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Bleibt uns die Konjunktur treu?

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Nach einem Jahr der wirtschaftlichen Hochblüte hat sich jetzt, zu Beginn des neuen Jahres, der Himmel unserer wirtschaftlichen Hochkonjunktur, der noch vor wenigen Monaten in strahlendem Blau leuchtete, leicht umwölkt. Noch sind es keine dunklen Gewitterwolken, noch scheint die Sonne — aber sie wird von leichten Schleierwolken bedeckt, und ihr Schein ist etwas trüber geworden. „Die Überkonjunktur ist endlich überwunden“, frohlocken die Optimisten. „Wir steuern einer Depression zu“, unken die Pessimisten. Was ist davon aber wirklich zu halten?

Tatsächlich sind einige Erscheinungen in unserer und in der europäischen Wirtschaft sehr bedenklich. Unsere Eisen- und Stahlindustrie muß die Produktion drosseln, Hochöfen werden eingedämmt, in der Zellstoff- und Papierindustrie spricht man offen von einer Krise mit Arbeiterentlassungen und starken Produktionseinschränkungen, und die Textilindustrie sowie einige andere Konsumgüterindustrien beginnen hörbar und berechtigt zu klagen.

Die Optimisten weisen anderseits darauf hin, daß die Preise nach wie vor steigen, ja daß der Preisauftrieb sogar stärker geworden sei, was ein deutliches Zeichen der Hochkonjunktur wäre, die Lage auf dem Geldmarkt sei durchaus, entspannt und die Kaufkraft höher denn je. Die Konsumgüterindustrie, als Ganzes gesehen, hat nach wie vor sehr hohe Auftragsstände — ein sicheres Maß für die Konjunkturentwicklung der nächsten Zukunft —, die Produktion weitet sich aus, und auch der Arbeitskräftemangel ist fast unverändert. Daß in einzelnen Bereichen der Konsumgüterindustrie nach wie vor sehr hohe Lagerstände vorhanden sind, daß andere unter starkem Preisdruck leiden, ändert am Gesamtbild vorerst noch nichts. Nur ist, wie das ,.Institut für Wirtschaftsforschung“ mitteilte, „die Konjunktur uneinheitlicher“ geworden und erfaßt nicht mehr alle Branchen. Trotzdem können wir mit dem wirtschaftlichen Ergebnis des letzten Jahres zufrieden sein. ders — in den USA wird ja schon seit mehr als einem Jahr von Regression gesprochen, die allerdings gerade in den letzten Wochen wieder von einem gewissen Aufschwung abgelöst wurde—, und diese Erscheinungen haben zu einer äußerst gefährlichen Tatsache geführt: der Wirtschaftsoptimismus breitester Schichten ist fast verschwunden; die optimistischesten Geschäftsleute sind vorsichtig geworden, die Gewinnerwartung geht zurück und damit die Investitionsbereitschaft. Ausdruck dieses Umschwungs sind die sinkenden Börsenkurse auf dem Aktienmarkt. In Deutschland begannen die Aktienkurse bereits im Sommer abzubröckeln, und dieser Kursrückgang setzte sich, mit Unterbrechungen, langsam, aber sicher bis zum heutigen Tage fort. Die Zeit der Phantasiekurse zum Beispiel für VW-Aktien sind vorbei. Auch die Kurse auf den internationalen Warenbörsen haben einen beachtlichen Tiefstand erreicht, und die internationale Geschäftswelt hat sich praktisch bereits darauf eingerichtet, daß die Hochkonjunktur der letzten Jahre vorüber ist.

Die „Konjunkturbremsen“ haben sich ausgewirkt...

Die Optimisten unter den Wirtschaftsfachleuten erklären diese Erscheinungen entweder mit „vorübergehenden Schwierigkeiten“ oder behaupten einfach, das seien eben die gewünschten Auswirkungen der Konjunkturbremsen, mit deren Hilfe die „ungesunde, überhitzte Überkonjunktur“ normalisiert werden sollte.

Aber was waren denn die charakteristischen Symptome der „Überkonjunktur“? In erster Linie der Preisauftrieb, angeblich bewirkt durch eine zu starke Nachfrage, der die Industrie wegen der „Überbeschäftigung“ und des dadurch bewirkten Arbeitskräftemangels ein ungenügendes Warenangebot entgegenstellen konnte.

Daran hat sich — bisher — nichts geändi&frflÄr Arbeitskräftemangel ist

Dunkle Wolken am europäischen Kon j unkturhimmel

Aber Österreich ist leider keine isolierte kleine Insel, sondern ein Land, das durch seine starke Exporttätigkeit engstens mit der Weltwirtschaft, vor allem aber mit der europäischen Wirtschaft, verflochten ist. Unsere Industrie exportiert insgesamt rund ein Drittel ihrer Produktion, jnd gerade bei sehr wichtigen Großbetrieben beträgt der Exportanteil oft mehr als die Hälfte der Gesamterzeugung. Wir müssen also bei allen wirtschaftlichen Überlegungen die Entwicklung unserer Nachbarländer in vollem Umfang berücksichtigen. Einer unserer wichtigsten Handelspartner ist die deutsche Bundesrepublik. Wie sieht es dort aus?

Die Stahlwerke der Montanunion (EWG) haben die Produktion erst kürzlich um 20 Prozent gedrosselt, und die deutschen Stahlwerke gaben bekannt, daß ihre Lager einen großen Teil des gesamten Bedarfs für 1962 decken können und daß die Produktion wahrscheinlich noch weiter gedrosselt werden müsse. Der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie, Berg, teilte vor kurzem mit, daß „ein Viertel der Industrie bereits im Konjunkturschatten“ liege und daß zwar auch für 1962 mit einem weiteren Wachstum der Industrieproduktion gerechnet werden könne, daß dieses Wachstum aber weit unter den Zahlen liegen wird, mit dem die Industrie ursprünglich gerechnet habe.

Auch in der deutschen Bundesrepublik ist die Konjunktur noch nicht vorbei. Aber wenn auch die Weihnachtsumsätze 1961 mit zirka sieben bis acht Milliarden D-Mark um fast zwei Milliarden D-Mark höher waren als im Vorjahr, so darf doch nicht übersehen werden, daß deutsche Wirtschaftsforscher feststellen mußten, die Zahl der Branchen, in denen echte Produktionseinschränkungen vorgenommen wurden, habe sich 1960 gegenüber 1959 vervierfacht.

In anderen westeuropäischen Ländern ist die Situation nicht viel anunverändert — das zeigen die seitenlangen Annoncen der freien Arbeitsplätze. Und der Preisauftrieb ist nicht kleiner geworden.

Das Hauptinstrument der „Kon-junktuTbremser“ in der deutschen Bundesrepublik war im vergangenen Jahr die Aufwertung der D-Mark. Sie sollte eine Verbilligung der Einfuhren bringen und, infolge der Erschwerung der Exporte, eine verstärkte Belieferung des Inlandsmarktes durch die deutsche Industrie bewirken.

Und was erfolgte wirklich? Der Preisdruck blieb aus; die Importwaren wurden nur in wenigen Fällen billiger, aber durch die Verteuerung der Exporte wurde ein Umsatzrückgang ausgelöst, der viele Firmen in Schwierigkeiten brachte und sie dazu zwang, die Inlandspreise zu erhöhen, um auf diese Weise ihre Exporte subventionieren zu können. Auf diese Weise konnte es geschehen, daß in einer größeren Zahl von Unternehmungen die wertmäßigen Umsätze gleich blieben oder sogar stiegen, während die Mengenumsätze verringert wurden.

... sind aber nicht ungefährlich

Es zeigte sich also am Beispiel der deutschen Wirtschaft wieder einmal mit aller Deutlichkeit, wie gefährlich derartige generelle Konjunkturbremsen sogar dann sind, wenn ihnen ein durchaus vernünftiges wirtschaftspolitisches Konzept zugrunde liegt. Man weiß leider nie genau, wie sich derartige schwerwiegende Eingriffe auswirken werden, und man kann nie sagen, ob und wann es möglich sein wird, ihre Auswirkungen wieder zu bremsen.

Besonders gefährlich sind solche Maßnahmen aber, wenn sie, wie in Österreich, ohne ein entsprechendes volkswirtschaftliches Gesamtkonzept durchgeführt werden sollen.

Es kann als völlig sicher angenommen werden, daß sich in dem vor uns liegenden Jahr der Konkurrenzkampf sowohl in Österreich als auch auf den Exportmärkten wesentlich verschärfen wird. Die Eisen- und Stahlindustrie hat jetzt bereits einen kleinen Vorgeschmack davon erhalten. Andere Branchen werden leider in Bälde ähnliche Erfahrungen machen müssen.

Wird nun unsere Wirtschaft diesem Konkurrenzdruck widerstehen können? Ist sie dafür gerüstet? Sind alle nötigen Maßnahmen getroffen worden, um die Vollbeschäftigung sicherzustellen, um unsere Wirtschaft vor den Auswirkungen eines Konjunkturrückschlags in Westeuropa zu schützen?

Für ein volkswirtschaftliches Gesamtkonzept

Ein volkswirtschaftliches Gesamtkonzept ist unerläßlich. Gewiß, es wurde manches getan. Die Bewertungsfreiheit gab den Unternehmen die Möglichkeit, Reserven anzulegen, um dem mit der weitergehenden Liberalisierung zwangsläufig verbundenen verstärkten Konkurrenzkampf begegnen zu können, und auch eine Reihe anderer Maßnahmen ist prinzipiell durchaus geeignet, unserer Wirtschaft zu helfen. Aber wird das ausreichen?

Die „Furche“ hat wiederholt — und zwar in Nr. 31/1960 und 6/1961 -darauf hingewiesen, daß mit isolierten Aktionen nicht viel erreicht werden kann und daß unsere Wirtschaft ein konjunkturgerechtes Wirtschaftskonzept benötigt, das unserer Industrie hilft, auch unter erschwerten Konkurrenzbedingungen die Vollbeschäftigung aufrechtzuerhalten und eine gleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung sicherzustellen.

Ein solches Konzept, so führten wir damals aus, muß zu einer Wirtschaftspolitik führen, die ausgleichend wirkt, die bestimmte Entwicklungen fördert, andere aber bremst und keineswegs nur allgemein stimulierend wirkt. Sie muß vielmehr die konjunkturellen Auftriebskräfte stets unter Kontrolle halten, um jedes Absinken ebenso wie jede übermäßige Expansion, durch die das wirtschaftliche Gleichgewicht gefährdet werden könnte, zu vermeiden.

Dieses Ziel kann ohne bürokratische Reglementierungen und ohne einen staatlichen Planungsapparat mit Hilfe sorgfältig aufeinander abgestimmter fiskalischer, kredittechnischer, zollmäßiger und arbeitsrechtlicher Maßnahmen erreicht werden. Das Schwergewicht dabei liegt auf der sorgfältigen Abstimmung aller durchzuführenden Maßnahmen, die wiederum nur nach einer sorgfältigen Studie und einem darauf aufbauenden gesamtwirtschaftlichen Konzept erzielt werden kann.

Die wirtschaftliche Praxis zeigt täglich die Notwendigkeit der betrieblichen Planung, und ebensowenig wie ein Unternehmen kann ein Gemeinwesen auf ein langfristiges wirtschaftliches Konzept verzichten.

Die wirtschaftliche Lage an der Jahreswende braucht uns noch keine wirklichen Sorgen zu machen. Sie sollte uns aber aufrütteln und zur Besinnung bringen. Sie zeigt uns, daß die Konjunktur, der Wohlstand und die Vollbeschäftigung kein Gottesgeschenk sind, daß wir um sie ringen und alles nur in unserer Macht Liegende tun müssen, um sie zu erhalten. Es liegt an den verantwortlichen Männern unserer Wirtschaftspolitik, daraus die Schlußfolgerungen zu ziehen. Noch ist es nicht zu spät

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