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Quo vadis, Europa?

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Nach dem Ausscheiden Frankreichs aus dem Kreis der Block-floater könnte kaum etwas aktueller sein, als das unter dem Titel „Neun für Europa“ (gemeint ist die seit Anfang 1973 auf neun Mitglieder erweiterte EWG) erschienene Buch, für das ein siebenköpfiges Autorenteam verantwortlich zeichnet. Natürlich sind diese Sieben rückhaltlose Befürworter des integrierten Europa; schon allein kraft ihrer Sachkenntnis, die durch eine jahrelange Tätigkeit in den Organen der EWG und/ oder im Bundeskanzleramt der Bundesrepublik Deutschland untermauert ist.

Dank dieser professionellen Verbundenheit mit der Materie gelingt es den Autoren, das Thema klar mit der nötigen Umsicht sowie Ausführlichkeit zu behandlen. Dabei wird einleitend eine Art Bilanz des Erreichten und Erstrebten gezogen, und dann werden dar innergemein-schaftliche Aufbau in allen Bereichen sowie die exogenen Aspekte im Sinne der Außenbeziehungen und der politischen Zusammenarbeit behandelt. Sparsame, aber als Orientierungsgrößen unentbehrliche Zahlenangaben, nach Kapiteln geordnete Literaturhinweise und eine die wichtigsten Daten enthaltende Zeittafel vermitteln nebst einem Abkürzungsverzeichnis im Anhang das für eine Lektüre notwendige Rüstzeug. Auch vom Handwerklichen her eine gute Ausstattung.

Es wäre jedoch verfehlt, zu glauben, dieses Buch sei ein Panegyrikus auf die Integration. Die Sprache der Autoren ist eher nüchtern und deutlich, namentlich wenn es um die Analyse oder um Perspektiven geht. So, wenn festgestellt wird, daß der Einfluß der die Gemeinschaft formenden, von außen wirkende Kräfte im Vergleich zum Kooperationswillen und zur Kompromißbereitschaft an Gewicht verloren hat; daß die politische Einigung Europas über die Wirtschafts- und Währungsunion oder überhaupt nicht zustande kommen wird; oder daß in der zweiten Stufe der Wirtschafts- und Währungsunion in den Übergangsjahren Wechselkursänderungen trotz aller Gelöbnisse und Entschließungen nicht ausgeschlossen bleiben. Diese Darstellung zeugt von Realismus, genauso wie die graphische Darstellung der „Schlange im Tunnel“ Sachkenntnis verrät. Und schließlich zwingt das Buch den Leser zu nachdenklichen Vergleichen: Die Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl war der Ausgangspunkt der europäischen Integration; sie war ursprünglich eine aus der Mangellage geborene Energie- und Rohstoffgemeinschaft, die sich dem Stadium des Überflusses nicht ganz gewachsen zeigte. Wenn wir den Einfluß der Ölkrise auf die Bestrebungen zur Gemeinschaftswerdung überdenken, können wir von einem Prozeß der Rückbesinnung auf die Entstehungsursachen der Gemeinschaft sprechen?

Kurzum ein Buch, das in erster Linie für den wirtschaftlich und politisch Interessierten geschrieben ist, ein Buch, dessen äußere Aufmachung — eine Schattenperspektive läßt den Buchtitel plastisch hervortreten — Gedankenassoziationen weckt. Man hat eine Zeitlang die von der EWG ausgehende Fernwirkung rein machtpolitisch interpretiert und dann wieder ausschließlich wirtschaftlich. Beides ist unrichtig, wie uns das Buch zeigt. Nach der Lektüre stellt sich allerdings fast zwangsläufig die bange Frage, ob sich nicht unter dem vermeintlichen Druck der Ereignisse in der EWG nationalstaatliche Aspekte wieder stärker in den Vordergrund schieben. Das wirtschaftspolitische Geschehen der jüngsten Zeit läßt ernsthafte Zweifel aufkommen, ob sich die in den Mitgliedsländern für Währung und Wirtschaft Verantwortlichen tatsächlich im klaren sind, daß die Devise „right or wrong — my country“ keine brauchbare Grundlage für die Zukunft Europas bildet. Das Buch vermittelt uns diese Erkenntnis in dankenswerter Weise.

NEUN FÜR EVROPA. Von Ulrich W einstock und anderen. Eugen-Diederichs-V'erlag, Düsseldorf/Köln, 252 Seiten mit 6 Tabellen und 4 Schaubildern, DM 22.—.

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