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Ein Budget und seine Lehren

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Nach monatelangem hinhaltendem Debattieren einigten sich die beiden Regierungsparteien über das Budget 1963. Wie kaum eine andere politische Materie lassen Budgetverhandlungen den Zustand eines Staates erkennen. Gewiß, ein so eminent politischer Akt wie die Erstellung des Staatshaushaltes ist in der Demokratie in der Regel mit heftigen politischen Auseinandersetzungen verbunden. Das Ergebnis kann auch nichts anderes als ein Kompromiß sein, der verschiedenen Standpunkten gerecht zu werden versucht und Zielkonflikte einigermaßen ausgleicht. Es ist kein schlechtes Zeichen, wenn die Diskussion über ein Budget hart ist, die Gegensätze aufeinanderprallen, nur mühsam abgeschliffen und in ein Gesamtkonzept eingeordnet werden. Bei allen Parteien und Gruppen muß aber Klarheit darüber herrschen, was ökonomisch noch vertretbar und an politischem Druck dem Staatswesen zumutbar ist, um es nicht langsam, aber sicher zu schwächen. Es ist nicht so, daß wirtschaftspolitische Fehlentscheidungen schon morgen zu einem Zusammenbruch führen, und es ist auch nicht so, daß ein Autoritätsverlust der Regierung unmittelbai eine Katastrophe zur Folge haben muß. Dal sind langsame, schleichende Prozesse, die Jahre, manchmal Jahrzehnte brauchen, bis sie virulent werden; dann aber sind sie häufig irreversibel.

Das Beklemmende an den österreichischen Budgetverhandlungen ist daher nicht der Aufeinanderprall der Meinungen, auch nicht der politische Druck, der hinter die einzelnen Forderungen gesetzt wird, sondern das politische und ökonomische Niveau, auf dem sich die Diskussion bewegt. Der Finanzminister legt ein Budgetkonzept vor. Das ist nicht nur sein Recht, sondern vor allem seine Pflicht. Er sagt, wie seiner Meinung nach der kommende Staatshaushalt aussehen soll. Es ist keinesfalls undemokratisch und gefährlich, wenn verlangt wird, dieses Konzept müsse in verschiedenen Punkten geändert werden und nun die Argumente für diese Änderungsvorschläge ins Treffen geführt werden. Diese Diskussion soll sich nicht nur hinter verschlossenen Türen abspielen, sondern in aller Öffentlichkeit, in der Fachpresse, in den Tageszeitungen. Ein Abrücken von einer Forderung, eine Revision des Konzepts auf Grund triftiger Argumente ist weder eine Schande noch eine politische Katastrophe, sondern die übliche Form des Interessenausgleichs in der Demokratie. Aber: In Österreich wird nicht über das Budgetkonzept diskutiert; es werden gegen ein Budgetkonzept keine Argumente ins

Treffen geführt. „Das lassen wir um nicht gefallen“ und „das ist unmöglich“, „diese Forderung ist gerechtfertigt“: das sind keine Argumente, das sind gar nichts, bloß Äußerungen, die zweierlei vermuten lassen: entweder totales fachliches Unvermögen oder die zynische, undemokratische Überzeugung, eine andere Argumentation käme in der Öffentlichkeit nicht an.

Die Tragik der österreichischen Situation liegt nun darin, daß die Auseinandersetzung um den Staatshaushalt jedes Jahr schwieriger und das Autoritätsguthaben der Regierung bei den Budgetverhandlungen jedes Jahr weiter vermindert wird. Es bedarf doch keines genialen Intellekts, um einzusehen, daß die Gefälligkeitsdemokratie, der zur Horde der Interessentenhaufen denaturierte Staat, zwangsläufig ein undemokratisches Ende nehmen muß. Die amtierende Politikergeneration und ein Großteil der Staatsbürger haben doch ähnliche Situationen schon erlebt 1

Die Verhandlungen über das Budget 1963 waren typisch für die Zustände in Österreich und nichts anderes als die logische Weiterentwicklung eines schon Jahre andauernden Dilemmas. Grundsätzlich ist die österreichische Budget-politik niemals offiziell Vom klassischen Prinzip des jährlich ausgeglichenen Budgets, von der sogenannten Parallelpolitik, abgegangen, daran kann auch das antizyklische Zwischenspiel 1958 nichts ändern. Beide Regierungsparteien haben sich immer wieder zu dieser Politik bekannt. Damit ist freilich nichts über die ökonomische Qualität der Parallelpolitik ausgesagt. Tatsächlich jedoch wird in Österreich seit dem Jahre 1953 ein defizitärer Bundesvoranschlag vorgelegt. Fast jedes Jahr war obendrein das Ausgabenvolumen weit größer als im Bundesvoranschlag vorgesehen, und zwar nicht nur um Millionen-, sondern häufig um Milliardenbeträge. Erst 1962 ist es erstmals seit langen Jahren gelungen, den Bundesvoranschlag einzuhalten.

Schon diese Tatsache allein sollte doch zumindest zum Nachdenken anregen. Da wird seit einem Jahrzehnt Deficit-spending getrieben, und alle sprechen von der Notwendigkeit eines ausgeglichenen Staatshaushaltes. Seit einigen Jahren wird auch davon geredet, mit Hilfe des Budgets Konjunkturpolitik zu treiben. Schön langsam hat es sich auch herumgesprochen, daß das Budget zu den wichtigsten wirtschaftspolitischen Instrumenten gehört, die dem Staat zur Verfügung stehen. Die Folge dieser in unzähligen Aufsätzen, Vorträgen und Reden kundgetanen Einsicht: die österreichische Budgetpolitik ist weitgehend konjunkturunabhängig. Nach dem Motto: konjunkturgerechte Budgetpolitik ist, was bei den Verhandlungen herauskommt. Ist die Konjunktur gut, ist das Defizit weniger groß, weil die Einnahmen höher sind; wird die Konjunktur schlechter, ist das Defizit größer, weil die Einnahmen zwangsläufig geringer sind. Ab 1953 waren aber die Steuermehreinnahmen nie geringer als eine Milliarde Schilling; die Zuwachsrate der Steuereingänge fiel nie unter vier Prozent jährlich. Ohne Zweifel haben die ständigen hohen Staatsausgaben das Wirtschaftswachstum beeinflußt, obzwar es kaum möglich ist, einigermaßen exakte Angaben darüber zu machen, wie kräftig die Wirtschaft bei geringerer Expansion der Staatsausgaben gewachsen wäre.

Wenn die Zuwachsraten der Bundesausgaben auf Grund der Bundesrechnungsabschlüsse verglichen werden, so sieht man, daß sie um zehn Prozent jährlich herum pendeln, weitgehend unabhängig von der jeweiligen konjunkturellen Situation. So viel Phantasie gibt es gar nicht, um eine Korela-tion zwischen Konjunktur und Wachstum der Staatsausgaben herzustellen. Die einfachste budgetpolitische Formel für die Zukunft im Lichte dieser Erfahrungen wäre daher: Einigen wir uns darauf, jährlich sechs oder sieben Prozent mehr auszugeben. Der Ausgabenrahmen steht dann jeweils von vornherein fest. Innerhalb dieses feststehenden Ausgabenrahmens soll dann um die Verteilung gestritten werden. Vielleicht wäre es auch möglich, bestimmte Relationen für die Verwendung der Ausgaben aufzustellen und von vornherein festzulegen — immer mit einer gewissen Toleranz — wieviel Prozent für öffentliche Konsumausgaben, Transferzahlungen und Investitionen ausgegeben werden sollen. Wie die Dinge liegen, dürfte die Aufstellung gewisser Prioritäten ohnedies kaum Chancen haben, weil man sich des Eindrucks nicht erwehren kann, daß daran nur geringes Interesse besteht.

Das sind zwar makabre Aspekte, die aber durch die Erfahrungen der Vergangenheit hinreichend begründet sind. Anzeichen für eine Besserung sind nicht feststellbar. Im Gegenteil, die Verhandlungen über das Budget 1963 haben diesen Eindruck eher noch verstärkt.

Obwohl der Finanzminister sich seit Mitte des vergangenen Jahres bemühte, ein Gespräch über das Budget 1963 zu beginnen, stieß er zunächst mit dem Hinweis auf die bevorstehenden Nationalratswahlen allseits auf Ablehnung. Nach den Nationalratswahlen wurde der schwere Brocken Budget neuerlich auf die lange Bank geschoben, und, gewissermaßen in letzter Minute, zu nächtlicher Stunde kam dann die Einigung über den Staatshaushalt zustande.

Dr. Klaus ist als Sparmeister in da

Kabinett Gorbach gekommen; für ihn ging es zunächst einmal darum, die Äusgabenlawine, so gut es ging, einzudämmen. Der den Kreditapparat um Geld bittende Bund war gewiß kein Aushängeschild. Zunächst ging es daher gar nicht um konjunkturpolitische Überlegungen, sondern einfach darum, das ramponierte wirtschaftspolitische Ansehen einigermaßen wiederherzustellen, im Inland und Ausland wieder Vertrauen in die österreichische Wirtschaftspolitik zu gewinnen. Es wäre unrecht, die Vorgänger von Dr. Klaus auf dem Sessel in der Himmelpfortgasse dafür verantwortlich zu machen; der Trend ist stärker als der jeweilige Finanzminister. So eigenartig dies erscheinen mag, der Mann auf dem Sessel des Finanzministers wird in dem Moment, wo er in das alte Palais in der Himmelpfortgasse einzieht, zum Einsamen, der damit rechnen muß, immer allein zu sein, und wenn er irgendwo einmal auf Verständnis stößt, wenn er politische Unterstützung bekommt, dann sind das Sternstunden für ihn.

Das ist nicht dramatisiert. Der ehemalige Salzburger Landeshauptmann mußte erleben, wie die Länder- und Gemeindevertreter ihm zunächst einmal kategorisch „nein“ sagten, als er von ihnen einen Beitrag für das Bundesbudget 1963 verlangte. Dabei dürfte wohl jedem klar sein, der sich einigermaßen mit der Materie des Finanzausgleichs auskennt, wie günstig Länder und Gemeinden dastehen. Um einige Beispiele zu nennen: Der Einnahmenzuwachs des Bundes bei den sogenannten gemeinschaftlichen Abgaben betrug für den Bund 1962 gegenüber 1959 lediglich 2,2 Milliarden Schilling, für die Länder und Gemeinden aber fast 2,9 Milliarden Schilling. Die Kosten für die Ausgleichszulagen nach dem ASVG. und GSPVG., die jetzt der Bund zu tragen hat, betrugen 1959 rund 260 Millionen Schilling, 1963 werden sie mehr als eine Milliarde Schilling betragen. Diese Kosten für die Ausgleichszulagen wurden seinerzeit bei der Konstruktion des Finanzausgleichs vom Bund übernommen. Dazu kommt, daß der Anteil der Bundesausgaben an den Gesamtausgaben der Gebietskörperschaften mehr als zwei Drittel beträgt.

Freilich, es fällt niemand leicht, auf Einnahmen zu verzichten, auch nicht den Vertretern von Ländern und Gemeinden. Aber denkt niemand daran: Die Auflösung des Oberstaates trifft doch auch die Gliedstaaten? Nachdem nun 1962 das erstemal seit langen Jahren ein Bundesvoranschlag eingehalten worden ist, nachdem sich die österreichische Staatsschuld seit zwei Jahren nicht mehr erhöht hat, sah das Budgetkonzept 1963 aus konjunkturellen Gründen wieder eine die Tilgungen übersteigende Neuverschuldung vor. Zwei Varianten wurden vorgelegt: Einmal wurde vorgeschlagen, das Budget nach den in den Jahren 1961 und 1962 geübten Konzepten zu erstellen, die eine Neuverschuldung nur im Ausmaß der Tilgungen vorsahen. Nach Anlaufen der Frühjahrssaison sollte dann im Bedarfsfall ein Nachtragsbudget beschlossen werden, das zusätzliche Investitionsausgaben zur Stützung der Konjunktur bringen sollte.

Die zweite Variante sah sofort eine erhebliche Ausdehnung des außerordentlichen Budgets vor. Über die Konzepte ist nie diskutiert worden. Es wurde nach alter Praxis gefordert, ohne daß man sich auch nur im entferntesten darum kümmerte, wie das Budget denn aussehen sollte. Wäre a]1en Forderungen nachgegeben worden, würde der Ausgabenrahmen weit über 60 Milliarden Schilling liegen. So ist damit zu rechnen, daß der Budgetrahmen doch noch erheblich unter der 60-Milliar-den-Grenze liegt. Freilich: der Bundesvoranschlag 1963 weist etliche Schönheitsfehler auf. Es werden einige Grundnahrungsmittel verteuert; es wird die Vermögenssteuer erhöht, eine Ausgleichssteuer eingeführt, der Pensionsversicherungsbeitrag erhöht werden und einiges mehr. Das ist ja in der Öffentlichkeit schon seit einigen Tagen bekannt.

Ob dieses Budget durchzuhalten sein wird, ist von mehreren Voraussetzungen abhängig.

• Zunächst muß unter allen Umständen getrachtet werden, daß die Mehrbelastungen, die der Staatshaushalt bringt, nicht zu einer neuen Preis- und Lohnwelle führen. Österreich würde damit wohl endgültig zu jenen Staaten gehören, die geringes Wirtschaftswachstum mit kräftiger Geldentwertung verbinden. Der Traum vom österreichischen Wirtschaftswunder wäre dann wohl zu Ende. Nur beide Regierungsparteien zusammen werden aber in der Lage sein, eine neue Preis- und Lohnwelle zu verhindern. Zusätzlich zu der Verteuerung von Grundnahrungsmitteln, die den Verbraucherpreisindex erhöhen, ist es nämlich nicht unwahrscheinlich, daß der lange und harte Winter zu hohen Preisen bei verschiedenen Saisonprodukten führt. Der „Paritätischen Kommission“ steht daher eine neue Bewährungsprobe bevor. Es wird sich bald zeigen, ob die neue Regierung imstande sein wird, zu regieren.

• Zweitens muß unter allen Umständen getrachtet werden, keine budge-tären Mehrbelastungen zuzulassen.

• Und weiter: sollte der Bund heuer wieder Schwierigkeiten bei der Geldbeschaffung haben, dann wird es wohl sehr schwer sein, wieder um Vertrauen für die Wirtschafts- und Finanzpolitik zu werben. Das Vertrauensguthaben, das sich die österreichische Finanzpolitik in den letzten zwei Jahren erwirtschaftet hat, kann schnell verbraucht sein.

Die Lage ist ernst. Wie sie gemeistert wird, wird für die Zukunft des Landes mitentscheidend sein, das sollten sich alle Österreicher vor Augen halten, gleichgültig, in welchem Lager sie stehen.

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