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Abweichung von der alten Linie

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Die KAB fand es im Mai bei ihrem 22. Verbandstreffen an der Zeit, dem Bundesparteitag der CPU in Dortmund eine Warnung zukommen zu lassen. In einem auf dem Parteitag wohlweislich nicht verlesenen Telegramm hieß es: „Aus alter Verbundenheit mit den Zielen der CDU hat der 22. Verbandstag der KAB große Sorgen über Tendenzen der Partei zum Ausdruck gebracht, die nicht mehr den alten Linien der Partei zu entsprechen scheinen.“

Wie ernst es der KAB damit ist, sich, wenn nötig, in ihrer politischen Haltung von der CDU unabhängig zu machen, zeigen zwei Satzungsänderungen, durch die der meist zu Gunsten der CDU ausgeübte Einfluß der westdeutschen Bischöfe beschränkt wurde. Hieß es bisher „Die Tätigkeit des Verbandes der KAB wird auf der Grundlage des katholischen Glaubens und der Soziallehre nach den Weisungen der Bischöfe fortgeführt“, so wurde nunmehr das Weisungsrecht der Bischöfe aus den Satzungen gestrichen. Ebenso entfiel der Artikel: „Die Auflösung des Verbandes unterliegt der Entscheidung der westdeutschen Bischöfe.“ Auch diese wurde ausschließlich in die Hände des Verbandes gelegt. Hier zeigen sich Anfänge einer Entwicklung, vor der seit Jahren, insbesondere der junge Rechtshistoriker aus Münster, Ernst Wolfgang Böckenförde, in aufsehenerregenden Artikeln im „Hochland“ gewarnt hatte. Hatte man bisher angenommen, die enge Verbindung zwischen dem deutschen Episkopat und der CDU/CSU werde eines Tages zu Schwierigkeiten mit dem stark protestantischen Flügel der Partei führen, so tut sich nun eine seit langem vorausgesagte, aber bisher nie ernst genommene Vertrauenskrise der katholischen Arbeiterschaft auf, die auch dem Episkopat nicht gleichgültig sein kann. Die Gefahren einer Vermengung von Parteipolitik und katholischer Kirche tun sich hier zum erstenmal seit 1945 auf.

Hier sind Kräfte in Bewegung geraten, die unter Umständen imstande sind, das politische Bild Westdeutschlands in den kommenden Jahren wesentlich umzugestalten. Auf dem Verbandstag in Saarbrücken wurde ganz offen davon gesprochen, daß sich die Sozial- und Wirtschaftsvorstellung der KAB sehr viel mehr mit den heute von der SPD vertretenen Ansichten decken, als mit der von der jetzigen Regierungskoalition geübten Praxis. Es wird eine für die Zukunft der CDU und damit für Westdeutschland außerordentlich wichtige Entscheidung werden, wohin sich die KAB weiterentwickelt. Noch sind ihre Kundgebungen mehr dazu bestimmt, sich mehr Resonanz in der CDU zu verschaffen, als daß sich eine echte Schwenkung zur SPD abzeichnen würde. Aber der jüngste Artikel von Katzer zeigt, daß zumindest er die Empörung der „zornigen jungen Männer“ ernst nimmt.

Für ihn und für den linken Flügel der CDU kann diese Entwicklung nämlich überaus gefährliche Folgen haben. Innerhalb der CDU/CSU ist bisher die Bereitschaft gering, den ungebärdig vorgebrachten Forderungen der KAB nachzugeben, zumal damit mit Sicherheit eine weitere Verschärfung des ohnehin nicht gerade harmonisch zu nennenden Koalitionsklimas verbunden wäre. Auch haben diese jungen Leute, wie etwsnder-Ch?fredakteuTiier“„Ket-telerwacht“, Wolfgang Vogt öder der Bildungssekretär Heinz B u d d e, wenig Freunde in der CDU. Der Versuch, diese Widerstände und besonders die zu erwarten gewesenen Rückwirkungen der Koalition mit der FDP dadurch aufzufangen, daß man den mit den katholischen Arbeiterverbänden von früher her in Verbindung stehenden ehemaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU Heinrich Krone in das Kabinett nahm, kann als gescheitert gelten. Krone hat seinen Einfluß auf die KAB weitgehend verloren. Anderseits kann aber nicht übersehen werden, daß der Einfluß des linken Flügels innerhalb der CDU immer weniger seiner effektiven Stärke entspricht. Die von Konrad Adenauer nicht ungern gesehene Ungeschicklichkeit Theodor Blanks hat seinen Einfluß im Kabinett praktisch von dem Wohlwollen des Kanzlers abhängig gemacht. Auch Katzers Einfluß entspricht in keiner Weise der Stärke der katholischen Arbeiterschaft. Er wird von vielen CDU-Abgeordneten als der SPD verdächtig abgetan. Es besteht bei der geringen Bereitschaft der CDU/CSU, Kritik anzunehmen, die Gefahr, daß die Warnungen der KAB als unziemliche Quertreibereien in den Wind geschlagen werden. Das könnte, wenn sich die Spannungen so verschärfen, daß die KAB ihre Verbindungen zu der sehr geschickt vorgehenden SPD intensiviert, zwangsläufig zu einer weiteren Schwächung des linken Flügels der CDU führen, was ihrerseits nicht ohne Auswirkungen auf die Haltung dei KAB bliebe. Eine dieser Querverbindungen zeigte sich in diesen Tagen, als ein Referentenentwurf aus dem Arbeitsministerium über die Reform der Krankenversicherung auf ungeklärten, offenbar über einen SPD-Arbeitsminister der Länder gehenden Weg, frühzeitig an die Öffentlichkeit geriet. Hier sollten offenbar bestehende unterschwellige Spannungen verschärft werden. Die Gefahr, daß der Einfluß des linken Flügels der CDU weiter abnimmt, ist um so größer, als weder der linke Flügel der CDU noch die KAB über taktisch versierte Führer verfügt, ihr Überspielen sich also für Adenauer und seine. Anhänger geradezu anbietet.

Dazu kommt, daß sich der Einfluß der Großindustrie auf das jetzige Kabinett und insbesonders auf den Bundeskanzler Konrad Adenauer in auffallender Weise verstärkt. Es ist selbst von Leuten, die dem linken Flügel der CDU durchaus fernstehen, mit Unbehagen registriert worden, daß Adenauer sich Mitte August über einen einstimmig gefaßten Beschluß des Kabinetts, in der seit langem anhängigen Kartellfrage auf Intervention der Großindustrie hinwegsetzte und eine neue Beratung im Kabinett anberaumte Hier tun sich Gegensätze innerhalb der CDU auf, die über den Kreis des linken Flügels hinausgehen.

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