6675345-1961_19_01.jpg
Digital In Arbeit

Abermals: Finanzkrise?

Werbung
Werbung
Werbung

Es kann nicht wundernehmen, wenn auch den von der Stabilität in unserem Lande zutiefst überzeugten Staatsbürger nach und nach eine gewisse Unruhe überkommt und er zu überlegen beginnt, ob es nicht doch günstiger wäre, seinen Notgroschen wertbeständig anzulegen, denn, was er schließlich hört und liest, läßt eine Finanzkrise des Staates nicht ausgeschlossen erscheinen. Bei Finanzkrisen, das ist eine Erfahrungstatsache, hat in der Regel immer der „kleine Mann“ draufgezahlt.

Seit Monaten gehört es gewissermaßen zum guten Ton der österreichischen Innenpolitik, darauf hinzuweisen, daß die Staatskassen leer sind, die Steuern erhöht bzw. gesenkt, die Staatsausgaben eingeschränkt bzw. ausgeweitet werden müßten, die Währung in Gefahr bzw. nicht in Gefahr sei. Wenn man es richtig überlegt, ist es eines der vielen österreichischen Wunder; daß noch kein Run auf die Kreditinstitute stattgefunden hat und weite Teile der Bevölkerung noch nicht vom tiefsten Pessimismus über die wirtschaftliche Zukunft Österreichs erfaßt worden sind.

Hier wird ein gefährliches Spiel getrieben. Es,wird, schlicht und einfach gesagt, gezündelt, gleichgültig, ob es bewußt oder unbewußt getan wird. Die Demokratie ist. eine schwierige Regie- rungsform, die komplizierteste vielleicht, die es gibt Um zu funktionieren, benötigt sie ethische und’ sittliche Voraussetzungen, die andere Regie- rungsformen nicht in diesem Maße nötig haben. Obwohl wir der Überzeugung’ sind, daß dies für Österreich nicht in allen Punkten zutrifft, wollen wir doch die Freudsche Feststellung, daß eine Demokratie gefährdet ist, die sich auf - die psychologische Unreife der Führer, die persönliche Unmündigkeit der Bürger und die irrationalen Regungen der Masse stützt, in Erinnerung rufen.

Was ist nun wirklich mit den österreichischen Staatsfinanzen los? Es ist richtig, der Bund hat größte Schwierigkeiten, das Budgetdefizit 1961 zu decken, und das, obwohl der Abgang heuer geringer ist als in den Jahren vorher und wahrscheinlich ehestens 2,3 Milliarden Schilling betragen wird gegenüber 2,9 Milliarden Schilling im Jahr vorher, fast 4 Milliarden Schilling 1959 und rund 5,5 Milliarden Schilling 1958.

Auch voriges Jahr hat der Bund nur mit größter Mühe das Budgetdefizit decken können. Die Frage liegt nahe, wieso dies möglich sei. Die Erklärung ist keineswegs einfach. Der Kreditapparat, über den der Bund sein Budgetdefizit in den Jahren vorher reibungslos finanzieren konnte, ist nicht in der Lage und auch nicht willens, dem Staat Mittel zur Verfügung zu stellen, da seine Liquidität sehr knapp geworden ist. 1958, 1959 waren auf Grund der konjunkturellen Situation die Kreditinstitute so flüssig, daß es für den Finanzminister nicht schwer war, die Mittel zur Finanzierung des weit größeren Budgetdefizits zu bekommen. Dann begann im Herbst 1959 nach dem langsameren Wirtschaftswachstum des Jahres 1958 und der ersten Hälfte 1959 die konjunkturelle Aufschwungsphase, in der wir uns heute noch befinden. Es ist in den Budgets 1960 und 1961 dann nicht gelungen, die antizyklische Finanzpolitik konzeptgerecht weiterzuführen, einerseits aus politischen Gründen und anderseits, weil sich das langfristige Investitionspc ;gramm des Bundes — Autobahnbau, Elektrifizierung der Bundesbahnen, Automation des Telephonnetzes — ungeeignet als Mittel der Konjunktursteuerung erwies.

Im Verlauf des Konjunkturanstiegs wurde nun die Liquidität des Kreditapparates immer geringer, ein in einem Konjunkturaufschwung keinesfalls ungewöhnlicher Zustand, der noch dazu durch verschiedene Momente verstärkt wurde. Zunächst einmal hat die Österreichische Nationalbank bereits im Frühjahr 1960 durch eine Erhöhung der Mindestreservesätze die Kreditschöpfungsmöglichkeiten des Kreditapparats erheblich eingeengt. Dazu kommt, daß die ausgezeichnete Konjunktur die Einfuhrneigung stark erhöht hat. Die Folge davon ist ein beträchtlicher Devisenabfluß, der die Liquidität des Kreditapparats weiter verknappt. Auch die private Kreditnachfrage ist außerordentlich hoch. Die Geschäftspolitik der Kreditinstitute tendiert aber dahin, eher die private Kreditnachfrage zu erfüllen als die des Bundes. Unter diesen gegebenen Umständen ist daher das Budgetdefizit des Bundes konjunkturwidrig und mit Hilfe einer Kreditaufnahme beim Geldapparat kaum zu decken; es sei denn, die Notenbank änderte ihre Politik.

Die Diktatur der leeren Kassen ist üblicherweise eine recht wirksame Bremse der öffentlichen Ausgabenneigung. Und wenn man sich zu keinen einschneidenden ordnungspolitischen Maßnahmen entschließen will oder keine konjunkturwidrige Finanzierung des Defizits versucht — beides scheint nicht erwogen zu werden —, gibt es nur eine Konsequenz: Der Bund muß seine Ausgaben einschränken.

Allerdings ist es durchaus denkbar, daß der Staat einfach durch eine politische Maßnahme die Priorität der öffentlichen Ausgaben feststellt und damit den Wettbewerb um die Mittel für Investition und Konsumtion zugunsten der Staatswirtschaft entscheidet. Freilich wäre das ein Eingriff, der schon aus präjudiziellen Gründen weitreichende ordnungspolitische Konsequenzen hätte.

Das Problem — Finanzkrise des Staates — reduziert sich daher auf die Frage, was der Bund unternehmen wird, um sein unter den gegebenen Umständen konjunkturwidriges Budgetdefizit, dessen Finanzierung auf große Schwierigkeiten stößt, zu decken. Das kann unter Umständen ein ordnungspolitisches Problem sein. Feststellungen jedoch, wie „Staatsbankrott“ und „Pleite“ sind nicht nur unangebracht, sondern richtiggehend falsch und zeigen lediglich, daß mancherorts die Notwendigkeit, zu handeln, weiter reicht als die Möglichkeit, zu erkennen.

Gerade finanzpolitische Fragen sind komplexer Natur und für die meisten Menschen nicht ganz durchschaubar. Das ist keine Schande. Wenn etwa ein Arzt einem Patienten erklärt, er leide an einer schrecklichen Krankheit, wird dieser in den wenigsten Fällen daran zweifeln. Ebenso ist cs in finanzpolitischen Fragen. Wenn ununterbrochen Katastrophenmeldimgen in die Öffentlichkeit posaunt werden, ohne daß auch nur der kleinste Versuch unternommen wird, eine sachgerechte Erklärung zu geben, ist es nicht verwunderlich und nur eine natürliche Folge, daß der Staatsbürger nervös wird:

Eine der wichtigsten Grundlagen der Wirtschaftspolitik, das Vertrauen der Staatsbürger, wird dadurch unterminiert — eih hoher Preis für ein tagespolitisches Geplänkel.

Es ist nur zu begrüßen und entspricht demokratischen Grundsätzen, politische Probleme — Und das Budget ist ein solches — in der Öffentlichkeit zu diskutieren. Die Frage ist nur, wie diskutiert werden soll. Wir glauben, daß gerade in der letzten Zeit bei finanzpolitischen Fragen in verschiedenen Äußerungen die Grenze des Vertretbaren mehr als einmal überschritten wurde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung