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Das Schreckgespenst der modernen Welt

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Man sieht weltweit seine Blutspur: aufgeschlitzte Kehlen in Algerien, erschossene Ärzte in den USA, dutzendweise ermordete Touristen in Ägypten und hunderttausende erschlagene Moslems und Katholiken in Bosnien. Fundamentalismus aller Bichtungen ist zu einem wahren Schreckgespenst in unserer heutigen Welt geworden. Martin R. Marty und A. Scott Appleby versuchen in ihrem Buch „Herausforderung Fundamentalismus - Badikale Christen, Moslems und Juden im Kampf gegen die Moderne“ dem Phänomen auf den Grund zu gehen. Wie kommt es zu dieser Erscheinung, wo liegen die Wurzeln, wie werden sich die Fundamentalismen noch entwickeln?

Die Autoren stützen sich auf solide Informationen. Sie schöpften einerseits aus der „Arbeit von über 100 Gelehrten des Fundamentalismus-Projektes der American Academy of Arts and Science,“ andererseits aus den Materialien der Filmserie „The Glory and the Power“ und stellten eigene Forschungen an. Sie betonen ihre objektive Einstellung, denn „Fundamentalisten erfahren von Seiten der Nichtfundamentalisten - aber auch von Fundamentalisten anderer religiöser Traditionen - nur selten eine faire Behandlung“. Im übrigen betonen sie, eine religiöse und nicht eine laizistische Position einzunehmen.

Das Wort Fundamentalismus stammt aus den USA und hatte ursprünglich keineswegs den heutigen Sinn. Auch heute noch bezeichnet sich so etwa ein Baptist der gehobenen Mittelklasse, der in das Wirtschaftsleben integriert ist, etwa als Börsenhändler, und dessen Tochter als Schönheitskönigin reüssiert, der jedoch mit seiner Familie nicht nur peinlich genau die Gebote der Bibel befolgt, sondern darüber hinaus aktiv an der Ausweitung der Machtpositionen seiner Gruppe innerhalb der Kirche arbeitet.

Dagegen sind die Amish, die noch viel strenger die Gebote der Bibel befolgen, keineswegs darauf aus, die Machtposition ihrer religiösen Gruppe zu erweitern. In der Sicht der Autoren sind sie nur Traditionalisten.

Ähnlich ist es bei den Juden. Es gibt strenggläubige Traditionalisten und Konservative, die niemand als Fundamentalisten bezeichnen würde. Die beiden Bichtungen leben nach ihrer Auslegung des Talmud und der Tradition, doch sie versuchen nicht, andere zu dieser Auslegung zu bekehren oder gar zu zwingen. Moshe und Ba-chel Rosenblum in Hebron dagegen sind Fundamentalisten, die die Machtbasis des Gusch Emunim, ihrer Bewegung, weiter ausweiten wollen.

Ähnliche Verhältnisse lassen sich bei den Moslems feststellen. Es waren modern erzogene Universitätsabsolventen, welche die fundamentalistischen Strömungen gründeten. Eine frühe moderne Variante stellt der Wahhabismus dar, eine fundamentalistische Interessengemeinschaft zwischen der saudischen Dynastie und moslemischen Klerikern.

Die Fundamentalisten sind Kinder der Moderne, die die Moderne bekämpfen, aber sich all ihrer Mittel bedienen, sagen die Autoren. Häufig ähnelten ihre Methoden jener radikaler politischer Parteien. Sie alle berufen sich auf ihre jeweiligen Urtexte, würden sie jedoch in sehr modernistischer Weise auslegen.

Darüberhinaus sindsie „nichtökumenisch orientiert, sondern partikular und sogar exklusiv, und haben es verstanden, Millionen für etwas zu begeistern, was man als stammesgebundene Weltanschauung bezeichnen könnte.“ Die Verbindung von Modernismus mit stammesgebundener Weltanschauung, also die Führung durch einen charismatischen Häuptling und Ausgrenzung aller anderen, scheint mir typisch auch für extremistische Parteien, ebenso wie für die Bewegungen, die man im europäischen Sprachgebrauch als Sekten bezeichnet, so die Moon-Sekte und die Scientologen.

In den Analysen der Fundamentalisten der verschiedenen Beligionen legen die Autoren veständlicherweise ihr Hauptaugenmerk auf die heimischen, amerikanischen Fundamentalisten. Dabei stellen sie fest, daß sich die vielen fundamentalistischen Strömungen in den USA stets in den Dialog mit den Konkurrenten von anderen Bewegungen gedrängt sehen.

Den Dialog fürchten solche Bewegungen jedoch wie der Teufel das Weihwasser. Dialog verwandelt immer wieder absolute in relative Wahrheiten, und das überlebt auf die Dauer kein Fundamentalismus. Daher verschwinden solche Bewegungen in den USA immer wieder von der Bild-fläche, um sofort wieder durch neue ersetzt zu werden.

Jüdischen Fundamentalisten fällt es dagegen viel leichter, sich vom Dialog abzuschirmen. Die Familie Rosenblum in Hebron, die die Autoren als Beispiel heranziehen, befindet sich im Hochgefühl des Kampfes für die Wahrheit und die Durchsetzung der Positionen des Gusch Emunim, und wenn sie auf Urlaub nach Cleveland, ihrer ehemaligen Heimat fahren, verschwenden sie ihre Zeit nicht mit Dialog, sondern halten Vorträge.

Noch leichter haben es die moslemischen Fundamentalisten in dieser Beziehung. Sie befinden sich sowieso ständig im bewaffneten Kampf, gleichgültig ob mit Bomben gegen ein moslemisches Regime, das die Gebote der Scharia nicht befolgt, oder, wie in Afghanistan, wo die „Ünfrom-men“ bereits von ihnen verjagt oder ausgerottet werden konnten, im Krieg gegen andere bezeichnenderweise offen stammesgebundene - Fundamentalistenführer.

Fundamentalisten, stellen Marty und Appleby fest, leben von den Krisen ihrer Gesellschaft. Sie stellen immer nur eine Minderheit dar, üben jedoch nicht nur im negativen Sinn einen erstaunlich starken Einfluß auf ihre Gesellschaften aus. Es sind Bewegungen* „die keineswegs- verstaubt, verkümmert oder statisch sind. Fundamentalisten sind innovativ, liegen oftmals im Trend und sind für gewöhnlich recht dynamisch.“

Während einerseits seit dem Ende des Kalten Krieges ein weltweiter Trend zu beobachten sei, der sich in Richtung eines „Stammesdenkens bewegt, in dessen Kontext sich ganze Völker entlang einer kulturell-lingui-stiseh-ethnisch-religiösen Linie gegenüberstehen“, hoffen die Autoren doch, daß die Öffnung der Welt letztendlich zu Gesprächen führt, zum Ausgleich der Ansichten und zum Abbau der Gegensätze.

HERAUSFORDERUNG DES FUNDAMENTALISMUS - Radikale Christen, Moslems und Juden im Kampf gegen die Moderne

Von Marlin h. Marty und R. Scott Appleby. Campus Verlag, Frankfurt 1996. 262 Seiten, Pb, öS295,-

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