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Digital In Arbeit

Nach dem Feste gefhrliche Probleme

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Ein riesiges neues Arbeitsfeld präsentiert sich in Oesterreich seit einigen Wochen den Politikern und Wirtschaftspolitikern, den Juristen, Verwaltungsbeamten, Bankleuten und Industriellen. Die Bestellung dieses Arbeitsfeldes kann nicht aus der Routine des Alltags erfolgen — die zu bewältigenden Ordnungsaufgaben sind neu und außerdem größenmäßig mit den täglichen Geschäften nicht zu vergleichen.

Was das Exzeptionelle der politischen und wirtschaftlichen Aufgaben betrifft, deren Lösung uns der Staatsvertrag aufträgt, so drängt sich vielleicht manchem die Erinnerung an die Monate nach der „ersten“ Befreiung im Jahre 1945 auf. Auch damals war mit Routine nichts getan, es bedurfte wirklicher Entscheidungen, wirklicher — wenn zunächst auch improvisierter — Konzepte, um die Produktion wieder in Gang zu bringen und damit die Grundbedingungen für die materielle Existenz der Bevölkerung zu schaffen. Aber weiter können wir diesen Vergleich nicht führen: Die außergewöhnlichen Aufgaben von 1945 waren um vieles umfassender, die außergewöhnlichen Aufgaben von 1955 sind um vieles diffiziler. Wir möchten das Bild eines Hausbaues wählen: eines Neubaues über einer Trümmerstätte (1945) und eines komplizierten Umbaues, der vorhandene Grundrisse und die statischen Verhältnisse des alten Gebäudes zu berücksichtigen hat (195 5).

Es wurde für diesen Aufsatz das forsche Motto „Nach dem Fest die Arbeit“ vorgeschlagen, und viele Menschen in Oesterreich sind auch tatsächlich schon ungeduldig, weil ihnen die Wochenschau nicht vorführt, wie sich Minister und Industriekapitäne die Aermel aufkrempeln, um ,,ans Werk“ zu gehen; man erwartet sozusagen einen Spatenstich als Auftakt. Aber bei LI m bauten ist ein1 Spatenstich eben nicht üblich! Was die Wochenschau zeigen könnte, wäre vielmehr eine große, debattierende Gruppe von Verantwortlichen (und vielleicht auch Unverantwortlichen), die seit dem „Fest“ am 15. Mai mißtrauisch und zögernd um das Haus herumsteht, das zu übernehmen und um-zukonstruieren ist. Bei den Diskussionen in dieser Gruppe kommen so viel Unklarheiten zutage, daß an den Baubeginn vorderhand noch nicht zu denken ist.

Es fehlt erstens noch an den Plänen des zu übernehmenden Gebäudes, sie befinden sich noch in Händen der bisherigen Besitzer. Wir wissen nicht genau, was die USIA-Betriebe produzieren, wir wissen nicht, mit welchen Maschine sie ausgestattet sind, wir wissen nicht, zu welchen Kosten sie erzeugen, wir wissen nicht über welche finanziellen Mittel sie verfügen — kurzum, die Gegebenheiten, von denen die Neuplanung ausgehen soll, sind noch weitgehend unbekannt.

Es besteht aber zweitens auch .keine Einmütigkeit darüber, nach welchen Gesichtspunkten die erforderliche Umkonstruktion des Gebäudes erfolgen soll: Man redet von Verstaatlichung, man redet von Privatisierung, man redet von Betriebsgenossenschaften, man plädiert für und gegen Auslandskapital, für und gegen Auseinandersetzungen mit den Vorbesitzern — von Ansätzen zu einer einheitlichen Willensbildung aber ist nichts zu sehen.

Man wird sagen, das sind keine erfreulichen Aspekte. Es sind eben die Aspekte, die sich einem Baumeister bei der Uebernahme eine komplizierten Umbauauftrages eröffnen, und besonders dann eröffnen, wenn der Bauherr selbst nicht genau weiß, was er will.

Aus der angedeuteten Vielfalt offener Fragen möchten wir eine herausgreifen, deren Klärung oder Nichtklärung die Umkonstruktion des ostösterreichischen Wirtschaftskörpers besonders beeinflussen wird. In den Debatten um das ehemalige „Deutsche Eigentum“ und den damit befaßten Artikel 22 des Staatsvertrages wurden bisher fast ausschließlich die außenpolitischen Aspekte, aber nicht die innen politischen, gewürdigt. Die definitive Annullierung der meisten deutschen Eigentumsrechte durch den Staatsvertrag und die unmittelbar darauffolgende Erklärung österreichischer Regierungsmitglieder, daß man über die annullierten Rechte, als wären sie existent, dennoch mit den Deutschen verhandeln könnte, haben eine beachtliche Rechtsunsicherheit geschaffen. Es steht außer Zweifel, daß dies — nach der doch einigermaßen überraschenden Brüskierung der Westalliierten — unerläßlich war, wenn Oesterreich dieser brüsken Haltung nicht geradezu Applaus spenden wollte. Man muß sich aber über folgendes im klaren sein: Solange nun keine hundertprozentige Bereinigung der offenen Vermögensfragen zwischen Oesterreich und Deutschland erfolgt, wird kein privater Unternehmer die geringste Ambition zeigen, sich eines ehemals ganz oder teilweise in deutschem Eigentum befundenen Betriebes anzunehmen.

Wer könnte deshalb bezweifeln, daß der gegenwärtige Schwebezustand — die weitverbreitete Meinung, daß es zwar keine juridischen, aber doch moralische Ansprüche der Deutschen gibt — der sozialistischen Seite in die Hände arbeitet? Wenn kein privater Unternehmer sich bewirbt, dann bleibt nichts anderes übrig, als die Uebernahme der Betriebe in staatliches Eigentum, wobei das Eigentumsrecht des Staates allenfalls noch zusätzlich durch einen Verstaatlichungsakt untermauert werden könnte.

Kehren wir :rum Bild der diskutierenden Gruppe von österreichischen Politikern, Juristen und Wirtschaftsfachleuten zurück, die um das USIA-Haus herunstehen und den Umbau beraten. Wir haber: den Eindruck, daß unter den Baumeistern, die sich um die Auftragsvergebung bemühen, derzeit die Sozialisten mit ihren Plänen recht gut im Rennen liegen. Daß es dabei nicht bleiben muß, haben wir angedeutet; aber Gefahr ist im Verzuge und Eile tut not.

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