Max_Weber_by_Clara_Sipprell - © Wikimedia - Max Wber auf einer Fotografie von Clara Sipprell 1885

Max Weber: Kapitalismus aus dem Geist religiöser Ethik

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Protestantisch-religiöse Anschauung wird in eine rationale Lebensführung übersetzt. Eine Erinnerung an Max Weber anlässlich seines 150. Geburtstages am 21. April.

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Protestantisch-religiöse Anschauung wird in eine rationale Lebensführung übersetzt. Eine Erinnerung an Max Weber anlässlich seines 150. Geburtstages am 21. April.

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Die Bedeutung von religiösen Weltbildern für die Herausbildung der modernen Gesellschaft ist umstritten. Die einen sehen in der Religion Aberglauben sowie einen Hort finsterer Mächte, gegen die die Etablierung individueller Freiheitsrechte sowie der demokratische Rechtsstaat in langen Kämpfen durchgesetzt werden mussten. Für andere war es gerade die Religion, welche die Entwicklung der modernen Kultur, die Hochschätzung der Freiheit des Einzelnen entschieden befördert hat. Protestanten verweisen in diesem Zusammenhang gern auf die Reformation, welche dem dunklen Mittelalter ein Ende bereitet und die Morgenröte der Moderne eingeläutet hat. Differenzierter fällt die Sicht Max Webers aus, dessen 150. Geburtstag sich am 21. April jährt. In seinen Studien zur Genese der modernen Welt hat er sich mit der Kulturpotenz der Religion auf eine Weise auseinandergesetzt, die auch für die gegenwärtigen Kontroversen noch höchst aufschlussreich ist.

Der sich selbst als "religiös unmusikalisch" verstehende Weber wurde 1864 in Erfurt geboren, und entstammt einem von den Kulturidealen des protestantischen Bildungsbürgertums geprägten Elternhaus. Zeitlebens war er von der Welt der Religionen sowie ihrer Bedeutung für die individuelle Lebensführung fasziniert. Seit 1882 studierte er Rechtswissenschaft, Geschichte, Philosophie und Nationalökonomie im liberalen Heidelberg, später in Berlin, und wurde 1889 mit einer Arbeit über die Handelsgesellschaften der italienischen Städte promoviert. Seine Habilitationsschrift von 1892 trägt den Titel "Die Römische Agrargeschichte in ihrer Bedeutung für das Staatsund Privatrecht". Bereits ein Jahr später wurde Weber Professor für Nationalökonomie und Finanzwissenschaft in Freiburg im Breisgau und 1896 für dasselbe Fach in Heidelberg. Die badische Universitätsstadt blieb bis 1918 sein Lebensmittelpunkt. Um den gedanklich inspirierenden Meisterdenker sammelte sich ein Kreis von Intellektuellen, die über kulturwissenschaftliche Themen debattierten.

Klassiker der Soziologie

Aus der Heidelberger Zeit resultierte seine "Fachmenschenfreundschaft" (F. W. Graf) mit dem protestantischen Theologen Ernst Troeltsch. Weber, der mit der kulturprotestantischen Debattenlage vertraut war und enge Kontakte zu führenden liberalen Theologen unterhielt, publizierte seit 1892 in der von dem Marburger Theologen Martin Rade herausgegebenen liberalprotestantischen Zeitschrift Die Christliche Welt. Aus gesundheitlichen Gründen ließ sich der Heidelberger Ordinarius 1903 pensionieren. Als Privatgelehrter legte er ein breitgespanntes wissenschaftliches Œuvre vor. In zwei Teilen erschien 1904/05 seine Studie "Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus". Seit 1904 gab er zusammen mit Edgar Jaffé und Werner Sombart das Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik heraus, für das er zahlreiche Beiträge verfasste. Für das erste Heft steuerte er den programmatischen Aufsatz "Die 'Objektivität' sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis" bei.

In seinen Schriften überschritt Weber überkommene Fächergrenzen und arbeitete das Programm einer empirisch orientierten Theorie des sozialen Handelns aus. Sie liegt in "Wirtschaft und Gesellschaft" vor, einem der klassischen Werke der Soziologie. Das fragmentarische Opus magnum basiert auf Nachlassmaterialien sowie Beiträgen zu dem von ihm seit 1909 herausgegebenen "Grundriß der Sozialökonomie". Finanzielle Probleme bewogen den Privatgelehrten, am 22. Jänner 1918 einen Ruf an die Universität Wien anzunehmen. Allerdings wechselte er bereits Mitte 1919 nach München, wo er am 14. Juni 1920 an den Folgen einer Lungenentzündung starb.

Webers Interesse galt der Macht der Religionsgeschichte in der Moderne, deren Herausbildung er als Rationalisierung und Entzauberung von religiösen Weltbildern beschrieb. In seiner bekanntesten Schrift "Die protestantische Ethik und der 'Geist' des Kapitalismus" unternahm er den Versuch, das kapitalistische Arbeitsethos aus der religiösen Ethik des Calvinismus zu erklären. Die Entstehung und Durchsetzung einer kapitalistischen Produktionsweise bedarf einer sie tragenden Gesinnung, welche sich von traditionalen Einstellungen unterscheidet. Die religiösen Wurzeln dieser Gesinnung erblickte Weber in den religiösen Ethiken des Calvinismus sowie des Puritanismus. Calvins Lehre von der doppelten Prädestination macht das Heil des Menschen allein von Gott abhängig. Weder die kirchlichen Sakramente noch das menschliche Handeln können dem Individuum zum Heil verhelfen. Vor dem Hintergrund einer solchen religiösen Lehre musste für den Menschen die Frage akut werden, ob er selbst erwählt sei, und wie er seiner Erwählung durch Gott sicher sein könne.

Die calvinistische und puritanische Ethik löste dieses existenzielle seelsorgerliche Problem mit dem Hinweis, "rastlose Berufsarbeit" sei das hervorragendste Mittel, "um jene Selbstgewißheit zu erlangen". Die Gnade Gottes erweist sich im wirtschaftlichen Erfolg. Daher das rastlose Streben nach einer Bestätigung der Heilsgewissheit, daher schließlich die Akkumulation von Kapital sowie die Entbindung einer kapitalistischen Wirtschaftsdynamik. Die Verinnerlichung der religiösen Anschauung durch die Gläubigen etablierte eine Rationalisierung der Lebensführung. Berufspflicht und innerweltliche Askese traten an die Stelle der außerweltlichen Askese des Mönchtums.

Die irrationale Prädestinationslehre wurde so in eine rationale Lebensführung übersetzt. Sie ist die Voraussetzung für die Entstehung der modernen kapitalistischen Ökonomie. Im Resultat höhlte die Freisetzung der Berufsarbeit allerdings die religiösen Antriebskräfte zunehmend aus.

Moment moderner europäischer Zivilisation

Für seine Gegenwart geht Weber davon aus, dass der Kapitalismus und die durch ihn bedingte rationalisierte Lebensweise sich gegenüber seinem religiösen Ursprung verselbstständigt haben und zu einem eigengesetzlich wirkenden Moment der modernen europäischen Zivilisation geworden sind. "Der Puritaner", so seine Quintessenz, "wollte Berufsmensch sein, - wir müssen es sein."

Die Entstehung des Kapitalismus aus dem Geist der religiösen Ethik - diesen Gedanken hat Weber in seinen weiteren Schriften ausgebaut. Seit 1911 beschäftigte er sich mit der Wirtschaftsethik der Weltreligionen. Der an der Entstehung des modernen Kapitalismus entdeckte Zusammenhang von Religion und Lebensführung wird nun in einen größeren Horizont gerückt, um durch religionsgeschichtlichen Vergleich die Herausbildung des okzidentalen Rationalismus, die Entzauberung der religiösen Weltbilder, besser verstehen zu können.

Der von Weber in den Fokus seiner Analysen gerückte Zusammenhang von religiösen Weltbildern und Lebensführung markiert in der Tat eine Fragestellung, welche nach wie vor von höchster Aktualität ist, wie die zahllosen Debatten über Migration, Integration der Gesellschaft oder religiös motivierte Gewalt unterstreichen. Denn stets geht es hier um die langanhaltende Prägekraft von religiösen Traditionen, welche das Handeln von gesellschaftlichen Akteuren beeinflussen. Wer in diesen Problemen zu einem differenzierten Urteil gelangen möchte, wird mit Gewinn auf das Werk des faszinierenden Denkers Weber zurückgreifen.

Der Autor ist Professor für System. Theologie an der Evang.-Theol. Fakultät Wien.

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