Schriftkultur in Europa: „Reiche ohne Herrscher“
Die europäische Kultur basiert auf der Entwicklung der Schrift und des Lesens. Zu verdanken ist das einigen Vordenkern, die den Grundstein dafür legten. Der Philosoph Leonhard Schmeiser widmet ihnen ein Buch.
Die europäische Kultur basiert auf der Entwicklung der Schrift und des Lesens. Zu verdanken ist das einigen Vordenkern, die den Grundstein dafür legten. Der Philosoph Leonhard Schmeiser widmet ihnen ein Buch.
Eineinhalb Jahrtausende lang herrschte in Europa ein blutiger Kampf, der sich um die Lektüre der Bibel drehte. Der österreichische Philosoph Leonhard Schmeiser zeichnet diesen Kampf in seinem neuen Buch „Europa. Das Reich des Lesens“ schlaglichtartig nach. Lange Zeit konnten nur die wenigsten lesen, sie stammten meist aus dem Klerus und hüteten ihr Privileg. Erst nach dem Aufkommen neuer Bildungseinrichtungen und der medialen Revolution des Buchdrucks geriet das Schriftmonopol der Kirche ins Wanken. Die Schrift und ihre Deutung wurden unkontrollierbar.
In Siebenmeilenstiefeln verfolgt Schmeiser diese Kulturgeschichte des Lesens von den Klosterreformen der Karolinger bis zur Verankerung des Rechts auf Bildung in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte im Zuge der Französischen Revolution. Damit beteilige er sich an der Rekonstruktion der Vorgeschichte des „europäischen Heldenepos vom modernen Menschen“, wie Schmeiser augenzwinkernd schreibt. Aber wer sind seine Helden?
Kontrollverlust der Schrift
Einer davon ist der frühmittelalterliche Gelehrte und Berater von Karl dem Großen, Alkuin. Am Hofe des fränkischen Königs verschrieb sich Alkuin der Erhaltung lateinischer Schriftkultur. Der Theologe Abaelard hingegen galt als Vorreiter der scholastischen Methode, Argumente über Autoritäten zu stellten. Der Kirchenfürst Abt Suger ließ die Abteikirche von Saint-Denis, eines der ersten gotischen Bauwerke, als multimedialen Lektüreraum umgestalten. Oder der Franziskaner Roger Bacon, ein Prophet empirischer Wissenschaft, propagierte die Vereinbarkeit von biblischer Autorität, sinnlicher Erfahrung und Magie. Vor dem Hintergrund dieser und weiterer Figuren erläutert Schmeiser die Klärung des Schriftbilds, die Entstehung der Interpunktion, die Entwicklung der Musiknotation und die Einführung arabischer Zahlen.
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