"Der große Schnitt ist nicht beabsichtigt"

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Hier wird mit sozialer Verantwortung und sozialem Gewissen versucht, das Sozialsystem nachhaltig zu verbessern.

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Hier wird mit sozialer Verantwortung und sozialem Gewissen versucht, das Sozialsystem nachhaltig zu verbessern.

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Die Debatte. Was heißt hier Treffsicherheit?

Zum Thema: "Treffsicherheit". Die Erhöhung der Treffsicherheit in Sozialleistungen soll zu "Sparen und mehr Effizienz" gleichzeitig führen. So zumindest lautet das Ziel der Regierung, die auf diese Weise drei Milliarden Schilling einzusparen hofft. Seit Mitte April beschäftigte sie deswegen eine Expertenkommission mit der Frage nachder Treffsicherheit von Sozialleistungen. Ein Zwischenbericht liegt vor, jetzt soll eine fünfköpfige Expertenrunde bis Ende August konkrete Vorschläge für Reformen der Regierung - konkret den Ministern Sickl und Bartenstein - vorlegen. Gerade dieses Procedere lässt Kritik laut werden. Karin Heitzmann vom Institut für Sozialpolitik an der WU-Wien meint gegenüber der furche: "Wissenschaft und Praxis werden instrumentalisiert, und die Regierung ist wunderbar aus dem Schneider." WM Mit dem Vorgang "Hebung der Treffsicherheit des Sozialsystems" sind viele Befürchtungen verbunden, mit denen auch ich in persönlichen Kontakten in den letzten Wochen konfrontiert wurde: Man befürchtet, dass "gerade Randgruppen" ins Visier sparwütiger und populistischer Politiker kommen; man befürchtet, dass "gerade die Familien" unter die Räder kommen, man befürchtet, dass "rückwärtsgewandte Frauenpolitik" gemacht wird. Und überhaupt: Wird nicht durch Technokraten, die keine Ahnung von sozialen Nöten haben, vom Schreibtisch aus eine Politik gemacht, die an der Realität der Menschen vorbeigeht?

Aus meiner Sicht kommen viele dieser Ängste aus einer Unsicherheit darüber, ob man Koalitionspartnern, bei denen sich in der Vergangenheit manche Repräsentanten sozialen Themen nicht gerade feinfühlig genähert haben, vertrauen kann (Stichworte: "Sozialschmarotzer", "Schneeschaufeln sollen's gehen"), dass sie Sozialpolitik mit Augenmaß betreiben. Auch ich habe - ich gestehe es frei - diese Angst latent, doch aus meinen bisherigen Erfahrungen habe ich die Überzeugung gewonnen, dass meine Ansprechpartner mit sozialer Verantwortung und sozialem Gewissen versuchen, das Sozialsystem zu verbessern. Beide Parteien haben ja auch programmatisch einen hohen sozialen Anspruch.

Ziel dieser Hebung der Treffsicherheit des Sozialsystems ist es, die Debatte Sozialschmarotzertum contra Sozialabbau auf rationale, reale Grundlagen zu stellen und gleichzeitig zu prüfen, wo Über- und wo Unterversorgung herrscht. Salopp gesagt, es gilt, die ewig gleichen Stammtischthemen abzuwürgen.

Mich beeindruckt dabei vor allem eines: Es wird versucht, eine strikte Trennung der Rollen von Experten und Politikern zu beachten. Experten sind derzeit weder a priori durch politische Tabuisierungen eingeengt, noch durch einen Zwang, auf Expertenebene konsensual Lösungen auszuarbeiten, oder durch politische Fragen blockiert. Als Aufgabe der Experten wird vielmehr gesehen, eine Mehrzahl von Vorschlägen zu erstatten, deren Voraussetzungen und Konsequenzen darzustellen und so Einzelthemen für die politische Entscheidung aufzubereiten. Die Verantwortung der Politiker, die auf der Grundlage der Informationen der Experten Entscheidungen treffen, wird dadurch zweifellos klarer konturiert.

Bedauerlich ist, dass in den letzten Wochen erhebliche Unsicherheit dadurch in die Bevölkerung getragen wurde, dass wir nicht damit umgehen können, wenn Politiker Vorschläge in die Medien bringen, die noch keineswegs ausgereift sind. Ich halte solche Vorschläge und die durch sie ausgelösten Diskussionen in einer Demokratie aber für wichtig, solange nicht der Eindruck vermittelt wird, dass in Wahrheit bereits Entscheidungen gefallen seien: Politiker und Journalisten sollten daher stets die Relativität solcher Vorschläge unterstreichen.

Im übrigen kann ich berichten, dass erst in diesen Tagen jene Themenbereiche festgelegt werden, in denen Expertenvorschläge erarbeitet werden sollen. Von politischen Festlegungen auf bestimmte Eingriffe in das Sozialsystem, gar von bestimmten Einsparungen und so weiter, ist nicht im mindesten die Rede. Es ist vielmehr beabsichtigt, konkrete Entscheidungen erst auf der Basis der von den Experten erarbeiteten Vorschlägen zu fällen.

Noch eines: Wir haben ein gut entwickeltes Sozialsystem, bei dem niemand beabsichtigt, von einem Tag auf den anderen "den großen Schnitt" zu machen - wie man despektierlich unterstellen könnte. Vielmehr ist Sozialpolitik in der Demokratie immer durch das Gesetz der kleinen Schritte geprägt. Derzeit wird mit Augenmaß versucht, eine höhere Effizienz des Sozialsystems zu erreichen: Ich werde das meine dazu tun, dass wir uns alle davor nicht zu fürchten brauchen!

Der Autor ist Professor für Arbeits- und Sozialrecht an der Uni Wien, war Leiter der Expertenkommission und gehört jetzt zu den fünf Experten, die der Regierung Vorschläge zur Treffsicherheit machen.

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