit ihnen ändern. Unser Amt ist, über dem Glück unserer Völker zu wachen; sobald Wir für si in einer Allianz eine Gefahr sehen, müssen wir sie brechen. Hierin opfert sidi der Fürst für das Wohl seiner Untertanen. Diejenigen, welche diese Handlungsweise So hart verdammen, betrachten das gegebene Wort als etwas Heiliges. Sie haben recht, und ich denke wie sie, -.oweit e-s sich um den einzelnen handelt. Der Fürst dagegen setzt durch ein Wort das Glück aller auf das Spiel; es ist also besser, daß er einen Vertrag breche, als daß das Volk zugrunde gehe,“

Friedrich hält alle Mittel im Dienste ies Staates für erlaubt. Anders Maria Theresia. Ausdrücklich stellt sie in einem Brief an den österreichischen Residenten in Rußland, Hohenholz, den Pürsten unter des Gesetz: .Da wir“, so heißt es hier,„nicht über die Gesäze (gestellt), sondern an die Gesäze gebunden sind“, so stehe et nicht in ihrer Macht, dem Wünschte der Zarin Elisabeth nach Verurteilung des Marquis Botta, der fälschlich hochverräterischer Umtriebe beschuldigt worden war, zu willfahren. Und immer wieder betont sie die unbedingte Verpflichtung des Fürsten zu Billigkeit und Rechtlichkeil. Eine ganz klare Sprache aber führt sie in einem 1772 an den Fürsten Kaunitz geschriebenen Brief: „Ein Fürst besitzt keine andere Berechtigung als jeder Privatmann ...“

Man täusche sich nicht: neben der bestechenden Dialektik König Friedrichs kommt die in eine einlache, fast etwas unbeholfene Sprache gekleidete tiefe Staatsweisheit der Kaiserin kaum zur Geltung, Da ist es nun die sittliche Pflicht des Geschichtsschreibers, aufzuzeigen, wo die Fehlleitung in der Argumentation König Friedrichs einsetzt — bei der Anerkennung einer doppelten Moral —, und hinzuweisen auf die letzten Folgerungen aus dem friderizianischen Staatsethos — auf die Vergottung des Staates.

Der Historiker, der hier gegen König Friedrich auftritt, darf freilich der Zustimmung von rechts und links gewiß sein — obwohl er mit seinem Urteil die Grenzen der Objektivität bereits überschreitet. Er wird jedoch sofort von der einen oder von der anderen Seite der Verletzung seiner Verpflichtung zur Objektivität und damit im Grunde einer Verfälschung des Geschichtsbildes angeklagt werden, wenn er es unternimmt, den Ablauf der Ereignisse und die handelnden Personen vom Standpunkt seiner weltanschaulichen Überzeugungen aus zu beurteilen, und dabei in einen Gegensatz, sei es zu rechts oder links, gerät. Dann taudien Prägungen auf, wie „habs-burgisdie“, „klerikale“, „großdeutsche“, .marxistische“ Geschichtsschreibung, und es kommt zur Ablehnung nicht nur der Geschichtsdeutung, sondern der ganzen Arbeit des so der Parteilichkeit geziehenen Historikers.

Zweifellos wird es Fälle geben, die ein solches Urteil rechtfertigen. Muß aber der Geschiditsschreiber, der die Haltung Maria Theresias in den bitteren Jahren des Erbfolgekrieges tapfer und ihre Staatsklugheit, wie sie etwa in der großen Reform von 1749 zum Ausdruck kommt, außerordentlich findet, darum schon „habsburgisch“ gescholten werden, oder muß er, wenn er ihre harte Unduldsamkeit den Protestanten gegenüber als einen schweren Schatten in ihrem sonst so lichten Bild empfindet, als ein Feind katholischer Gläubigkeit gelten? Ist. der Gebrauch der aus der Zeit genommenen Bezeichnung der habsburgischen Familie als „Erzhaus“ wirklich schon ein Symptom für eine mit der heutigen Staatsform unvereinbarliche Gesinnung?

Man setze nur die Grenzen der dem Geschichtsschreiber aufgetragenen Objektivität richtig, und soldie Fehlqualifizierungen werden sich von selbst aufheben. Der Geschichtsschreiber erfüllt seine Wahrheitspflicht zur Genüge, wenn er die Quellen vollständig erfaßt, sie ihrer Glaubwürdigkeit entsprechend verwendet und in seiner Darstellung keine aus ihnen sich ergebende Tatsache vernachlässigt oder gar unterdrückt, kurz, wenn er im Sinne Rankes zeigt, „wie es eigentlich gewesen“. Mit den Urteilen, die er fällt, und den Schlüssen, die er zieht, verläßt er den streng umzäunten Bezirk objektiver Gebundenheit, tritt er hinaus in die Arena des freien Meinungskampfes. Die Auseinandersetzung über seine Arbeit aber geht dann nicht um das aus den Quellen aufgebaute Geschichtsbild, sondern lediglich um seine Wertung und Deutung. Der rechte Weg liegt in der Mitte zwischen einem nackten Tatsachenbericht, der gleichsam die Weltgeschichte vor die Geschworenenbank der Leserschaft zitiert, und einer parteimäßigen Geschichtsschreibung, die durch einseitige Auswahl und Gruppierung der Quellen, also durch eine Verfälschung des geschichtlichen Vorgangs, für ihre von außen her und a priori gesetzten Meinungen zu gewinnen unternimmt. Es bedarf wohl keines Beweises im einzelnen, daß gerade die „bürgerliche“ Geschichtsschreibung in Österreich den rechten Weg zu finden gewußt hat —, die „Geschichte von Österreich“ Hugo Hantsdis, die letzte große Leistung der österreichischen Historiographie, erweist gültig das Gedeihen wahrhaft geschichtlichen Denkens gerade auf dem Boden katholischer Weltanschauung.

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