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Der zweite Dreibund

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Mit freudiger Bereitwilligkeit hat die türkische Regierung der vom pakistanischen Staatschef angeregten engen Zusammenarbeit zwischen Pakistan, dem Iran und der Türkei zugestimmt. Der ursprüngliche Plan Ayüb-Khans zielte auf ein enges politisches Bündnis zwischen den genannten drei Staaten und Afghanistan ab und stellte in gewissem Sinn einen Versuch zur Wiederbelebung des 1937 zwischen der Türkei, Afghanistan und Iran abgeschlossenen Paktes von Saadabad dar, der infolge des zweiten Weltkrieges keinerlei nachhaltige politische Wirksamkeit erlangte. Während Afghanistan, dessen Beziehungen zu Pakistan infolge Grenzstreitigkeiten denkbar gespannt sind, abwinkte, fanden sich die Türkei und Persien zu einer Kooperation bereit. Man kam jedoch überein, keine neue Allianz zu schaffen, sondern eine „enge Zusammenarbeit zur Förderung der wirtschaftlichen, technischen und kulturellen Entwicklung“ anzustreben.

Die drei Staaten sind bereits durch den CENTO-Pakt miteinander verbündet, so daß ein neues Bündnis unter ihnen auf den ersten Blick überflüssig scheinen mag. Für ein Zusammengehen auf regionaler Basis außerhalb der CENTO gibt es jedoch manche Gründe: Die „Zentrale Verwaltungsorganisation“, der auch Großbritannien und in den wichtigsten Ausschüssen überdies die USA angehören, ist die Nachfolgeorganisation des ehemaligen Bagdad-Paktes, der als Instrument der westlichen Verteidigung im Mittleren und Nahen Osten gedacht war. Mit dem Austritt des Iraks im Jahre 1958 sank das alte Bündnis zur Bedeutungslosigkeit herab und führte seither ein Schattendasein! Der Kommunismus Chru- schtschowscher Prägung stellt eben für die vorderasiatischen Staaten an der Südflanke der Sowjetunion nicht mehr jene immanente Bedrohung dar wie in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Persien hat seine Beziehungen zur Sowjetunion längst normalisiert und zu keiner Zeit die Errichtung westlicher Militärstützpunkte auf seinem Territorium zugelassen. Pakistan ist mit seinen engen Kontakten zu Rotchina noch einen Schritt weitergegangen. Und selbst der „Eckpfeiler“ des westlichen Verteidigungssystems im Nahen Osten, die Türkei, hat seit dem Abzug der amerikanischen Jupiter-Raketen aus den türkischen Basen und deren Ersetzung durch die Polaris-U-Boote der Mittelmeerflotte viel vom einstigen strategischen Wert eingebüßt. Dazu kommt die gemeinsame tiefe Enttäuschung über die Haltung der USA, für die Türkei im Zypern-, für Pakistan im Kaschmirkonflikt. In diesem Zusammenhang verdient festgehalten zu werden, daß Pakistan von Anfang an als einziges Land den türkischen Standpunkt in der Zypern- frage vorbehaltslos unterstützte. Eine wichtige Rolle spielt ferner das weiverbreitete Ressentiment der Entwicklungsländer gegenüber den westlichen Industrienationen, daß erstere von diesen nur als ausbaufähige Absatzmärkte und billige Rohstofflieferanten angesehen werden. Natürlich wird dies von den betroffenen Staaten aus praktischen Gründen nicht offen ausgesprochen, denn ohne die beträchtlichen jährlichen „Dollarinjektionen“ des Westens wären ihre Wirtschaften längst zusammengebrochen. Seit dem spürbaren Nachlassen des kommunistischen Druckes hat sich aber bei den prestigebewußten Völkern der CENTO-Länder immer mehr die Ansicht durchgesetzt, die westlichen Verbündeten ließen sich in bezug auf Wirtschaftshilfe allzusehr bitten.

Obwohl ausdrücklich betont wird, daß das Abkommen zwischen den drei mohammedanischen Nationen keinen politischen Charakter trägt, bedeutet das neue Faktum letzten Endes doch ein Abrücken dreier einst verläßlicher Freunde des Westens von alten Bindungen. Die Politik orientalischer Länder ist oft sehr hintergründig! Spricht man heute noch von den „historischen, kulturellen und religiösen Gemeinsamkeiten“ und betont die Wichtigkeit des Ausbaues des gegenseitigen Handelsverkehrs, so könnte man morgen plötzlich entdecken, „wie wertvoll“ eine gemeinsame außenpolitische Linie, ja sogar eine „Köor- dinierung der Verteidigungspolitik“ wäre! Sollte sich der jetzige „Dreibund“ in dieser Richtung entwickeln, so besteht kein Zweifel, daß ein Beitritt auch für andere islamische Staaten des Vorderen Orients attraktiv werden könnte. Dies gilt vor allem für jene Länder, in denen Nassers panarabische Idee am schwächsten ist: Libanon, Saudiarabien und das Scheichtum von Kuweit. Eine größere Unabhängigkeit der asiatischen CENTO-Länder gegenüber den USA und Großbritannien würde nicht nur der Sowjetunion sehr gelegen kommen — die positive Aufnahme der Vertragsunterzeichnung in der Sowjetpresse zeugt davon —, sondern auch de Gaulles Vorstellungen von einer „Neuordnung“ im Nahen Osten entsprechen.

Wohin führt der neue Weg?

Als Ergebnis der am 20. und

21. Juli abgehaltenen Konferenz von Istanbul wurde ein umfangreiches Protokoll über die Maßnahmen zur Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen zwischen den drei Vertragspartnern aufgestellt. In diesem sind unter anderem vorgesehen: größere Freizügigkeit des Warenaustausches, Errichtung gemeinsamer Handelskammern, Ausbau der bestehenden Verkehrsverbindungen zu Lande, Schaffung geeigneter Schiffs- und Flugverbindungen, Transiterleichterungen, gegenseitige Ermäßigung der Postgebühren, Abschaffung des Visumzwanges, Austausch von Experten, Studenten, Künstlern und Sportlern u. ä. Die Außenminister der drei Freundesländer wollen sich regelmäßig dreimal im Jahr treffen, während der ständige Ministerrat der CENTO nur einmal jährlich Zusammentritt. Desgleichen sind häufige Besprechungen zwischen den Finanz- und Wirtschaftsministern vorgesehen. Nach Ablauf eines Jahres ist durch die Schaffung eines ständigen Sekretariates neben dem permanenten Ministerrat eine an andere Regionalorganisationen wie EWG und EFTA erinnernde Institutionalisierung vorgesehen.

Angesichts dieser Entwicklung stellen sich in- und ausländische Kenner der türkischen Verhältnisse die bange Frage, ob dieses Land wirklich noch die „Türkei Atatürks“ und „auf dem Weg nach Europa“ sei? Wohin sind die kemalistischen Prinzipien gekommen, wenn sich die laizistische Türkei mit dem Hinweis auf die wichtige Rolle der gemeinsamen Religion in der Realpolitik mit Ländern verbündet, in denen der Islam Staatsreligion ist? Haben jene Pessimisten recht, die meinen, daß die konservativen türkischen Kräfte im Vormarsch sind, denen der Unterschied zwischen Konservatismus und Reaktion noch nicht klar geworden ist? Ist es verwunderlich, wenn „Europa die Türkei noch nicht als Teil seines Kontinents betrachtet, obwohl sich anderseits die Türken nicht als Asiaten fühlen?“ wie die konservative Zeitung „Neues Istanbul“ schreibt.

Es ist fürwahr eine gefährliche Illusion, der sich manche politische Kreise in der Türkei hingeben, wenn sie glauben, ihr Land in eine Schaukelpolitik zwischen Ost und West hineinmanövrieren zu müssen. Die bittere Enttäuschung über die Isolierung im Zypernkonflikt ist verständlich, sollte jedoch nicht zum Anlaß genommen werden, um den fünfzigj ährigen Europäisierungsprozeß der Türkei zu verzögern oder ganz zum Stillstand zu bringen. Denn das wäre, auf lange Sicht gesehen, die Folge jeder Union der Türkei mit asiatischen Staaten.

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