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Salzburg — eine große Hoffnung

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Situation und Problematik der heutigen Philosophie, Psychologie, Gesellschaftsund Staatswissenschaft, Naturwissenschaft, Pädagogik und Theologie — das waren die Hauptthemen der diesmal glänzend verlaufenen, von einer inneren Renaissance getragenen Salzburger Hoch-schulwochen, die in ihrem weiteren Verlauf noch durch den Besuch des Päpstlichen Internuntius D e 11 e p i a n e und des Bundesministers Dr. K o 1 b ausgezeichnet wurden und deren organisatorische Durchführung in den bewährten Händen Dr. Wilhelm Reinermanns lag.

Mit besonderer Eindringlichkeit prägten sich diesmal die Wesenszüge heraus, welche sich aus der unserer Zeitproblematik immanenten Logik notwendig auf jene Universitas scientiarum hin entwickeln, von der Aloys Dempf sprach und deren Realisierung im Vorjahr das Salzburger Manifest der Katholischen Aktion Österreichs und in diesem Jahr der Aufruf des Fürsterzbischofs von Salzburg zur Wiedererrichtung des Katholischen Universitätsvereins Salzburg forderte.

Der eine dieser Wesenszüge liegt in der Bemühung, aus der allzu formalistischen Tendenz des Rationalismus zurückzukehren zum „unmittelbaren Sachkontakt, um eine Formulierung Dietrich yon Hildebrands zu gebrauchen. Leo Gabriel, der über den „Begriff der Wahrheit und Wirklichkeit im Denken des Existentialismus“ sprach, empfahl in diesem Zusammenhang eine stärkere Beschäftigung mit dem Denken des Ostens. Auf diese Weise könnte man über das kategorische Ursachendenken hinauskommen, das Sache der Naturwissenschaft sei, während die Philosophie auch die Frage nach dem Urgrund stellen müsse und erst, wenn sie beides berücksichtigt und verbindet, ihren eigentlichen Standort gewinne. Je mehr sich aber das Wissen um die All-Einheit des Seins auf dem Grund der Vielfalt alles Seienden durchsetzt, je klarer die Wendung vom erkenntnistheorelischen Idealismus zur Anerkennung einer vorgegebenen Wirklichkeit vollzogen wird, desto schärfer scheidet die Wahrheitsfrage die Geister. Die Wahrheit liegt im .Ich bin“, sagt der Existentialist. Aber nur die fleischgewordene Wahrheit vermag auf die Pilatusfrage diese Antwort .Ich bin“ zu geben. Wir selbst vermögen es nur insoweit, als existentielle Wahrheit durch die Angleichung an den Logos in uns ist.

Diese Angleichung aber geschieht in einer Ich-Du-Beziehung, in der sich Gott uns auf eine zweifache interpersonale Weise erschließt: die Brücke zwischen dem Ich und dem Du ist, wie Ferdinand Ebner so tief erkannt hat, das Wort und die Liebe.

Ähnlich der positiven Kritik des Existentialismus durch Gabriel (der andere Abgrenzungen, zum Beispiel durch Aloys W e n z 1, München, in seinen Vorträgen über „Die drei Hauptthemen der deut-

Geschichte, Natur“, gegenüberstanden) setzte sich P. Ildefons Betschart mit der modernen Psychologie auseinander, wobei er im besonderen auf C. G. Jung einging. Er betonte, daß die Psychologie nur dadurch vor Irrwegen bewahrt und, auch in der religiösen Erziehung, durchaus sinnvoll und nutzbringend verwendet werden könne, wenn sie das Seelenleben nicht in der eindimensionalen Sicht des Psychologismus, sondern in einer ganzheitlichen Schau betrachte, die den Menschen als personales Wesen in der Gesamtheit seiner Lebensumstände berücksichtige.

Der bekannte Schweizer Psychotherapeut Prof. Mans er (Zug) gab einen umfassenden Uberblick über „Situation und Problematik dej- geistigen Gesundheit der Gegenwart“, der einem übertriebenen Pessimismus entgegentrat und als die allgemeinsten und wirksamsten Heilmittel Güte und Liebe, Ehrfurcht vor dem Leben und Achtung vor der leiblichen und seelischen Integrität des Mitmenschen verkündete.

Friedrich Schneider ergänzte Betscharts Ausführungen im Bereich der Erziehungswissenschaft, die heute die Bedeutung des funktionalen Einflusses der Umweltatmosphäre in seinem Stärkeverhältnis zum intentional pädagogischen viel klarer erkenne. Er wies darauf hin, daß für das providentielle Denken des Christen auch dieser funktionale Einfluß „gefügt“ sei, also höheren Intentionen entspringe. Und es ist die Aufgabe dessen, der andere oder sich selbst erzieht, lauschend die wahren von den verfälschten Intentionen Gottes zu unterscheiden und zur freien und richtigen Antwort darauf fähig zu machen.

Wenn Friedrich Schneider die Bedeutung der Vergleichenden Erziehungswissenschaft und die Notwendigkeit hervorhob, die Anwendung der jeweils den modernen Erfordernissen angepaßten Methoden nicht aus einem unangebrachten Konservatismus heraus hinauszuschieben und dadurch den hic et nunc gestellten Aufgaben gegenüber zu versagen, so zeigte W. Christian Schneider in einem instruktiven Vortrag über Situation und-Problematik der Pädagogik in Frankreich“ die lebendigen und unkonventionellen Versuche auf, die im konservativen Frankreich zur Lösung der konkreten Erziehungsprobleme unternommen werden.

Ein großes Thema bleibt noch zu erwähnen, das Rainer Schubert-So 1-d ern in seinen Vorlesungen über Situation und Problematik der heutigen Naturwissenschaft“ behandelte. In lebendiger und fesselnder Art entwickelte er die naturwissenschaftlichen Theorien des 19. und 20. Jahrhunderts und legte in scharfsinniger Auseinandersetzung mit ihnen die Eigentümlichkeiten und Unterschiede der verschiedenen Seinsbereiche, des Unbelebten, des Belebten und schließlich des Menschlich-Geistigen dar. Jeder dieser Bereiche hat seine Eigengesetzlichkeit, die jeweils völlig andersartig und unübersetzbar ist. Und ragt auch der Mensch mit seinen hormonalen Reaktionen, seinen Reflexen, Instinkten und gewissen Erfahrungen in die , niederen Seinssphären hinein, so hat sioh heute bereits jeder evolutionistische, deterministisch-materialistische Erklärungsversuch des Menschen als nicht haltbar herausgestellt und das Prinzip der Ordnung, die auch den Menschen in seiner Freiheit umfaßt, sich als ein transzendent göttliches erwiesen, das den Glauben an einen personalen Gott nicht widerlegt, sondern bekräftigt.

Sedlmayrs Vortrag über den „Verlust der Mitte“, Otto Mauers geistvolle Ausführungen über „Kirche und moderne Kunst — Sakrale Kunst heute“, die Vorlesung Gottlieb Söhngens, dieses klaren und tiefen spekulativen Theologen Deutschlands, über „Die Menschheitsanliegen der Gotteserfahrung und die christliche Gestalt einer Religionsphilosophie“ und der Vortrag Hugo Längs (München) über „Lebendige Theologie“, der sich mit den erregenden Problemen der Gegenwartstheologie beschäftigte, würden eine eigene Würdigung verdienen.

Wenn wir in diesem Zusammenhang die Salzburger Hochschulwochen nochmals nach ihrer pädagogischen Methodik prüfen, so dürfen als ein deutlicher Fortschritt die beiden disputationes begrüßt werden, die eine alte kirchliche Schultradition neu aufnahmen. Der Kontakt zwischen den Dozenten überhaupt, gefördert durch die gemeinsame Unterbringung im Priesterhaus, durch Empfänge beim Fürsterzbischof, durch zwanglose Begegnungen im engeren Kreis, nicht zuletzt der gegenseitige Vorlesungsbesuch wurden als Erfüllung eines echten Bedürfnisses empfunden.

Was die funktionale Seite der Hochschulwochen angeht, so wird — abgesehen von dem unmittelbaren, vor allem Inhalt wirkenden Eindruck der Dozentenpersönlichkeiten — vieles von der einzigartigen Schönheit der Stadt selbst erfüllt, deren Einzelheiten die kunsthistorischen Führungen der Herren Dr. Fuhrmann und Dr. Decker (der den Hörern den von ihm als ein Werk Veit Stoß' rekognoszierten Altar der Johanneskapelle am Nonnberg erklärte) erschlossen. Die Gelegenheit, die Festspiele zu sehen, und die in den Rahmen der Hochsdiulwodien selbst hineinkomponierten Veranstaltungen — ein Orgelabend des bedeutenden Stuttgarter Organisten Anton N o w a-kowski, zwei Aufführungen alter Meister des Salzburger Madrigalchors unter der Leitung von Dr. Anton D a w i-d o w i c s und als festlicher Abschluß ein Klavierabend Gilbert Schuchters mit Werken von Bach, Mozart, und Beethoven — hatten eine spezifische, durch nichts anderes ersetzbare Bildungsfunktion zu erfüllen. Der Wunsch, eine möglichst große Teilnehmerzahl in dem für solche Zwecke erbauten St. Benediktskolleg unterzubringen, um auch den Hörern ein echtes Gemeinsdiaftserlebnis, beginnend mit der missa recitata an jedem Morgen, zu vermitteln, blieb infolge der noch immer nachkriegsbeding-ten Raumschwierigkeiten in diesem Jahre offen und damit eine große Möglichkeit atmosphärischen Einflusses verschlossen. Trotz diesen und anderen Schwierigkeiten trennten sich die in- und ausländischen Teilnehmer in der festen Zuversicht, daß dieses Jahr ein entscheidender Schritt auf dem Wege zur inneren und äußeren Wiedergeburt des Salzburger Hochschulwesens vollzogen worden sei. Salzburg ist wieder eine große Hoffnung für das christliche Geistesleben im gesamten mitteleuropäischen Raum.

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