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„Schundsteuer?”

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Zu solcher Unerträglichkeit hat sich das pornographische Gewerbe entwickelt, daß ein österreichischer Landtag einstimmig und kompromißlos beschlossen hat, energische Maßnahmen gegen diese Betriebe einzuleiten. Die Resolution, die der Tiroler Landtag an seine Landesregierung richtet, und die Direktiven, die er für den verlangten Gesetzentwurf zugrunde legt, sind ungewöhnlich, und gerade diese Ungewöhnlichkeit bezeichnet das Vorgehen der Tiroler Landesvertretung als einen Notwehrakt: man wehrt sich, wie man kann und so gut man kann. In Betracht kam, daß in Pressesachen den Landtagen eine direkte verfassungsrechtliche Kompetenz fehlt. In der Notwehr faßte man deshalb steuerliche Maßnahmen ins Auge. Das Verdienst dieses einstimmig gefaßten Beschlusses ist es, allen Berufenen die unausweichlich gewordene Notwendigkeit einer Säuberung unzweideutig vor Augen gestellt zu haben. Jeder Freund literarischer Sauberkeit und der Bewahrung unserer Jugend vor den infektiösen Erzeugnissen eines gewissenlosen Gewerbes wird dafür Dank wissen.

Die einstimmige Entschließung der Tiroler Landesvertretung sagt in ihren Richtlinien für den verlangten Gesetzentwurf unter anderem:

Wer es unternimmt, in Tirol Druckwerke zu erzeugen oder zu vertreiben, welche unter den Begriff „Schmutz und Schund” fallen, hat hjefür eine Abgabe (Schundsteuer) zu entrichten. Die Abgabe ist so hoch zu bemessen, daß es einerseits den Jugendlichen beträchtlich erschwert oder unmöglich gemacht wird, solche Druckwerke zu erwerben, und daß es andererseits den Herausgebern und Händlern untunlich erscheint, größere Bestände solcher Druckwerke auf Lager zu halten oder zum Verkauf anzubieten.

Druckwerke in diesem Sinne sind solche, die durch Ausnützung der jugendlidien Triebe, sei es des Geschlechtstriebes oder der Abenteuersucht, das sittliche Wohl der Jugend zu gefährden geeignet sind.

Die Feststellung, ob ein Druckwerk diese Eigenschaft besitzt, obliegt dem Landesschulrat von Amts wegen oder auf Antrag einer Bezirksverwaltungsbehörde oder eines Jugendamtes oder einer nachgeordneten Schulbehörde.

Die Steuer ist durch Aufkleben von Steuerzeichen (Steuermarken, Banderolen) zu entrichten, bevor das Druckwerk zum Verkauf bereitgestellt wird.

Das Erträgnis der Abgabe und der Strafgelder fließt kulturellen Zwecken und Zwecken der Volksbildung zu.

Er liegt nicht im Interesse des Vorstoßes des Tiroler Landtages, daß man ihn einfach zur Kenntnis nimmt, als ob er der Gleichgültigkeit überantwortet werden dürfte. Deshalb verdient es Erwägung, ob der Antrag, so dankenswert er ist, für den erstrebten Zweck realisierbar ist. — Solange die einem Druckwerk auferlegte Steuer überhaupt noch das Erscheinen dieses Erzeugnisses ermöglicht, wird dieses auch Jugendlichen noch immer zugänglich sein, wenn auch nicht durch eigenen Erwerb, dem Lehrling des Friseurladens wie dem Pikkolo eines Gastbetriebes usw., immer wieder aus der Gelegenheit, die Besitz und Lektüre der Erwachsenen bieten. Es kommt bei der Verwerflichkeit des pornographischen Produkts nicht darauf an, welche Zahl von Jugendlichen es vergiftet, sondern d a ß e s Gift ist. Würde eine solche Landessteuer so hoch angesetzt, daß sie absolut prohitiv zu wirken, ein Druckwerk zu unterdrücken vermöchte, ist es wahrscheinlich, daß eiAe wiche Landessteuer, als ihres fiskalischen Charakters entkleidet, verfassungsrechtlich als Eingriff in das Presserecht bestritten werden könnte. — Wichtiger aber, als diese materiell-rechtlichen Erwägungen erscheint, ob es dem Wesen des erstrebten Zweckes entspricht, mit fiskalischen Mitteln ein sittliches Ziel erreichen zu wollen. Oder noch deutlicher: aus einem unsittlichen Gewerbe eine öffentliche Einnahme zu erzielen. Wenn auch die Absicht des Gesetzgebers in diesem Fall eine ganz andere ist, wird schließlich der Tatbestand den Eindruck erwecken, daß man sich mit dem Bestand der Obszönitätenbetriebe abfinde, wenn ihre Erzeugnisse nur die Steuerbanderole tragen. Es gäbe dann ein zweites gesetzlich toleriertes Unsittlichkeitsgewerbe.

Das ist nicht der Sinn des Tiroler Dringlichkeitsantrages.- Deshalbwerden andere Wege beschritten werden müssen: hier kann nur eine bundesstaatliche Regelung mit durchgreifenden Maßnahmen zum Ziele führen: die Autorisation eines interparteilichen Forums angesehener Jugenderzieher mit dem Gewicht ihrer Erfahrung und Verantwortung initiativ beim Unterrichtsministerium das Einschreiten der Verwaltungsbehörden gegen pornographische Druckerzeugnisse und deren Beseitigung zu beantragen, Gegen ein solches Votum könnte es keinen ernstzunehmenden Einspruch geben. Allenfalls wäre dieses Initiativrecht der österreichischen Jugenderziehung im Sinne des Jugendschutzes gesetzlich zu verankern.

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