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Die wirkliche Macht geht vom Fernsehen aus

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Schon immer schrieben italienische Medien Geschichte. Silvio Berlusconi brachte es dank seiner Fernsehsender sogar zum Ministerpräsidenten

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Schon immer schrieben italienische Medien Geschichte. Silvio Berlusconi brachte es dank seiner Fernsehsender sogar zum Ministerpräsidenten

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Sommer 1996 im Medienland Italien: Silvio Berlusconi geht mit der Mediaset, einer Holding seines Medienimperiums, an die Börse. Gleichzeitig wird die Führungsmannschaft der staatlichen Rundfunkanstalt RAI ausgetauscht, wie nach fast jeder Wahl. Erstmals sind drei Frauen im fünfköpfigen Team, das eine neutrale Berichterstattung garantieren soll. Dieser Tage soll außerdem ein neues Mediengesetz verabschiedet werden, das RAI und Mediaset grundlegend reformieren soll. Wer Italiens Medienlandschaft kennt, rechnet bereits mit dem nächsten medienpolitischen Sturm.

Medien spielten in Italien in Fragen der Machtpolitik auch in der Vergangenheit stets eine entscheidende Rolle. Schon die Ära der politischen Einigung Italiens 1860 war nach einer Zeitung benannt worden: Risor-gimento (Auferstehung).

Das jahrzehntelang mächtigste Medium war der legendäre „Corriere della Sera", ein konservatives, wirt-schaftsorientiertes Blatt, das seit der Nachkriegszeit auf Seiten der De-mocrazia Christiana gegen eine Regierungsbeteiligung der italienischen Kommunisten kämpfte. In den siebziger Jahren entstand mit der „Re-pubblica" eine linksliberale Qualitätszeitung. Sie gilt seit ihrer Gründung durch den Starjournalisten Eugenio Scalferi neben dem Corriere als die Zeitung, die man einfach lesen muß.

Zwar wird die Pohtik in ihrer intellektuellen Dimension noch immer in den großen Zeitungen abgehandelt, doch seit den siebziger Jahren geht die eigentliche Macht vom Medium Fernsehen aus. Dies erkannten einige Großverleger wie Rusconi und Rizzo-li, die sich mit Unsummen in den anfangs von einer Handvoll Idealisten betriebenen privaten Radio- und TV-Markt einkauften. Die finanziellen Erfolge zogen auch branchenfremde Industrielle wie Fiat oder Parmalat an.

Als ein gewisser Silvio Berlusconi, vormals Immobilienmakler, einen Sender nach dem anderen aufkaufte, bis er plötzlich drei landesweite Networks besaß, konnte mangels Gesetz niemand etwas gegen diese beispiellose Konzentration unternehmen. Der Verfassungsgerichtshof beschränkte sich auf die Aufforderung, entsprechende gesetzliche Regelungen zu erstellen. Die zahlreichen Regierungen konnten allerdings nur den jeweiligen Status Quo absegnen. Die Handlungsträger waren die Medienbetreiber, und sie diktierten de facto die Bedingungen. Erster echter Höhepunkt im Spiel um die Medien war der Oktober 1984. Drei Amtsrichter wiesen die Schließung der de jure illegalen Networks Berlusconis sowie zweier weiterer Sender an. Innerhalb kürzester Zeit reagierte die sozialistische Regierung unter Berlusconi-Freund Bettino Craxi mit einem Dekret, das die Networks unverzüglich genehmigte. Was man jahrelang vor sich hergeschoben hatte, war plötzlich innerhalb weniger Tage vom Tisch. Man handle im allgemeinen nationalen Interesse, hieß es. Das nationale Interesse bestand offensichtlich in der Samstag-Abend-Show, denn Stunden davor durfte Berlusconi den Sendebetrieb wieder aufnehmen ...

1990 erfolgte dann der erste ernstzunehmende Versuch des Gesetzgebers, geordnete medienpolitische Verhältnisse zu schaffen. Der Erfolg erschöpfte sich allerdings in der Feststellung der Machtposition des Ber-luscoi-Ronzerns Fininvest, die Einschränkungen waren marginal.

Alles wäre in den Bahnen der italienischen Schattenpolitik weitergelaufen, wenn nicht drei Jahre später die Korruptionsermittlungen das politische Establishment zum Einsturz gebracht hätten. Bettino Craxis Abgang von der politischen Bühne bedeutete für Berlusconi den plötzlichen Verlust seines Mentors. Mit hohen Schulden auf sich allein gestellt, entschied sich Berlusconi für den Gang in die Politik. Der Rest ist Geschichte: Der Medienzar mit der Kontrolle über 45 Prozent des gesamten italienischen TV-Marktes (weitere 45 Prozent hält die RAI) feierte einen überwältigenden Sieg auf der Basis eines medial perfekt inszenierten Wahlkampfes, wie ihn nicht einmal amerikanische Präsidentschaftskandidaten zuwege bringen- ;

Seine erste politische Tat als Ministerpräsident war die Besetzung der wichtigsten RAI-Posten durch seine Gefolgsleute. Das allerdings war politischer Selbstmord, denn die gesamte journalistische Elite versammelte sich gegen Berlusconi." Jede seiner Taten als Politiker wurde akribisch analysiert und schonungslos kritisiert, immer wieder malte man das Menetekel einer Mediendiktatur an die Wand. Der Tycoon mußte mitansehen, wie innerhalb weniger Monate sein tadelloses Image als „Samariter, der Italien rettet" (Eigendefinition), abbröckelte. Ende 1994 mußte er schließlich wegen Korruptionsverdacht zurücktreten, war aber nicht bereit, die Politik zu verlassen. Auch als Oppositionspolitiker versteht es Berlusconi, sich und seine Interessen immer perfekt zu inszenieren.

Die politische Opposition läßt Berlusconi Zeit, sich um die Fininvest zu kümmern, die offiziell von seinem Freund Fedele Confalonieri geführt wird. Die Sanierungsmaßnahmen, vor allem der Börsengang der Mediaset mit ihren drei Fernsehkanälen, verliefen erfolgreich: Berlusconi verzichtet damit auf die Kapitalmehrheit, was das Problem der Vereinbarkeit von Management und Politik löst. Es ist eindeutig, daß Berlusconi mit dieser Entscheidung ein Signal gibt, längerfristig in der Politik bleiben zu wollen. Bei seinem Machthunger bedeutet dies den Anspruch auf das Begierungsamt. Nach italienischer Tradition wird die nächste Krise auch nicht lange auf sich warten lassen, schließlich gab es in 51 Jahren bereits 55 Regierungen.

Ein Auslöser für neuerliche politische Instabilität könnte bereits geliefert worden sein, und wieder sind die großen Medien im Spiel: Im Sommer erregte Umberto Bossi von der Lega Nord großes Aufsehen. In seiner populistisch-aggressiven Art rief er zum Steuerboykott auf und kündigte an, am 15. September 1996 Norditalien vom Best des Landes zu lösen und die Bepublik Padanien auszurufen. Als Politiker und Medien darauf teils besorgt, teils belustigt reagierten, forderte Bossi seine Anhänger auf, die Sendemasten der RAI zu sprengen, um der korrupten Propaganda eine Ende zu bereiten. Verlagern sich längst überwundene Südtiroler Verhältnisse auf ganz Norditalien?

Der Autor ist

Assistent an der Europäischen Journalismus Akademie in Krems.

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