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Enteignung mit Fragezeichen

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Zwei Stunden diskutierten ÖVP-Wohnungsexperten kürzlich in Gars am Kamp, ob man das Wort „Enteignung“ in eine Resolution aufnehmen solle oder nicht. Dann setzten sich die Vorsichtigen durch, die meinten, „Enteignung“ wortwörtlich könnte den aufgescheuchten Wähler verschrecken, und so formulierten die ÖVP-Wohnungsexperten umständlich: „Unumgänglich notwendige Eingriffe in die Eigentumsrechte wären selbst bei Schadloshaltung nur als letztes Mittel anzuwenden.“

Erstaunlich einmütig zeigten sich dagegen die ÖVP-Wohnungsexper-ten unter dem Vorsitz des niederösterreichischen Landeshauptmannstellvertreters Siegried Ludwig mit ihren sozialistischen Kollegen aus der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft in anderen Fragen des Wohnungsbaues. So wurde

• die Möglichkeit der Erhöhung des Förderungssatzes von 60 Prozent auf einen höheren Anteil der öffentlichen Mittel ins Auge gefaßt

• und die Möglichkeit der Gewährung von Annuitätenzuschüsse als zusätzliche Förderungsmaßnahme mit Hilfe des Wohnbauförderungs-gesetzes 1968 als absolut notwendig befunden.

Scharfe Töne bekam der sozialistische Bautenminister und Obmann der österreichischen Mietervereinigung, Josef Moser, aus Gars am Kamp zu hören. So erklärte der Obmann der Arbeitsgemeinschaft Eigenheim, Siegried Ludwig, angesichts der Versprechungen des sozialistischen Ministers: „Es ist unrealistisch, derzeit den Bau von 5000 Wohnungen und mehr pro Jahr zu versprechen.“ Ludwig, auf die Frage der „Furche“, warum er sich denn gegen die offensichtlich wählerwirksame, wenn auch unrealistische Erhöhung der Wohnbauleistung ausspreche: „Wir müssen vielmehr auf die Qualität unserer Wohnungen denn immer nur auf die Quantität schauen.“ Obwohl sich der neue ÖVP-Woh-nungsexperte Ludwig, der mit seiner niederösterreichischen Sonderaktion für die Eigenheimbauer Beispiele für den übrigen österreichischen Raum gesetzt hatte, so gesehen also gegen die starke Erhöhung der Wohnbauleistung allein ohne gleichzeitiger Qualitätsverbesserung aussprach, dürfte sich sein sozialistischer Widerpart Moser schon in nächster Zeit in das Fäustchen lachen. Denn als Erbe der ÖVP-Alleinregierung und als gleichzeitiges Anlaufen Wohnbauförderung 1968 dürfte nämlich in den Jahren 1971 und 1972 die Wohnbauleistung, wie ÖVP-Abgeordneter Dr. Gruber es formulierte, „sprunghaft ansteigen“.

Der Wiener ÖVP-Wohnungsexperte, Gemeinderat Hahn, gab erst kürzlich dazu Berechnungen bekannt, die zeigen, daß an dem Kapitalmarkt bei einer Durchsetzung des SPÖ-Wohn-baukonzeptes in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre Anforderungen gerichtet werden, die Geldinstituts -leute schon heute als unzumutbar betrachten. (Hahn: „24 Milliarden Schilling müßte dann der Kapitalmarkt aufbringen.“) Gewollt zweckoptimistisch gibt sich jedoch der sozialistische Bautenminister, der in einem Gespräch mit der „Furche“ die Meinung vertrat: „Ich halte das für durchaus möglich.“ Und um gleichsam die schwerwiegenden ÖVP-Argumente hinwezu-wischen, fährt Moser fort: „Das ist aber nicht allein meine Meinung, sondern diese Auffassung habe ich aus Unterredungen mit Fachexperten, die im Sparkassen- und Bankenwesen tätig sind, gewonnen. Der Kapitalmarkt wäre nach meiner Uberzeugung imstande, die für diesen Zweck erforderlichen Mittel noch bereitzustellen.“ ÖVP-Wohnbauexperte Abgeordneter Dr. Gruber glaubt, sich diesem Zweckoptimismus aus der Tatsache erklären zu können, daß nicht in dieser Legislaturperiode, sondern erst in kommenden das sozialistische Wohnbaukonzept an der finanziellen Undurchführbarkeit scheitern würde, die Sozialisten aber einmal in dieser Periode über die Hürden kommen wollen.

Ferner glauben die „bürgerlichen“ Wohnungsbauer feststellen zu müssen, daß an folgenden Bestimmungen der zwei Jahre alten Wohnbauförderung 1968 nicht gerüttelt werden darf;

• an der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder für die Vollziehung des Gesetzes („Daran wollen wir nichts ändern“, Stellungnahme eines sozialistischen Experten),

• an der zehnprozentigen Eigenmittelaufbringung für alle Rechtsformen der zu errichtenden Wohnungen als Eigentums- und Mietwohnungen,

• an dem gleichen Förderungssatz für Eigentums- und Mietwohnungen

• und an der bevorzugten Förderung der Eigentumswohnungen und Eigenheime.

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