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Einen Durchblick durch die Europäische Union - das ist es, was man sich wünschen sollte, gerade jetzt: Die Europawahl steht bevor, aber viele Wähler wissen nicht recht, wozu ihre Stimmabgabe gut ist. Ein wirklich angemessenes Verständnis der Aufgaben und der Arbeitsweise des Europäischen Parlaments gewinnt wohl nur, wer ein klares Bild vom Gesamtgefüge der Europäischen Union hat, innerhalb dessen das Parlament seine Funktionen wahrnimmt. So kommt ein neues Sachbuch wie gerufen: Christoph Thun-Hohenstein, Leiter der Europarechtsabteilung im Außenministerium, doppelter Doktor, erfahrener Diplomat, engagierter Österreicher und Europäer hat es unter dem Titel „Die Angst des Bürgers vor Europa" veröffentlicht. Es informiert den Leser über die bisherigen und die bevorstehenden Weichenstellungen der Europapolitik, nicht nur korrekt, sondern auch so, daß man das Buch mit Spannung liest, und angesichts vieler gelungener Formulierungen und plastischer Bilder mit Genuß.

Der Autor zeichnet zunächst die Entwicklung der Integration nach -von Jean Monnets und Bobert Schu-mans Initiative zur Schaffung der Montanunion (1950) und der Gründung der Europäischen Wirtschafts-Gemeinschaft (1957) bis zur Gegenwart. Zentrale Gestaltungsprobleme und einschlägige Konzepte werden auf verständliche Weise mitbehandelt - zum Beispiel Begriffe wie „negative" und „positive Integration", die Charakterisierung der EG als „Zweckverband", und die Auseinandersetzungen um die „Supranationalität".

Auch die Probleme der Wirtschafts- und Währungsunion kommen zur Sprache - einen Anlauf dazu gab es ja schon 1970. Die EFTA-Grün-dung, die ersten Bemühungen um eine „Politische Union" und die EG-Erweiterungen - der Beitritt Österreichs eingeschlossen - werden ebensowenig ausgespart wie die eher glücklose Europäische Atomgemeinschaft. Einleuchtend vergegenwärtigt der Autor die Probleme und Weichenstellungen, die schließlich zum Vertrag von Maastricht geführt haben - zum Beispiel Binnenmarktinitiative, die Auswirkungen der deutschen Einigung auf die europapolitische Interessenlage der Staaten und anderes mehr. Das folgende Kapitel, „Ein Tempel macht noch keinen Staat", behandelt die EU von heute. Die Überschrift deutet an, was der Autor zeigen will: Die Konstruktion aus den „drei Säulen" (EG, Gemeinsame Außen-und Sicherheitspolitik, Justiz- und innenpolitische Zusammenarbeit) und dem daraufgesetzten „Dach" ist kompliziert und unausgewogen; von einer konsequenten Fortentwicklung der EU zu einem (Bundes-)Staat kann gleichwohl keine Bede sein. Das Be-zept der „abgestuften Integration" (nicht alle Mitgliedstaaten nehmen mit gleicher Intensität an allen Integrationsprojekten teil) wird immer häufiger angewandt. Das vor allem von deutscher Seite propagierte „Kerneuropa"-Modell hält Thun-Hohenstein allerdings für bedenklich.

Davon und von weiteren „großen Herausforderungen" handelt das nächste Kapitel: Wie kann die EU ihre Bürgerferne überwinden? Wie läßt sich das vielberufene „Demokratiedefizit" abbauen? Welche Chancen und Bisiken bringt die Währungsunion? Was kann zur Gewährleistung der inneren und der äußeren Sicherheit geschehen? („Europol" wird dabei ebenso thematisiert wie das Verhältnis der Union zur WEU und zur NATO.) Wie stellen sich die Aussichten auf die viel erörterte „Osterweiterung" dar?

In den beiden letzten Kapiteln setzt der Autor seine Leser über die Begierungskonferenz 1996/97 und ihre Aufgaben ins Bild, und auch über die weiteren Entwicklungsperspektiven. Das Endziel ist umstritten. Thun-Hohenstein plädiert für einen überstaatlichen und friedenssichernden „Bund eigener Art" - weder für einen Superstaat noch für das Stehenbleiben auf dem derzeitigen Entwicklungsstand. Das vorzügliche Buch ist in der Tat geeignet, Ängste vor Europa zu nehmen und Verständnis zu verbreiten. Man muß es nur lesen!

DIE ANGST des BÜRGERS VOR EUROPA - DIE EU ALS HERAUSFORDERUNG

Von Christoph Thun-Hohenstein. Hiera & Molden, Wien 1996. 191 Seiten, geh., öS 248,-

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