Kiew protests - © Foto: APA/AFP/Sergei Supinsky

Awakow, der starke Mann der Ukraine

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Das Machtzentrum der Ukraine hat sich zu Innenminister Arsen Awakow verschoben. Er kontrolliert wichtige Gremien und hat ein sehr zwiespältiges Verhältnis zur Demokratie. Nun regen sich Proteste.

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Das Machtzentrum der Ukraine hat sich zu Innenminister Arsen Awakow verschoben. Er kontrolliert wichtige Gremien und hat ein sehr zwiespältiges Verhältnis zur Demokratie. Nun regen sich Proteste.

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Und da stand er dieser Tage. Als wäre nichts geschehen. Gab den Ton an, dirigierte Präsident Selenskyj durch die durchnässte Landschaft der Westukraine, die derzeit mit einer schweren Flut zu kämpfen hat. Der Präsident in Anzug und viel zu großen Gummistiefeln; er selbst als Herr der Lage im Krisenmanager-Outfit: Arsen Awakow. Er ist Innenminister der Ukraine. Und zugleich viel mehr als das: Er ist einer der wohl mächtigsten Männer des Landes. Und wer meint, als Minister sei er einem amtierenden Premier verpflichtet: Arsen Awakow macht sein eigenes Ding. In einem Ausmaß, das zuletzt zu bemerkenswerten Massendemonstrationen gegen ihn geführt hat. Doch Awakow scheint sie unbeschadet überstanden zu haben – zumindest vorerst. Immerhin: Awakow war es, der den Präsidenten in seinen Riesenstiefeln vor TV-Kameras ins Trockene geleitete.

Das Stehaufmännchen

Vor etwas mehr als einem Jahr hat Selenskyj das Amt des Präsidenten übernommen. Er ließ das Parlament neu wählen, versuchte alles und jeden loszuwerden, der mit seinem Amtsvorgänger Petro Poroschenko zu tun hatte. Außer Awakow. Der blieb – allen bereits damals schon lautstarken Rufen zum Trotz, dieser Minister müsse gehen. Und als dann später reihenweise Minister aus ganz anderen Gründen die Regierungsbank verließen, als Selenskyj noch mehr Minister feuerte und das Kabinett zeitweise in Permanenz umbaute: Awakow blieb.
Doch dann: Erst eine Vergewaltigung durch Polizeibeamte, dann eine von der Polizei unbehelligt ablaufende Schießerei zwischen rivalisierenden Banden von Busfahrern nahe Kiew – quasi eine Verhandlung mit Schrotflinten um die Aufteilung von Busrouten. Die Folge: Massenproteste. Und während Awakow im Parlament eine Rede hielt, brannte vor dem Parlament ein Polizeijeep aus.

Jetzt sind Proteste in der Ukraine – und vor allem auch solche, bei denen gleich einmal das ganze Programm an Pathos hochgefahren wird – nichts Besonderes. Es ist aber die Mischung an Gruppen, die sich an den Protesten beteiligten, die hervorsticht: Da war einmal der Pravyi (Rechte) Sektor, eine paramilitärische ultrakonservative bis rechtsextreme Sammelgruppe und politische Partei. Da war auch die Partei Golos (Stimme), eine eher liberal-patriotisch ausgerichtete Gruppe. Vor allem aber waren da Lesben- und Schwulen-Verbände, die hier neben Pravyi-Sektor-Leuten aufmarschierten, Menschenrechtler und Lobbygruppen aller möglichen Ausrichtungen, Reformaktivisten, Anti-Korruptionsjäger und schlicht angefressene Bürger. Also genau jene Leute, die in zunehmendem Maß zuletzt sehr vorsichtig waren, lauthals über Awakow zu schimpfen. Schlicht, weil das gefährlich werden kann. Über Awakow sprach man nicht.

Und die politische Elite hat sich arrangiert mit ihm: Denn er ist der Minister mit den Silberkugeln. Er hat die Sicherheitsdienste unter sich, die Staatsanwaltschaft an der Leine, die Wahlbehörde unter seiner Ägide, er kontrolliert Abgeordnete mehrerer politischer Lager im Parlament, seine Leute dominieren den Sicherheitsausschuss und damit alle Gesetzgebungen, die in seinen Bereich fallen. Und: Mit der Nationalgarde kontrolliert er eine kampferfahrene, hoch motivierte und vor allem auf militärischem Niveau gerüstete Truppe – während der Präsident eine Armee kommandiert, der der Ruf anhaftet, nur ein Wunder vollbringen zu können: Benzin (rasch in Geld und dann) in Alkohol zu verwandeln.

Soweit sein offizielles Portfolio. Da ist aber noch etwas: Ursprünglich handelt es sich bei den Einheiten der Nationalgarde um Freiwilligenverbände, die im Osten der Ukraine gegen russische Freischärler kämpften. Nach und nach wurden diese paramilitärischen Gruppen schließlich dem Innenministerium unterstellt, ein Graubereich blieben die zivilen Vorfeldorganisationen dieser Gruppen.

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