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Das Mißverständnis der Steuersenkung

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Wenn ich heute auf den „Furche”-Artikel vom 7. September zurückkomme, der als „noch ein Wort zur geplanten Steuersenkung 1958” unter dem Titel „Mißverständnis der Familienpolitik” erschienen ist, so möchte ich gleich vorausschicken, daß meine folgenden Ausführungen weder die Bedeutung der Familienpolitik schmälern noch als ein familienpolitischer Essay verstanden sein sollen. Es geht mir vielmehr darum, die wichtigen Bestimmungsstücke für eine Steuersenkung darzulegen, also zu zeigen, daß für einen Finanzminister die Gestaltung eines Steuertarifes in erster Linie durch budget-, beschäftigungs-, investitions-, kapitalmarkt- und gesamtwirtschaftspolitische Gesichtspunkte bestimmt sein muß. Denn leider war in den „Worten zur Steuersenkung” von alldem — wie überhaupt vom Wesen der Steuersenkung — nicht die Rede.

Und noch eine Vorbemerkung: Wenn die kommende Steuersenkung, bei der alle Interessengruppen ihren Standpunkt gewahrt wissen wollen, als Prüfstein für mich gelten soll, ob die „Großaufgabe des 20. Jahrhunderts” für mich ein klarer Begriff geworden ist, so hoffe ich auf so viel Einsicht, daß man im 20. Jahrhundert nicht nur die eine „Großaufgabe” der Familienpolitiker, den Familienlastenausgleich, sondern unzählige große Aufgaben sieht, die ihrer Dringlichkeit nach nun eben vom Energiewirtschaftler, Finanz- und Wirtschaftspolitiken Straßenbauer, vom Arzt oder dem Pädagogen in verschiedenen Ländern wiederum ganz verschieden gereiht und betont werden. Es scheint mir daher etwas autoritär, einö einzige „Großaüfgabe” sehen zu wollen und zu behaupten „wer keine »Familienlasten zu tragen hat, kann heute auf eine weitere Steuersenkung leicht verzichten.”

Ich will mich schließlich hier nicht auf Gebiete verbreitern, die den Familienpolitikern selbst problematisch erscheinen, zum Beispiel die Behauptung, daß Familienpolitik weder Bevölkerungs- noch Fürsorgepolitik sei. In den europäischen Ländern hat sich jedenfalls gezeigt, daß die Beihilfengesetze in der Tat bevölkerungspolitische Maßnahmen gewesen sind fauch in Oesterreich!). Ebenso glaube ich, daß die „noch” Ledigen — und gerade jene des Mittelstandes — nach zehn- bis fünfzehnjährigem Studium oder einer langen sorgfältigen Berufsausbildung ihre Ehe gern erst selbst materiell ein wenig untermauern, also sparen wollen und daß eine „fiskalische Ehebeschleunigung”, wie sich aus einer unterschiedslosen Beurteilung der Steuergruppe I ergibt, nicht nur eine Vergröberung bedeutet, die der im Artikel geforderten Steuergerechtigkeit widerspricht, sondern auch sehr problematisch wäre. Man wird zum Beispiel solche jungen Leute, die gegenüber den schon Verheirateten ohnedies steuerlich im Nachteil liegen, nicht pauschaliter als Menschen bezeichnen können, welche „die soziale Deklassierung der Familie” verursachen! Mit diesen beiden Hinweisen habe ich aber die eigentliche Problematik der Familienpolitik schon verlassen.

Liest man in dem Artikel von Dr. Schwab: „Fast überall stehen Familienzulagen und Steuerermäßigungen nebeneinander”, so fürchtet man förmlich, es wäre in Oesterreich nicht so. Der Aufbau des Steuertarifes nach den drei Steuergruppen, und der dritten wiederum nach der Kinderzahl unterteilt, ist aber in unserem Land ebenso gegeben wie die „Familienzulagen” (Geburten- und Kinderbeihilfe), die auf Grund des Kinderbeihilfengesetzes beziehungsweise des Familienlastenausgleichsgesetzes gewährt werden. Diese laufenden Zahlungen von 105 bis 200 Schilling sind im Familienlastenausgleichsgesetz ausdrücklich „zur Ergänzung der auf dem Gebiete des Einkommensteuerrechtes vorgesehenen Kinderermäßigung” bestimmt.

Nun bin ich allerdings - offensichtlich genau so wie jene vom Autor zitierten Abgeordneten, die bisher als „erfolgreiche Anwälte’ der Forderungen der Familien galten - der Meinung,

daß die Möglichkeiten auf steuerpolitischem Gebiet weitgehend ausgeschöpft sind. Das heißt, daß mir eine weitere Verschärfung der Besteuerung der Steuergruppen I und II zugunsten der Steuergruppe III nur begrenzt möglich erscheint. Demgegenüber meine ich, daß sich die Bemü- hungeh zur Besserstellung der Familien auf den Familienlastenausgleich konzentrieren sollten, der zweifellos noch verbessert, wenn freilich nur schwer verfeinert werden kann. Daß Verhandlungen darüber im Gange sind, wurde auch in Rundfunk und Presse berichtet.

Nun ist aber gerade die Steuersenkung ein Mittel, die Grundlagen dieser Verbesserung herbeizuführen, denn bei dieser finanzpolitischen Maßnahme ist entscheidend, daß sie zur Erhöhung der Einzelleistung und damit, gesamtwirtschaftlich gesehen, zu Produktionssteigerung, Produktivitätserhöhung, also zu einem Wirtschaftsaufschwung beiträgt. Ein solcher Aufschwung mit den typischen Merkmalen der Vollbeschäftigung, einer weitgehenden Kapazitätsauslastung der Erzeugungs- und Dienstleistungsbetriebe- hat ja dann auch wiederum für das Steueraufkommen und für die Möglichkeiten innerhalb des Staatshaushaltes seine Bedeutung.

Seit den 1953 und 1954 durchgeführten Steuersenkungen habe ich immer wieder betont, daß das wirtschaftspolitische Instrument der Steuersenkung für mich keine Geschenkaktion darstellt, sondern die wirtschaftliche Tätigkeit beleben soll. Es ist mir auch gelungen, den Propheten des „Steuerausfalls”, die ja die Verfechter der „Geschenktheorie” sind, zu beweisen, daß seit 1952 gerade auf Grund der Steuersenkungen das Steueraufkommen um rund 10 Milliarden Schilling gesteigert werden konnte und daß die Steuersenkungen wesentlich dazu beigetragen haben, Investitionen, Beschäftigtenstand, Exporte und Währungsreserven und alles andere, worüber wir uns heute berechtigt freuen können, zu erhöhen.

Wenn man die Steuersenkung von dieser Seite betrachtet und dazu die Fortschritte gelten läßt, die auf dem Wege des Familienlastenausgleiches erzielt worden sind, wenn man ferner bedenkt, daß Mehreinnahmen viel deutlicher und klarer zur Familienförderung angelegt werden können und darüber hinaus auch weiß, daß trotz der schwerwiegenden Argumente der wirtschaftspolitischen Kategorien auch die familienpolitischen Gesichtspunkte bei den gegenwärtig für die Steuersenkung 1958 laufenden Verhandlungen berücksichtigt werden, dann muß das „Mißverständnis der Familienpolitik” ein wenig wundernehmen.

Wir dürfen doch schließlich nicht ganz vergessen, daß auch die österreichische Wirtschaft vor den großen Aufgaben der europäischen Wirtschafts Integration, der fortschreitenden Automation oder der Entwicklung weiterer Energiequellen steht. Wenn wir auf diesen wirtschaftspolitischen Gebieten versagen, wenn es uns nicht gelingt, die enormen Kapitalien bereitzustellen, die für die Entwicklung notwendig sind, wenn unsere Exporte nicht Schritt halten, dann ist es um unser Land schlecht bestellt. Fehlt nämlich die wirtschaftliche Prosperität, dann werden, wenn man einigermaßen währungspolitisch verantwortlich handelt, die schönsten Schutz- und Förderungsbestimmungen in ihrer Wirksamkeit gefährdet. Und was nützt dem Arbeitslosen die Steuerermäßigung? Sicher haben wir derzeit keinen Anlaß zum Pessimismus. Das darf aber klare Ueberlegungen und vor allem eine Wirtschaftspolitik nicht ausschließen, welche dem Wirtschaftsaufschwung dient!

Die Steuersenkung allein auf die Familienerhalter zu beschränken, hieße ihre wirtschaftspolitische Zielsetzung, hieße ihren Gesamterfolg gefährden. Da der wirtschaftliche Gesamterfolg jedoch für die Zukunft von allen — wie ich eben kurz darzulegen versuchte — entscheidend ist, wird es verständlich erscheinen, daß bei der

Gestaltung wirtschaftspolitischer Maßnahmen eine gefährliche Einseitigkeit unter allen Umständen vermieden werden muß.

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